Quelle: Saarbrücker Zeitung, 9. Juli 2015
"Ich tendiere zur Verwesung"
Kriminalbiologe Mark Benecke über die Ausstellung „Körperwelten“ und seine Arbeit
[Den Artikel gibt es hier im Original]
Text: Marko Völke
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Im Begleitprogramm der „Körperwelten“-Ausstellung“, die noch bis 13. September in der Saarbrücker Congresshalle zu sehen ist, hielt der Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke gleich zwei Vorträge im ausverkauften großen Saal.SZ-Mitarbeiter Marko Völke traf den „Herr der Maden“, der weltweit bei vielen Fällen mitgearbeitet hat, vorab zum Interview:
Was fällt Ihnen spontan zum Saarland ein?
Mark Benecke: Ich hatte hier schon eine Freundin und wurde bereits in die Geheimnisse des Schwenkens eingeweiht. Und ich hatte auch schon Studierende aus dem Saarland. In unserem allerersten Forensik-Kurs, den wir in Köln gemacht haben, kamen die tatsächlich mit einem Schwenker. Ich habe erst jetzt, viele Jahre später verstanden, wie wichtig das ist.
Würden Sie sich als Spender für die „Körperwelten“ zur Verfügung stellen und was fasziniert Sie an der Ausstellung?
Mark Benecke: Die Spender sind ja eigentlich anonymisiert. Deshalb müsste ich dann ohne Haut in die Ausstellung. Mir ist das eigentlich egal. Ich bin eher pro Verwesung. Es sind ja jetzt auch genügend Spender da. Ansonsten würde ich das sofort machen. Aber so tendiere ich eher zur Verwesung.
Ich habe ja früher in Köln auf der Ausstellung gearbeitet und finde es dabei eigentlich am interessantesten, wie total entspannt die Leute eigentlich sind und sich da ihre eigenen Fragen beantworten. Der eine hat irgendwie eine Frage zum Darm, der andere zum Herzen, der andere ist ein bisschen neugierig und bleibt dann irgendwo hängen.
Es war gut, dass Angelina Whalley und Gunther von Hagens von Anfang an immer die Befragungen beim Rausgehen gemacht haben. Das fand ich sehr, sehr interessant. Also das die Leute sich überhaupt nicht von dem ganzen Medienhype beeinflussen lassen. Der ist ja heute auch nicht mehr so wild. In Köln gab es noch wochenlang jeden Tag eine Seite-Eins-Meldung. Die einzigen, die total entspannt waren, waren die, die in der Ausstellung waren. Das haben wir auch sonst in der Welt bei Politik, Sportereignissen und Kriminalfällen. Dass es immer ein Riesen-Theater um irgendwas gibt, aber die Leute, die beteiligt sind, eine völlig andere Sicht darauf haben.
Gibt es für Sie überhaupt den perfekten Mord?
Mark Benecke: Ja gut, perfekte Morde würden wir ja nicht erfahren. Also die Fälle, die ich gesehen habe und in die Nähe des Nicht-Entdeckens gekommen sind, waren sehr unterschiedlich. Die allermeisten Fälle sind einfach durch totale Dreistheit, kurzfristige, irrationale, wirklich dumme Entscheidungen geprägt.
Ein gutes Beispiel ist diese Tötung in der Nähe vom Kreml. Dieser Geheimdienstmord, wo der Müllwagen vorfährt. Das wissen die meisten Leute gar nicht, dass das eine klassische Geheimdienst-Tötung mit einem großen Auto ist, das unauffällig ist, aber auch ein bisschen Schutz vor Schüssen oder sonst etwas gibt. Das Delikt ist eigentlich aus dem Lehrbuch und war eigentlich perfekt. Aber das hätte auch total schief gehen können, wenn da jetzt genau in dem Moment doch jemand vorbei gegangen wäre, wäre es nicht mehr perfekt gewesen. Ich denke mal: Wenn man die Delikte spurenkundlich vernünftig bearbeiten kann, findet man die Täter auch. Nur hat man leider nicht überall die Ressourcen, um das zu machen.
Wie schalten Sie von Ihrem Beruf ab?
Mark Benecke: Ich muss nicht abschalten. Aber zum Beispiel heute Nacht habe ich irgendwie mal eine halbe Stunde nicht geschlafen und dafür habe ein neues, sehr schönes Häschenspiel auf dem Smartphone gespielt. Da gibt es keine Kämpfe und Wettbewerbe. Aber das ist nur Quatsch. Ich brauche das eigentlich nicht zum Abschalten. Das hat auch nichts mit Abstumpfung zu tun. Mich belastet meine Arbeit nicht, sondern ich mache sie einfach gerne.
