Quelle: Der Spiegel, Job, 2/2014, Seiten 92 bis 95
Business Punks
TEXT: ANNE HAEMING
FOTOS: DOMINIK PLERSCH [Hier gibt's den Artikel als PDF]
Die Freiheit endet im Beruf oft am Hemdkragen oder Rocksaum.
Fünf Tätowierte erzählen, wie sie ihre Körperkunst in Vorstandsbüros, Klassenzimmern oder Gerichtssälen verstecken.
Als es Maik Frey zu bunt wurde, legte er ein paar Regeln gleich vorn in die Glastheke seines Tattoo-Studios: "Lieber Kunde, in unserem Studio machen wir keine Erst-Tattoos an Handgelenk, Unterarm und Hals." Frey ist da streng: Nur Kunden, "die schon über 25 sind, tätowieren wir an den o. g. Stellen". Dann sei klar, "ob man Probleme im Job bekommt oder nicht". Fünfmal oder öfter pro Woche schickt er junge Leute erst mal zum Lesen. Wer nicht volljährig sei, bekomme eh kein Bild gestochen.
Frey (58) ist Sprecher der Deutschen Organisierten Tätowierer (DOT) und seit einem Vierteljahrhundert Tattoo-Profi. "Wilde 13" heißt sein Studio in Esslingen, eines von rund 6000 offiziell gemeldeten in Deutschland. Der Job sei nicht mehr derselbe, erzählt er. Tätowierungen seien Konsumartikel geworden, die man kaufe "wie ein Teilchen von H&M". Gerade weil Hautbilder heute zum Promi-Look gehören, sieht sich Frey in der Pflicht, jungen Fans die Augen zu öffnen. "Ich sage immer: ,Die Rihanna hat ein volles Konto, die braucht sich nicht darum zu kümmern, ob dem Arbeitgeber ein Tattoo gefällt.'"
Die Altersgruppe der Berufsanfänger trägt die meisten Tattoos, ergab eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung und der Bochumer Uni. Gut jeder Fünfte zwischen 25 und 34 Jahren hat eines oder mehrere. Längst sind Tätowierungen über alle Gesellschaftsschichten verbreitet. Im Berufsleben blieben sie trotzdem tabuisiert, sagt der Münchner Arbeitsrechtler Marco Ferme - "ein Paradox". Noch immer seien Arbeitgeber sehr restriktiv. Das zeigte der Fall einer jungen Frau, die sich ein Zitat aus dem Kinderbuchklassiker "Der kleine Prinz" großflächig auf den Unterarm tätowieren ließ: "S'il te plait ... apprivoise-moi!" ("Bitte ... zähme mich!"). Darum durfte sie nicht am Auswahlverfahren zur Ausbildung bei der Bundespolizei teilnehmen; im Mai 2014 gab das Verwaltungsgericht Darmstadt dem Arbeitgeber in einem Eilverfahren recht.
Anwalt Ferme spricht von einer Fehlentscheidung: „Wenn die Uniform ein Tattoo verdecken kann, sollte es kein Hindernis sein." In einem ähnlichen Fall stufte das Verwaltungsgericht Aachen vor zwei Jahren das Persönlichkeitsrecht eines Bewerbers höher ein als das pauschale Argument, Polizisten müssten stets neutral auftreten. "Ein Graubereich", sagt Ferme, "es ist Sache des einzelnen Dienstherrn und kann somit von Bundesland zu Bundesland anders geregelt sein." Auch in der Bundeswehr gelten seit Anfang 2014 neue, strenge Regeln. So seien Piercings stets abzulegen, Tattoos "in dezenter Weise abzudecken".
