Die dunkle Seite des Mondes

Biologe Mark Benecke im Interview zum Kinostart

Text: Barbara Kotzulla

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Seit Jahrhunderten wird der Drogenrausch in Büchern, der Musik und in Filmen verarbeitet. Auch in der Bestsellerverfilmung "Die dunkle Seite des Mondes" (Kinostart: 14.01.2016) geht es um die Macht der "magischen" Pilze. Aber wie genau fühlt es sich an, wenn man einen Pilztrip durchmacht? Was passiert dabei im Gehirn? Können diese Drogen wirklich die Persönlichkeit verändern? Der Kölner Kriminalbiologe Mark Benecke hat die Antworten.

EIN "VERSCHMELZUNGSGEFÜHL MIT DER WELT"

UNICUM: In "Die dunkle Seite des Mondes" leidet die Hauptfigur Urs Blank (Moritz Bleibtreu) nach dem Verzehr halluzinogener Pilze an einem enormen Kontrollverlust. Gewaltausbrüche gehören zur Tagesordnung und treiben Blank fast in den Wahnsinn. Kann sich durch einen Pilztrip tatsächlich die Persönlichkeit verändern?

MB: Nur bei Menschen, die schon eine Neigung zu Wahnvorstellungen haben. Sie reden dann vorher schon über Überwachung oder Verfolgung, können manchmal Stimmen hören und dergleichen. Wer zu solchen schweren seelischen Veränderungen neigt, kann auf halluzinogenen Stoffen "kleben" bleiben, mal länger, mal kürzer, in seltensten Fällen auch für immer. Das, was im Film dargestellt wird, passiert aber nicht – diese Romanfigur hat irgendwelche anderen Probleme, die nichts mit Pilzen zu tun haben.

Am häufigsten werden Menschen, die halluzinogene Pilze essen, übrigens dauerhaft friedfertig, mild und fühlen sich mit der Erde und anderen Menschen liebevoll verbunden. Das ist sehr auffällig und der Grund dafür, dass halluzinogene Pilze in modernen Fachstudien, besonders im Vergleich zu Alkohol, Koks, Speed, Heroin oder Crystal, als harmlos eingestuft sind.


Was verbirgt sich biologisch hinter dem Konsum von Pilzen? Was erzeugt diese halluzinogene Wirkung im menschlichen Gehirn? 

Die in den "magischen" Pilzen enthaltenen Stoffe wirken in normalen Mengen "entheogen". Das bedeutet, dass man damit meist keine echten Halluzinationen erlebt, sondern eher ein Verschmelzungsgefühl mit der Welt, der Zeit, der Natur, der Menschheit, mit Gott oder ähnlich großen Nummern. Viele Leute staunen oder lächeln daher unter dem Einfluss der Pilze, weil sie das natürlich sehr eindrucksvoll finden. Manchmal werden aber auch einfach textile Oberflächen interessant, weil sie sich weicher anfühlen oder Musik kann eine ganz andere Tiefe erreichen. Oft sind Farbwechsel sehr interessant, daher die Lavalampen. Bei höheren Dosen kann es zu Geräusch- oder seltener auch visuellen, echten Halluzinationen kommen. Meist können sich die Menschen aber noch orientieren, obwohl sie oft nicht wissen, wie viel Zeit gerade vergeht. Es kommt auf die Art der Pilze oder Pilzknollen an, die verschiedene Mengen und Zusammensetzungen der wirksamen Stoffe enthalten. In Amsterdam steht mittlerweile auf den Packungen drauf, welche Wirkungen am ehesten zu erwarten sind, eben je nach Art der Pilzknollen.

Wie bei allen Substanzen kann es natürlich auch schlechte Erfahrungen geben, also innere Bilder, die einem nicht gefallen. Daher legen die meisten Pilzesser Wert auf eine von Vornherein angenehme Umgebung und ein friedliches "Setting". Die beiden Hauptbestandteile der "magischen" Pilze Psilocybin und Psilocin sorgen vorübergehend dafür, dass einige Hirn-Zentren weniger stark arbeiten. Das Gehirn wird also verlangsamt.

WIE KOMMT ES ZU "BAD TRIPS"?"

Kann man einen Pilzrausch mit anderen halluzinogenen Drogen (wie beispielsweise LSD, Meskalin oder einem Ayahuasca) vergleichen? 

Ja, schon. Es gibt aber immer Unterschiede, so wie man teuren Wein eher nicht am Kiosk trinkt, Champagner nicht im Studierendenclub beliebt ist (zumindest nicht in denen, die ich kenne), im Karneval eher Bier als Likör getrunken wird usw.: Einerseits sind die Begleitstoffe – obwohl das Getränk immer "Alkohol" ist – verschieden (und sie wirken auch verschieden), andererseits hängt das Setting, also der Ort und die Art und die Menge des Konsums auch mit der Art des alkoholischen Getränkes zusammen.

So ist es auch mit den verschiedenen Arten entheogener Stoffe – sie ähneln sich, aber es gibt auch feine Unterschiede. LSD wirkt beispielsweise länger und kann, weil die Dosis leichter höher gewählt werden kann ("magische" Pilze schmecken recht ekelig), auch leichter zu stärkeren Effekten führen.

Wie kommt es zu sogenannten "Bad Trips"? Und wie kann man von diesen wieder runterkommen? 

Das wie oben erwähnt verlangsamte Gehirn drückt – besonders, wenn man sich ohnehin seelisch schlecht fühlt – Bilder und Gefühle nicht mehr unbedingt weg, die unangenehm sind. Runter kommt man am besten dadurch, dass Freund/innen mit der Person reden und sie "runterlabern", also die Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken. Ich frage bei "Bad Trips" aber immer ganz genau, was sonst noch eingenommen wurde, weil beispielsweise Alkohol, Kokain oder Speed ihre eigenen Wirkungen im Gehirn entfalten und nicht selten einfach alles durcheinander eingenommen wurde. Dann läuft das Gehirn entsprechend schräg, und Pilze öffnen eben ein paar Kanäle, die bei Misch- oder Party-Konsum besser geschlossen bleiben.

