Ein Kriminalbiologe auf Wahrheitssuche

Quelle: Berliner Anwaltsblatt, Ausgabe Mai 2016, 65. Jahrgang (darin: Thema), Seiten 1 bis 2

Ein Kriminalbiologe auf WahrheitssucheInterview mit Dr. Mark Benecke, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Sicherung,Untersuchung und Auswertung kriminaltechnischer Spuren (IHK Köln)

VON DR. ASTRID AUER-REINSDORFF

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„Er ist Vorsitzender der Deutschen Dracula-Gesellschaft. Er ist Mitglied des Komitees des Nobelpreises für kuriose wissenschaftliche Forschungen. Er ist der bekannteste Kriminalbiologe der Welt. Er ist Dr. Mark Benecke. Und er ist jeden Samstag zwischen 9.00 und 12.00 Uhr zu Gast in der Sendung Die Profis auf radio eins ...“

Mark Benecke, 1970 in Rosenheim geboren, lebt in Köln und ist Kriminalbiologe und Spezialist für forensische Entomologie. An der Universität zu Köln studierte er unter anderem Biologie, Zoologie und Psychologie. Dort promovierte er über genetische Fingerabdrücke, bevor er verschiedene ermittlungstechnische Ausbildungen der Kriminalbiologie in den Vereinigten Staaten, darunter an der FBI-Academy, durchlief. Er wird als Sachverständiger hinzugezogen, um bei vermuteten Gewaltverbrechen mit Todesfolgen biologische Spuren auszuwerten. Er ist darüber hinaus Ausbilder an deutschen Polizeischulen sowie Gastdozent zu kriminalbiologischen Themen, Autor, Interviewpartner und Talkshowgast zu kriminalistischen Fragen und wissenschaftlichen Phänomen sowie Vortragsreisender.

Dr. Auer-Reinsdorff: Wie und warum sind Sie Kriminalbiologe geworden?
Dr. Benecke: Ich bin Biologe geworden, weil es in der alten „Hutablage“ (früher trugen die Menschen ja noch Hüte, als ich studierte, aber nicht mehr) immer gute Partys der Fachschaft gab. Ich war auch für Germanistik, Theaterwissenschaften und Psychologie eingeschrieben, aber da waren die Leute irgendwie nicht so richtig vorhanden oder nicht auf meiner Wellenlänge oder ich war zur falschen Zeit da. Egal, so kam es jedenfalls zur Biologie, und von da aus zur Kriminalbiologie.

Dr. Auer-Reinsdorff: Was ist forensische Entonomologie?
Dr. Benecke: Die Untersuchung von Insekten und deren Resten, die an Tatorten, Leichen oder TäterInnen zu finden sind. Wir schauen dann, ob die Tiere uns etwas sagen: Wo leben die Tiere normalerweise? Wie alt sind sie? Was fressen sie? Welches Fäulnisstadium zieht die erwachsenen Tiere an? In welchem Land leben die Tiere? Warum finden wir sie nur am Bein, nicht aber im Auge? Es ist sehr biologisch, mein Team und ich mögen die Tiere (wirklich), und ehrlich gesagt kennen wir uns auch besser mit Tieren aus als mit Menschen.

Dr. Auer-Reinsdorff: Wann und von wem werden Sie beauftragt?
Dr. Benecke: Ich bin als einziger Sachverständiger in Deutschland für „Kriminalistische Sicherung, Untersuchung und Auswertung biologischer Spuren“ öffentlich bestellt und vereidigt. Bei der Vereidigung in der Industrie- und Handelskammer schwört man, von jedem Menschen Aufträge anzunehmen. Das hätte ich auch ohne Schwur gemacht, aber so ist es amtlich: von jedem, ausnahmslos.

Für den Auftragsfall hat Benecke auf seiner Website [1] dann auch klar das Nötige in einem Leitfaden für die Fallbearbeitung und einer Notfall-Anleitung zur Asservierung Insektenkundlicher Spuren zusammengefasst. Hier findet sich auch der deutliche Hinweis, dass das Hinzuziehen strafrechtlicher anwaltlicher Beratung nötig ist. Da das Einsammeln von Fliegen, Insekten u. ä. dem einen oder anderen Anwalt und Mandaten Schwierigkeiten bereiten könnte, schließt seine Anleitung mit: „Auch eine rasche, unvollständige Asservierung von Insektenmaterial kann im Einzelfall genügen, um eingegrenzte kriminalistische Fragen zu beantworten. Nur Mut!“

Dr. Auer-Reinsdorff: Wie sieht ein für Sie brauchbarer Beweisantrag aus, um Zweifel z. B. am Zeitpunkt des Todes auszuräumen bzw. den korrekten Todeszeitpunkt bzw. Zeitpunkt eines Gewaltverbrechens zu ermitteln?
Dr. Benecke: Ist mir nach über zwanzig Jahren völlig egal geworden. Die Fälle, die wir mittlerweile kriegen, sind alle in der Sherlock-Holmes-Liga, also wirklich sehr „gefährlich“, weil sie entweder zu offensichtlich sind oder zu schräg. Wir sieben also aus dem ganzen Geflitter die naturwissenschaftlich messbaren Tatsachen heraus und schlagen weitere Experimente vor.