Bewerbern bei Unternehmen rät der Arbeitsrechtler, Tattoos zu verschweigen, die man nicht sehe. Im Normalfall sei ein Tattoo kein Kündigungsgrund. Allerdings: "Wenn der Arbeitgeber mich bittet, es abzudecken, und ich das nicht tue, kann ich wegen Arbeitsverweigerung oder eines Verstoßes gegen Vorschriften entlassen werden." Auch auf die Motive kommt es an. Denn nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) darf niemand beispielsweise wegen des Geschlechts oder Alters, wegen der Herkunft, Religion oder Weltanschauung ohne Weiteres benachteiligt werden. "Ein tätowiertes Kreuz oder andere religiöse Symbole - da könnte das AGG greifen", sagt Ferme.
Vom Tattoo-Tabu im Job profitiert eine ganze Branche: die Entferner. Thomas Sembt gründete 2010 das Portal "Doc-Tattooentfernung", eine Datenbank mit heute 43 Dermatologen, die das Lasern von Hautbildern anbieten. "Ein Drittel der Kunden kontaktiert uns aus Jobgründen", sagt Sembt. "Wir haben auch schon die Tattoos von Vorständen und Politikern behandelt." Billig ist das nicht. Daumenpeilung: Wenn man für ein Tattoo zum Beispiel 300 Euro zahlt, kann das Entfernen 3000 Euro kosten.
Maik Frey bedauert, dass Tattoos zum Mode-Accessoire geworden sind. Und ist davon überzeugt, dass er den Zettel vorn an der Theke der "Wilden 13" irgendwann wieder entfernen kann. Dann, wenn die Tätowierten in den Chefetagen angekommen sind: "Der demografische Wandel wird's schon richten."
Nicole Plaza (29), Assistentin in einem Dax-Energiekonzern
„Meinem Äußeren nach habe ich zwei Persönlichkeiten: tagsüber mit Anzug und Kostüm, in meiner Freizeit tätowiert mit Piercing. Früher war ich eher unscheinbar, die Tätowierungen haben mich selbstbewusster gemacht. Aber ich habe zehn Jahre lang überlegt. Ja, es gibt das Kischee, Tätowierte seien Kriminelle oder Drogenabhängige. Aber ich lernte Menschen mit Tattoos kennen, die mit beiden Beinen im Leben stehen und etwas erreicht haben. Mit 25 ließ ich mir zwei kleine Schwalben auf die linke Oberkörperseite stechen. Sie symbolisieren für mich Freiheit. Ich war begeistert und wollte sofort mehr. Vor meinem Oberschenkel-Tattoo habe ich ein Kleid angezogen und den Saum markiert, damit im Jobs nichts zu sehen ist. Dann kam mein Septum dazu, ein Nasen-Piercing. Ich habe eine Frau auf der Straße gefragt, wie sie das im Job macht. Sie zeigte, wie es verschwindet, wenn man es einklappt. Mein Chef weiß das alles bis heute nicht. Im möchte die Neutralität am Arbeitsplatz wahren und ernst genommen werden.“
Benedikt Schreurs (28), Zeitsoldat bei der Luftwaffe
„Sich tätowieren zu lassen ist keine Entscheidung, die man übers Knie brechen sollte. ich habe sechs, siebenJahre darüber nachgedacht. Ein Tattoo ist für immer, man weiß ja nie, in welchem Beruf man mal landet. Mit 21 ging ich zur Bundeswehr - und dort gelten strenge Vorschriften: Tattoos müssen sich verstecken lassen. Als ich mich mit 25 entschieden hatte, mir auf den rechten Oberarm einen Dämon im japanischen Stil stechen zu lassen, habe ih das mit meinem Chef abgeklärt. Ich wusste, er ist selbst tätowiert. Es war dann auch kein Problem, solange die Tattoos von der Uniform bedeckt sind, vor allem, weil ich jetzt den ganzen Arm tätowiert habe. Als Nächstes kommt der andere dran. Aber weil wir Fluggerätemechaniker abgeschottet in geschlossenen Hallen arbeiten, rolle ich die Feldblusenärmel doch ab und an hoch, wenn es im Sommer so heißt wird. Tattoos sind bei der Bundeswehr nichts Unbekanntes mehr, egal, in welcher Altersklasse. Ganz verbergen kann man sie in unserem Job sowieso nicht: Spätestens beim Sport oder unter der Dusche sieht man sie.“