DAHER STAMMT DAS WISSEN UM "MAGISCHE" PILZE

Was sind die weiteren Risiken beim Konsum von psychedelischen Pilzen? 

In Amsterdam wurde Alkohol aus den Bar-Bereichen verbannt, in denen THC und "magische" Pilzknollen verzehrt werden dürfen. Das finde ich sehr gut. Alkohol plus egal welche Substanz ist immer schlecht. Das Risiko besteht darin, dass unerfahrene Benutzer/innen im Suff nicht mehr wissen, was gerade läuft – die Eindrücke durch die Pilze können sehr lebhaft sein – und beispielsweise in eine Gracht fallen.

Mir gefällt die Amsterdamer Regelung: Tiefe, seelische, "entheogene" Erfahrungen sollte man nicht mit einer komplett profanisierten Droge wie Alkohol verhuddeln und vermurxen. Das ist so, als würdest du ein über Jahre mit Liebe gefertigtes Schmucktuch als Putzlappen verwenden.

Woher stammt eigentlich ursprünglich die Idee, Pilze zu essen, um in einen Rauschzustand versetzt zu werden? 

Das ist durch Zufall passiert. Menschen und Tiere essen halt alle möglichen Pilze, und das Ergebnis bei einigen davon – veränderte Wahrnehmung, Gefühl der Leichtigkeit, bei Tieren vielleicht auch merkwürdiger Gang und ähnliches – hat man dann schnell der betreffenden Pilzart zugeordnet. Viele der "magischen" Pilze wachsen auf Kuhweiden, so dass es also durchaus auch an Tieren beobachtet worden sein mag. Außerdem sehen sie auch komisch lang und dünn aus, so dass man sie leicht von anderen Speisepilzen unterscheiden kann und sich daran erinnert, dass da doch so komische "andere" Pilze unterwegs waren.

In den 1950er-Jahren kam das Wissen über die "magischen" Pilze dann in den Westen, nachdem sich Gordon und Valentina Wasson, Allen Richardson und Roger Heim mal vor Ort in Mittelamerika darum gekümmert hatten, was genau an den alten Berichten dran ist. Kurz darauf wurde auch der eigentliche Wirkstoff im Labor entdeckt, so dass man ganz klar den Zusammenhang zwischen den Wirkstoffen, deren Menge und dem jeweiligen seelischen Erleben zeigen konnte.

"DOPT EUER GEHIRN DURCH WISSEN!"

Inwiefern eignen sich psychedelische Drogen wie Pilze zum Gehirndoping? Kann ich im Rausch mein Wissen steigern oder schottet er mich eher von einem Lerneffekt ab? 

Hängt davon ab, was du als "Wissen" ansiehst. Ich kenne sehr viel Medizinstudierende, die Speed verwenden, um wach zu bleiben und sich Fakten für Prüfungen reinzuhämmern. Sowas geht mit Pilzen nicht, da interessieren dich auf einmal – siehe oben – gewebte Oberflächen, Musik, Licht, das Leben als solches und so was. Das wird ja in der Regel nicht in Uni-Prüfungen abgefragt. Ich glaube generell nicht an Gehirn-Doping, sondern daran, dass jede/r sich damit beschäftigen sollte, wozu er/sie Neigung und Talent und Spaß an der Freude hat.

Was halten Sie generell vom Thema Gehirndoping? Viele Studierende greifen ja zu teils illegalen Substanzen, um beim Lernen die Gehirnleistung und Wachsamkeit zu steigern. Halten Sie das für verwerflich? 

Es ist einfach beknackt, sich einen frei erfundenen Leistungsdruck einreden zu lassen, den es nicht gibt. Alle Uni-Absolvent/innen kriegen einen Job, wenn sie nicht aus anderen Gründen am Rad drehen – niemand hat beweisbar bessere Berufsaussichten als Akademiker/innen. Dass Wirtschafts-Fuzzies euch einreden wollen, dass ihr immer früher und immer schneller immer mehr Leistung bringen sollt: Mittelfinger hoch. Dopt euer Gehirn durch Reisen, Zuhören, Staunen, Menschenfreundlichkeit, Humanismus und Wissen – das reicht.

Mit Drogen zu experimentieren – das wird meistens mit der Studienzeit in Verbindung gebracht. Im Film ist es aber nun ein Wirtschaftsanwalt, der zu Pilzen greift. Wer ist denn wirklich die Zielgruppe für psychedelische Drogen? 

Wahrscheinlich aktuell wirklich eher Studierende, die entheogene Substanzen entweder als Party-Droge verwenden (bad Idea!) oder mit Freund/innen auf eine Art chillige Reise gehen wollen. Meiner Erfahrung nach hören die meisten Menschen mit Beginn des Berufslebens damit auf, weil sie dann sozusagen gelernt haben, was durch die Droge zu lernen ist und sich anderen Abenteuern zuwenden – Familie, Erwachsensein, Real Life. Es gibt aber natürlich auch ältere Menschen, die neugierig bleiben und sich die Zeit nehmen – sei es wie der 2014 verstorbene Sasha Shulgin, der als Chemiker sein ganzes Leben nichts anderes gemacht hat, als neue Entheogene zu synthetisieren, mit seiner Frau auszuprobieren und zu bewerten, sei es als bewusst inszenierte Reise zum Selbst.
 

Mit großem Dank an Barbara Kotzulla und die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.