Sie arbeiten auch für das FBI. Das hört sich sehr spannend an…
Mark Benecke: Ist es aber überhaupt nicht. Ich war auf der FBI-Akademie und habe auch mal ein Training für die FBI-Leute an der Universität Tennessee gemacht. Das ist ganz friedlich, kollegial, ganz normales Polizeitraining. Alle sind natürlich ganz konzentriert und super engagiert und so.
Das hat nichts damit zu tun, was man sich in Kinowelten darunter vorstellt – also mit Hubschrauberfliegen und so. Ich bin mit denen zwar mal mit dem Hubschrauber geflogen, aber da musste ich mich leider übergeben.
Haben Sie einen Wunschfall, an dem Sie gerne arbeiten würden?
Mark Benecke: Eigentlich nicht. Es gibt halt Fälle, die sind so doof, wo man eigentlich weiß, wie die Spurenlage ist. Bei Uwe Barschel zum Beispiel fehlt ja halt diese Weinflasche. Das wäre natürlich ganz nett, die mal zu untersuchen. Ob dann genau die Fingerabdrücke drauf sind, von denen man jetzt denken würde, dass sie drauf sind… Aber dann hätte man wenigstens mal Spuren.
Aber ansonsten ist mir das egal. Ich finde die Fixierung auf irgendwelche historischen Fälle überhaupt nicht spannend. Jeder normale Fall ist für mich total aufregend und hat auch reichlich Abgründe und Tiefen. Wir hatten zum Beispiel gerade einen, da ist ein Haar von van Gogh in einem Gemälde, das ich rausholen musste. Das hat überhaupt keinen interessiert obwohl wir gedacht haben: „Wie spannend kann es denn noch werden?“ Und dann gibt es wieder Fälle wie zum Beispiel eine eingemauerte Leiche, die dann später aus ganz anderen Gründen Aufmerksamkeit erregt hat, weil es da eine Klage gab. Die Besitzerin, der das Haus jetzt gehört, wollte das Bundesland verklagen, weil es den Leichengeruch durch das Haus hätte ziehen lassen.
Also die Fälle haben alle total rätselhafte Schräglagen. Da spielt es überhaupt keine Rolle, ob das jetzt bekannte Tote sind oder nicht. Und auch die Fälle an sich sind immer schräg. Bei Tötungsdelikten ist es oft so, dass einer gesteht und der Ehepartner beispielsweise die kaputte Lebensgeschichte und die Dynamik in der Beziehung erzählt. Und dann ist die Sache polizeilich eh geritzt. Was in Wirklichkeit passiert ist, guckt sich dann keiner mehr an. Außer ab und zu mal ein verrückter Verteidiger. Aber die arbeiten halt auch nicht für die Wahrheit, sondern für ihre Mandanten. Das heißt: Wir als Spurenkundler stehen ziemlich alleine da. Aber wenn man mal die Spuren hat und dann die Wahrheit sieht gibt es auch im kleinsten, scheinbar nebensächlichsten Fall eine Blutspur, die überhaupt nicht zu der ganz runden Geschichte passt. Und wenn Du nach 15 Jahren im Knast zu dem Täter hingehst und sagst: „Nur mal so. Wie ist diese Spur damals wirklich entstanden? Wenn Sie es mal erzählen wollen?“ Dann tun die das oft einfach.
Obwohl sie international tätig sind und viel zu tun haben, treten Sie im Herbst bei der Kölner Oberbürgermeisterwahl an. Woher nehmen sie die Zeit?
Mark Benecke: Ich zeige gar nicht viele Tatortbilder, ehKöln ist halt eine total korrupte, verklüngelte Stadt. Man sagt, dass das die nördlichste Stadt Italiens ist, was sich natürlich zum einen auf die echte Mafia bezieht, die es dort gibt. Aber auch den berühmten Kölschen Klüngel. Das hat viel Schönes – kurze Wege und so – aber leider gibt es da auch eine Schattenseite. Köln ist extrem verfilzt und normale Menschen finden bei der Stadtverwaltung keinerlei Gehör mehr. Das ist schon ätzend und da möchte ich halt schon mal ein bisschen rein grätschen. Bis jetzt gibt es erst einen Kandidaten von einer großen Partei und eine Kandidatin, wo alle anderen Parteien sich zusammengeschlossen haben – was ja sehr grotesk ist – und mich. Wenn die Wahlbeteiligung niedrig ist, wonach es im Moment aussieht, dann sieht es gut für mich und die Stadt aus.
Mit herzlichem Dank an die Redaktion der Saarbrücker Zeitung und Marko Völke für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.