Blutspuren-Konferenz

Quelle: SeroNews 10(4):145-148 (2005)
Blutspuren-Konferenz, 7.-9. Oktober 2005, North Warwickshire

Von Mark Benecke

Weil die EngländerInnen erstens den Tod von Lady Diana innerlich nicht verarbeitet haben, zweitens Schönheits-Chirurgie nun auch diesem homozygoten Land modisch wird und drittens George Bush - und damit auch Tony Blair - derzeit von Gott persönlich angeleitet werden (siehe Abbildungen), verzogen wir uns in ein kleines ländliches Hotel und ließen den Rest der Welt einen guten Mann sein. In großer Ruhe konnten so zwei Tagte lang in jeweils dreiviertelstündigen Vorträgen Blutspuren-Fälle vorgetragen werden, die schwer zu denken gaben.

So stellte beispielsweise in Iowa eine alte Dame morgens verblüfft fest, dass sich in ihrer Küche reichlich Blut befand. In Verdacht standen sogleich some gothic kids from down the road die des nachts mit einer Spritze voll Blut Unheil angerichtet haben sollten. Gestützt wurde diese Vermutung durch das satanische Kreuz, das - zumindest den Polizisten - deutlich sichtbar über den Zotteln einer Tischdecke vor Augen stand.

Kollege Rex Sparks sah das nach fünfzehn Stunden reiner Blut-Spuren-Betrachtung am Fundort anders. Ihn wunderte vor allem, dass die Spritzer alle unterhalb einer Linie von 9 Zoll in der gesamten Wohnung und bevorzugt an Möbeln und Türdurchgängen auftraten. Erklärung: Die Frau hatte eine Venen-Schwäche sowie eine winzige punktförmige Verletzung an einem Bein. Bei jedem Schritt pressten die Muskeln durch das rasch wieder verheilte Löchlein venöses Blut, das aber nie höher als die Verletzung spritzte. Das Blut fand sich vorwiegend an Möbeln, weil die neunzigjährige Dame sich dort aufstützte - anders konnte sie  nicht durch die Wohnung navigieren. Eine DNA-Analyse bewies zuletzt, dass es sich wirklich um das Blut der Bewohnerin und keine teuflische Androhung handelte.

Zwei Versicherungs-Fälle veranschaulichten dann, dass es bei gründlicher Betrachtung der Blut-Spuren-Verteilung auch gut möglich ist, zu entscheiden, wer ein an den Baum gesetztes, mit mehreren Personen bestücktes Auto gefahren hat. In Deutschland sind hierbei vor allem die Kfz-Sachverständigen gefordert, da sie im Zweifel den Blutspurenkundler hinzuziehen müssen: Die deutsche Polizei ist es leider nicht gewohnt, bei Automobil-Sachen auf externe Blut-Experten zuzugreifen. Das ist in England kein Thema, da die Spurenkunde dort eh weitgehend privatisiert ist.

Dass die Privatisierung auf fruchtbaren Boden fällt, zeigt die Forensic Alliance, die 1997 mit drei Angestellten gegründet wurde. Die spurenkundliche Firma wuchs bis 2005 auf 200 Angestellte heran; vor zwei Monaten fusionierte sie mit dem Konkurrenten LGC und ist nun Großabnehmer polizeilicher Aufträge.

Interessant ist dabei nicht der geschäftliche Erfolg, sondern dass es so möglich ist, schlagkräftige multidisziplinäre Zentren zu schaffen. In deren Angebot fehlt die Algen-Untersuchung ebenso wenig wie DNA- und Drogen-Tests oder optische Rekonstruktions-Systeme. Das alles klappt ohne föderalen Schnickschnack und giftige Universitäts-Politik, sondern nur bezogen auf den zu bearbeitenden Einzelfall. Es handelt sich also um eine Ergänzung zur rechtsmedizinischen Forschung und der kriminalpolizeilichen Kern-Arbeit - ein drittes, recht handwerkliches Standbein für die Ermittlungen.

Zu kniffeln gab es beim Kongress sehr viel. In einem Fall des Kollegen Duncan Woods waren vor Gericht die für eine angloamerikanische Jury deutlich weisenden Formulierungen benutzt worden, dass

a) wegen Blutspuren an der Jacke unter dem Arm eines Beschuldigten dieser das blutende Opfer "offenbar" im Schwitzkasten gehabt habe

b) Spritz-Spuren auf dem Ärmel der Jacke "darauf hinweisen", dass sich der Beschuldigte in der Nähe des Opfers befand und dort "vermutlich" Kraft auf das Opfer einwirkte.

Hätten Kameras, mit der die gesamte Gegend (!) überwacht wird, nicht einwandfreie Bilder des Geschehens geschossen, wäre der Angeklagte aufgrund der - wörtlich genommen korrekten - Aussage des Sachverständigen verurteilt worden. Wie die Video-Aufnahmen aber deutlich zeigen, kamen sich Opfer und angeblicher Täter nie näher als zwei Meter (siehe Abb.)!

Es musste sich bei den scheinbar eindeutigen Blut-Spuren an der Jacke des angeblichen Täters also um von anderen übertragenes Blut des Opfers gehandelt haben. Hier zeigt sich, wie unendlich vorsichtig mensch vor expertenfixierten Jury-Gerichten sein muss. Es ist leider besser, als dröger Kauz dazustehen, als sich vorschnell zu Interpretationen hinreißen zu lassen, die dann von Laien als zwingend verstanden werden. Das erfordert aber Standhaftigkeit, denn Aufgabe eines Sachverständigen ist es natürlich, gerichtlich verwertbare Aussagen zu machen und nicht verwaschenes Zeug zum Besten zu geben.

Zu meiner großen Freude lösen alle bei der Konferenz Anwesenden das Problem, indem sie einfach für die gerichtliche Gegenseite (Anklage/Verteidigung) mitdenken und die daraus entstehenden, eben objektiven, Betrachtungen vor Gericht unaufgefordert durchsagen.

Nebenbei gab es von allen achtzig Blutspuren-ExpertInnen großes Lob für die europaweit zunehmende Verbreitung von Laminat-Fußböden. Die wohnlichen und schönen Bodenbeläge machen uns die Arbeit leicht, weil sich alle Spuren - egal, ob kontakt-, tropf-, oder spritzerartig - darauf einwandfrei abbilden. Zusammen mit der Kölner KTU ist es uns beispielsweise schon gelangen, eine dreifache Überlagerung (Haut, Socke, Schuh) in einer Blut-Spur auf Laminat auswertbar darzustellen.

Verblüffend war übrigens, dass nahezu alle TeilnehmerInnen (94%) der Konferenz schwarze Schuhe trugen. Das ist wohl als Tribut an den Job zu werten, weil alle anderen Schuh-Farben im Blut früher oder später ihren Geist aufgeben.

Abgesehen davon widerlegte die Küche des Hotels jedes Vorurteil gegenüber englischem Essen. Es schmeckte ausgezeichnet, war abwechslungsreich, frisch, schön heiß und bestach unter anderem durch einen warmen, in flüssiger Sahne stehenden Apfelkuchen mit viel lecker-knusprigem Streusel obendrauf (siehe Abb.).