JuristInnen sind danach meist schon draußen, weil sie ja eine „Interessenvertretung“ durchführen und die Wahrheit dabei selten so interessant ist, dass sie offengelegt werden soll. Es gibt aber eine kleine, feine Schar von JuristInnen, die unseren drögen und harten Wahrheitsbegriff verstehen möchte und dann mitmacht. Das ist immer sehr schön und vor allem auch gegenüber den Angehörigen menschlich.

Allerdings haben wir auch viele Fälle, in denen niemand mehr zuhört, weil der Fall schon zu Ende verhandelt ist, nie eröffnet wurde, durch die Instanzen gegangen ist oder kein Geld mehr da ist. Dann reden wir mit den Angehörigen und versuchen, gemäß deren Berichten, Akten und Hinweisen, die Spuren zu finden. Manchmal ist das einfacher – wenn etwa ein Haus seit der Tat leer steht und darin noch massenhaft Spuren sind –, manchmal schwieriger, wenn – was oft der Fall ist – die Spuren am Tatort vernichtet und auch nicht mehr bei der Staatsanwaltschaft verwahrt und verschwunden sind.

Dr. Auer-Reinsdorff: Was sollte eine Verteidigerin in einem Mordfall über Spurensicherung wissen? Sonst ein Tipp an die anwaltlichen Berater?
Dr. Benecke: VerteidigerInnen sollten den Mut haben, auch die Wahrheit zu vertreten, nicht nur die Interessen der KlientInnen. Da wir aber nicht im Glücksbärchenland leben, und da der VerteidigerInnenberuf anderen, ebenso wichtigen Zielen dient, wird das nie so werden. Daher habe ich keinen guten Rat, leider.

Dr. Auer-Reinsdorff: Können Sie uns den für Sie überraschendsten Fall schildern?
Dr. Benecke: Ein Beispiel: Eine Familie kommt zu uns, Sohn tot. Der Sohn soll angeblich barfuß bei Minusgraden kilometerweit betrunken mit seiner Matratze durch den Schnee gewandert und dann von einer Brücke gestürzt sein – samt genannter Matratze. Ermittlungen werden nicht aufgenommen, da es ja ein Unglücksfall ist.

Es hat Jahre gedauert, bis der Täter verurteilt war, nachdem die Leiche zudem noch exhumiert werden musste. Alles nur auf Initiative der Eltern.

Dr. Auer-Reinsdorff: Und abseits: Was fasziniert Sie an Vampirismus? 

Dr. Benecke: Bei den Kongressen mischen sich viele schöne Wissensfelder, von denen ich wenig verstehe: Geschichte, Musik, Literaturwissenschaften, Architektur ... Ich mag es inter- und multidisziplinär.

Das Vampir-Thema motiviert viele Menschen, ihr Fach einmal an diesem Thema zu messen, was sie sonst nicht so gerne für weitere Kreise tun würden: „Warum ist Gruselmusik in Moll geschrieben?“, „Wie entstanden die ganzen verlassenen Burgen und Schlösser mit buckeligem Ehepaar darin?“, „Was hat Bram Stoker in seinen Aufzeichnungen zu ‚Dracula‘ niedergeschrieben, und warum sollte der Roman eigentlich in der Steiermark spielen?“ – und so weiter. Macht mir Spaß, so etwas, auch die Subkultur-Studien.

Und es schärft den Geist für neue Fälle: Es ist wirklich alles möglich, aber man muss zum Beweis experimentelle Ausschlüsse durchführen. In den Worten von Sherlock Holmes: „Once you eliminate the impossible, whatever remains, no matter how improbable, must be the truth.“

Auf der Website von Dr. Mark Benecke [2] findet sich neben zahlreichem Informations-, Bild- und Videomaterial der Buch- und CD-Shop [3] mit seinen Buch- und Hörbuchveröffentlichungen. Hier finden Sie auch die Termine, wann Benecke wieder live mit einem seiner Vorträge zu sehen ist, in Berlin z. B. am 23.6. mit „Serienmord“ und am 24.6. mit „Mord im Museum“.

Wer sich mit der Spurensicherung ausprobieren will, schafft sich den Ravensburger Experimentierkasten „Spurensicherung am Tatort“ an – insgesamt zwölf Versuche werden abgedeckt: klassische Dinge wie Fingerabdrücke, Fußabdrücke und Reifenabdrücke nehmen, Tatort vermessen, Tropfenformen analysieren, Zeugenaussagen einschätzen, Suchbilder lösen, DNA isolieren und als Bonusversuch die Tatzeitpunktbestimmung mit Hunde- oder Katzenfutter.

Mit herzlichem Dank an Dr. Astrid Auer-Reinsdorff und die Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.