Mark Benecke (44), Kriminalbiologe
„Hier in Köln sagt man so schön: Jeder Jeck ist anders. Man kümmert sich um seinen eigenen Kram, alle wissen: Die anderen sind genauso verrückt wie ich. Mit dieser Maxime bin ich aufgewachsen - für mich hat nie eine Rolle gespielt, was andere von meinen Tattoos halten oder ob das beruflich hinderlich sein könnte. Mein erstes Tattoo ließ ich mir zum Studiengebinn stechen: eine Echse aus dem Biologiebestimmungsbuch, quer über den Rücken. Eine gute Stelle, da ist die Haut gut gespannt. Mittlerweile sind es so viele, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann. Das letzte war eine kleine Amsel am Bein. Wer Angst vor dem Personalchef hat und keine Eier in der Hose, der braucht auch keine Tattoos. Das ist eine Frage der Priorität. Es wird sich eh ändern, wenn die laten konservativen Wichser in den Firmen weg sind. Die Profanisierung von Tattoos ist ein Trend, der nicht zu stoppen ist.“
xxxxx xxxxxxxxx (31), Realschullehrerin
„Manchmal lässt es sich beim Unterrichten nicht vermeiden: Dann schauen unter den langen Ärmeln die Tattoos auf meinen Armen raus, sie gehen bis zum Handgelenk. Vor allem meine Zehntklässler fangen dann an, Fragen zu stellen. In dem Alter ist das derzeit ein Riesenthema. Ich rate ihnen, nichts zu übereilen. ‚Die tätowierte Lehrerin‘ will ich aber nicht sein, deswegen besitze ich viele langärmelige Oberteile. Die trage ich auch, wenn es warm ist. Mein erstes Tattoo, ein Gecko, ließ ich mir auf den Fußspann stechen - weil man diese Stelle gut bedecken kann. Fünf Tage später kam das zweite dazu, auf die Wade. Mir war aber klar, dass es in einem konservativen Berufsumfeld wie der Schule wichtig ist, als Lehrer angepasster auszusehen. Dass es in Deutschland nach wie vor so viele Vorurteile über Tätowierte gibt, finde ich schade. Das war auch Thema meiner Examensarbeit. In meinem Berufsalltag habe ich mittlerweile jedoch das Gefühl, mich nicht verbiegen zu müssen: Ich verstecke meine Tattoos nicht, ich verdecke sie.“
Urban Slamal (43), Rechtsanwalt
„Manche Ideen brauchen ein paar Jahre. Mit 39 war die Zeit reif für mein erstes Tattoo, die Augen Buddhas auf dem Rücken, da hat man eine große Fläche für solch ein Motiv. Das ist heute nur noch ein Teilstück. Aber die Anzugsgrenze wird bei mir nicht fallen: Hände, Hals, Gesicht - farbfrei bleibt alles, was man nicht mit der Anwaltsrobe verdecken kann. Das ist zwingend für meinen Beruf. An der Ernsthaftigkeit meiner Arbeit darf kein Zweifel bestehen. Meine Kollegen wissen nichts davon, jeder potenzielle Mandant soll mir ohne Vorurteile begegnen. Denn bei Tattoos denken leider immer noch viele an Knackis und Seefahrer. Wer sich an sichtbaren Stellen stechen lässt, muss immer einkalkulieren, dass er Probleme bei der Jobsuche bekommen kann. Man weiß ja nie, was einem im Leben mal widerfährt. Gerade im Öffentlichen Dienst sind Tattoos häufiger ein Problem. Solche Fälle landen immer mal wieder vor Gericht. Nicht nur meine Selbstwahrnehmung hat sich verändert, auch mein Job: Unter meinen Mandanten sind heute viele Tätowierer.“
Mit herzlichem Dank an die Spiegel-Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.