Falkensee aktuell, Mai 2019, Nr. 158, Seite 51—52
Fragen: Carsten Scheibe, Fotos: Rocksau Pictures, Sonja Schröder, Ines Benecke & Christoph Hardt
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Dr. Mark Benecke ist Kriminalbiologe und Spezialist für forensische Entomologie. Sein Spezialgebiet ist es, ganz besondere Zeugen an einem Kriminaltatort zu befragen — Insekten, die auf Leichen leben. Anhand empirischer Daten lässt sich so etwa dank des dem Kriminalbiologen Entwicklungsstands einer Fliegenmade abhängig von der Temperatur, der Sonneneinstrahlung und anderen Faktoren erheben, wie lange eine Leiche schon an einer bestimmten Stelle gelegen hat.
Der Experte, der in Köln lebt, Hitlers Schädel und Zähne untersuchte, auf der Body-Farm der University of Tennessee an FBI-Trainings teilgenommen und Speziallabore in Kolumbien, Vietnam und auf den Philippinen errichtet hat, studierte Biologie, Zoologie und Psychologie an der Universität Köln. Mark Benecke promovierte mit einer Dissertation über genetische Fingerabdrücke.
Dr. Mark Benecke hat viele spannende Bücher über seine Fälle geschrieben und wird im Herbst seine Autobiografie veröffentlichen. Noch beliebter als die Bücher sind seine detaillierten Vorträge, die Titel wie „Insekten auf Leichen“, „Bakterien, Gerüche und Leichen“ oder “Blutspuren“ tragen. Hier gibt er Einblick in seine ungewöhnliche Arbeit und untermalt seine Worte mit unzensierten Fotos, die die Zuschauer so noch nie zuvor gesehen haben.
Am 30. März besuchte Dr. Mark Benecke zum ersten Mal die Falkenseer Stadthalle, um einen Vortrag zu halten. Die Veranstaltung war binnen weniger Tage restlos ausverkauft. Gut, dass „Dr. Made“ wiederkommt. Am 15. Februar 2020 wird er in Falkensee seinen Vortrag „Insekten auf Leichen“ halten.
Grund genug für Carsten Scheibe, den Kriminalbiologen zum Interview zu bitten.
Kommissar Schmeißfliege, Doktor Made – welche Namen hat man Ihnen in den Medien eigentlich noch alles gegeben?
Käpt‘n Falkensee.
Wie findet man eigentlich seinen Weg von der Biologie hin zu Insekten, die auf Leichen leben?
Unser Labor im Institut für Rechtsmedizin war im Keller. Da waren die Leichen und eben auch die Leichen-Insekten.
Arbeiten Sie noch aktiv als Kriminalbiologe?
Jau, mein Team und ich sind derzeit ungefähr bei Fall 1.500, zu denen wir eine Akte angelegt haben. Nebenbei gebe ich den Menschen einfach nur Tipps, etwa zum Thema Trauerbegleitung und dergleichen. Da legen wir aber natürlich keine Akte an.
Sie weisen immer wieder darauf hin, dass durch falsche Rückschlüsse am Tatort Fälle vermurkst werden. Sie propagieren, jede Information zu prüfen. Wie genau ist da Ihre Herangehensweise an eine neue Situation am Tatort?
Jeder Tatort ist neu. Es ist wichtig, vor Ort einfach erst einmal mit Kinderaugen zu gucken und alles spannend zu finden. Wirklich treffend finde ich das Sherlock Holmes‘sche Zitat: „I never guess. It is a shocking habit — destructive to the logical faculty“.
Verliert der Schrecken am Tatort mit der Zeit seine Intensität? Sieht man irgendwann nicht mehr den toten Menschen, sondern nur noch die Situation und die Tatortdetails?
Das war bei mir von Anfang an so. Anders frisst sich der Job glaube ich zu sehr ins Herz. Ich liebe Spuren, und die suche und bearbeite ich am Fundort — das muss genügen. Den Rest können die anderen — jeder kann was anderes.
Was sind eigentlich typische „Anzeiger“Insekten auf einer Leiche? Geht es da nur um Fliegen oder auch um Asseln und Käfer?
Asseln spielen keine Rolle, wenn es um die Leichenliegezeit geht: Wir kennen ihre Entwicklungsdauern nicht. Bei Fliegen sind vor allem Schmeißfliegen — die „Brummer“ — interessant, weil sie sehr früh kommen.
Ich hatte aber auch schon Leichen mit Käsefliegen und vielen anderen. Eine neue Art habe ich sogar selbst in Kolumbien endeckt, die Trauermücke Pseudolycoriella martita. Das Bestimmungs-Team und ich haben sie nach meiner insektenkundlichen Kollegin Marta Wolff benannt, mit der ich seit fast 25 Jahren in Kolumbien und Peru Trainings durchführe. Das winzige Tierchen stammte von einem verfaulenden Schwein im Wald; ich hab‘s in einer kleinen Flasche Rum aus Medellín transportiert. Käfer gibt es auch massenhaft, aber an eher trockeneren Leichen, beispielsweise Teppichkäfer oder Kurzflügler.
Gibt es solche Tierchen auch bei einer Wasserleiche?
Es gibt ein paar Studien dazu. Eine Kollegin hat Seepocken an Schuhen, die lange im Wasser lagen, untersucht — als Hinweis darauf, wie lange der tote Mensch dort lag. Es gibt auch Tiere, die gar nicht an der Leiche interessiert sind, beispielsweise Köcherfliegen. Sie heften sich an alles mögliche, und wenn wir Glück haben, können sie uns dann etwas über die Liegezeit einer Leiche im Wasser verraten.
Wenn Sie im Ausland unterwegs sind als Kriminalbiologe: Gibt es da nicht ganz andere Insekten an den Leichen?
Klar, das ist überall anders. Das ist ja das Schöne an meinem Beruf und meinem Leben.
Das große Insektensterben beschäftigt die Menschen. Beeinträchtigt das auch Ihre Arbeit, weil nicht mehr so viele Insekten auf den Leichen gefunden werden wie früher?
Alles mögliche beeinträchtigt meine Arbeit: Geld, Energie, Machtgeschubse und Wortgeklingel — et ist wie et is. Ich arbeite mit dem, was da ist und was machbar ist. Die Insekten-Sache siedelt höher an: Es ist ein Schlaglicht auf das ganz große Artensterben, in dem wir uns gerade befinden, der sechsten großen Auslöschungs-Welle des Lebens.
Da die Zusammenbrüche von Nahrungsnetzen dieses Mal uns Menschen treffen — Geld kann man zwar essen, es ist aber nicht nahrhaft —, brauchen wir uns kriminalistisch kaum Sorgen machen: Wenn‘s keine Kulturen mehr gibt, brauchen wir auch keine Spurenkunde mehr.
Sie haben einen eigenen Test entwickelt, der aufzeigt, ob Blutspuren am Tatort von der Tat selbst stammen oder ob Fliegen das Blut an neue Positionen getragen haben. Können Sie uns das kurz erklären?
Wir hatten einen Fall aus Nebraska, bei dem der Polizist ahnte, dass er vor Gericht nicht genau erklären kann, wo die kleinen, scheinbar schräg aufgetroffenen Blutspuren an einer Lüftung am anderen Ende des Raumes herkamen. In den USA kann das dazu führen, dass der Beweis insgesamt nicht zugelassen wird. Wir wollten also ausschließen, dass dieses echte Blut vom echten Opfer mit einer Waffe an den „unmöglichen“ Ort verschleudert worden war.
Dazu haben meine damalige Praktikantin Saskia und ich hunderte von Fliegen auf Tapeten-Streifen, Böden usw. erbrechen und koten lassen (das machen sie freiwillig). Danach haben wir errechnet, wie sich diese Spuren von Schleuderspuren bei einer Tat unterscheiden — durch ihre oft welligen Schwänze und ihren vergleichsweise kleinen Kopf.
Unsere Methode ist heute Standard, was uns mega freut, denn es war eine saumäßige und wie eigentlich immer unbezahlte Arbeit.
Sie sind viel unterwegs mit Ihren Vorträgen. Vor jedem Auftritt erkunden Sie die neue Stadt und machen Fotos für die Show. Worauf achten Sie dabei, was springt Ihnen ins Auge?
Das Reisen an sich ist toll: Einfach jeden Tag was Neues zu sehen. Um Berlin herum natürlich ist die Verspeckgürtelung spannend zu verfolgen. Dass Familien kurz vorher abgeschriebene Gegenden besiedeln, die erste Pizza-Bude aufmacht, dann ein Fahrrad-Laden, dann eine Eisdiele... läuft!
Im Westen ist es ganz lustig, die regionalen Unterschiede der Sauberkeit in fast grundsätzlich aus überalterten Gebäuden bestehenden Städten zu fotografieren. Ich lasse mich von morgens bis abends mit kindlichem Blick von einfach allem überraschen, was sich messen lässt.
Ihre Vorträge haben Titel wie „Insekten auf Leichen“, „Body Farm“, „Blutspuren“ oder „Serienmord“. Welchen Vortrag haben Sie am häufigsten gehalten, auf wie viele Zuschauer kommen Sie da? Und arbeiten Sie noch neue Vorträge aus?
„Mumien in Palermo“ ist recht neu, „Mafia in New York“ ist ganz neu. Ich habe die Zuschauer*innen-Zahlen noch nie ausgerechnet, aber es sind mittlerweile bei reinen Vorträgen mehrere hunderttausend in den letzten fünf Jahren.
Die Zahl ist mir eh egal, es freut mich viel mehr, wie interessiert, bunt gemischt und freundlich unser Publikum ist. Es gibt eine Fan-Gruppe mit hunderten Menschen, die ein Tattoo-Motiv von mir tragen und laufend bei Spendenaktionen für krebskranke Kinder, Tierschutz und so weiter mitmachen. Wer hat schon so viele lebensfreundliche, liebevolle Homies?
Wenn man Ihren Vortrag besucht, hat man den Eindruck, als würden auf Ihrem Bildschirm nur Stichwörter stehen und Sie erzählen völlig frei. Ist das so? Und ist damit jeder einzelne Vortrag ein reines Unikat?
Eigentlich sollten auf der Leinwand und auf meinem Bildschirm gar keine Wörter stehen, sondern nur Bilder zu sehen sein. Das lernen die Studierenden auch seit fast zwanzig Jahren in unseren Kursen. Und ja, jeder Vortrag ist ein Unikat, und die Einleitung davor ist noch „unikatischer“, denn diese Bilder von den Spuren auf der Anreise zeige ich meist nur ein einziges Mal.
Sie treten für die PARTEI an, leben vegan, sind DONALDIST, lieben Tattoos, sind Vorsitzender der Dracula-Gesellschaft und der dunklen Szene zugetan.
Haben wir noch etwas vergessen?
Bestimmt!
Sie schreiben viele Bücher, darunter auch Experimentierbücher für Kinder. Wie erleben Sie Kinder, wie gehen sie mit dem Tod, mit Mord und der Forensik um?
Kinder sind völlig entspannt. Ich mache mit Hoch- und Höchstbegabten Trainings, in allen möglichen Schulen. Tina — meine Mitarbeiterin — und ich haben auch schon in der Psychiatrie mit den Kids Unterricht gemacht. Das beste an Kriminalfällen ist, dass Kinder Spaß am Tüfteln haben, ohne wie Erwachsene irgendwelchen Scheiß mit in den Fall zu schleppen: Sexuelle Fantasien, Rache-Gelüste, Krimi-Tricks. Sie sehen die Spuren klar und sauber...
Kinder sind von Natur aus gute Naturwissenschaftler*innen. Sie glauben nichts und prüfen alles, wenn man sie nur lässt. Ich lasse sie. Klappt top. Die sozialen Dinge sind für die Kinder dabei absolut klar: Man soll anderen nicht weh tun oder was weg nehmen, basta.
Haben Sie noch ein Tatort-Team? Bilden Sie noch Forensiker aus?
Ja, ich arbeite nur in Teams. Beispiele dazu finden sich in meinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Dazu gibt es auch die Sammel-Seite www.beneckepapers.com.
Gibt es noch einen Lebensplan jenseits der Vorträge? Was haben Sie in Ihrem Leben noch vor?
Jenseits der Vorträge?
Ich bearbeite Fälle. Und ich trete zur Europa-Wahl an. Noch mehr hier: www.benecke.com.