Quelle:SeroNews 9(1):10 (2004)
Der Tod ist weiblich
Beneckes Bücherschrank (16)
Von Mark Benecke
„Cherchez la femme“ rät der Polizist und spätere Kriminaldirektor Karl Häusler in seinem Pitaval, der ausschließlich von Frauen begangene Verbrechen erzählt. Das ist eine alte und gute Idee, denn erstens erscheinen nur selten Fall-Sammlungen über Täterinnen (vgl. SeroNews 4/2002 (Vol. 7), S. 104) und wenn, dann greifen sie oft nur auf die bekannten Uralt-Verbrechen à la Giftmischerinnen Brinvilliers bzw. Zwanziger und Gottfried zurück; ansonsten vergessen sie die wirklich schönen Fälle wie den der Gold-Prinzessin aus Berlin (1835/36)[1].
Karl Häusler hingegen schreibt nicht ab, sondern ausschließlich Fälle auf, die er selbst miterlebt hat. Er hat dabei eine gute Mischung aus ein wenig polizeitypisch sachlichem Berichts-Stil (er zitiert aus einem Bericht des Erkennungsdienstes: „Das Wohnzimmer wird von der Diele aus in südlicher Richtung betreten, es misst 4 m x 5,60 m […] Auf diesem Teil des Teppichs liegt ein Plastikeimer mit vier Flachen Kloster-Malz-Trunk“) und einer ansonsten angenehm distanzierten, aber doch romanartigen Erzählweise gefunden: “Ja, Herr Kommissar, ich habe schon auf sie gewartet“, sagte die Frau tonlos. Die drei Kriminalbeamten waren sprachlos. Etwas linkisch standen die Männer vor der 70-jährigen, die ein schwarzes Doppelheft vom Tisch nahm und es Hauptkommissar Wengenmeier reichte. „Da steht alles drin“, sagte sie leise“. Das stilistische Gefühl des Autors kann ich gar nicht genug loben, weil die alte zentraleuropäische Kunst des Kriminal-Geschichten-Erzählens unter heutigen PolizistInnen praktisch ausgestorben ist.
Doch nicht nur die Form, sondern auch der Inhalt des Buches bereitet große Freude. Ein Beispiel dafür ist die eigentlich knappe, aber gerade darum perfekte Beschreibung der „Rächerin ihres Kindes“ Mareike Winkelmann, die 1981 im Gerichts-Saal in Lübeck den Töter ihrer Tochter mit acht Schüssen in den Rücken -- man kann es nicht anders sagen -- abknallte. Die 30-jährige Kneipen-Wirtin stand zunächst als böser Engel da, der das getan hatte, was manch andere Mutter in solch einem Fall auch gerne tun würde. Leider waren die scheinbar nachvollziehbaren Schüsse aber zu gleichen Teilen aus mütterlicher Rache-Lust wie aus dem schwer verpfuschten Leben der erst 30 Jahre alten Wirtin gespeist. Sie hatte sich in Wahrheit kaum um ihr nun totes Kind gekümmert und zwei andere leibliche Kinder hatte sie schon gleich nach der Geburt weggegeben. Kein Wunder, dass die über 150 Presse-Vertreter bei der Gerichts-Verhandlung sich zwar auch mit dem Motiv der Selbstjustiz, vor allem aber der erstklassigen Boulevard-Vorlage „Sex, Drogen, Rock, Suff und viel Gefühl“ auseinandersetzten.
Häuslers Buch ist zudem bevölkert von verkrachten Schauspielerinnen „im beginnenden Klimakterium“ (Angabe der Verteidigung!), einer Faulleiche im Brunnenbach, Liebhabern, Schwiegermüttern, einem mörderischen Freundinnen-Trio, einem Kur-Schatten und einer einsamen, liebeshungrigen Christin. Mit genügender Nähe und zugleich angemessen zurückgenommenem Blick fasst der Autor in seiner Fall-Auswahl gerade das zusammen, was SeroNews-LeserInnen gefallen wird: Den Kern der Sache. Je nach Lage sind das die Details der Ermittlungen oder auch ein weiter Wurf über den Verlauf der Sache.
Die in den (ganz) alten Pitavals unterschwellig gemachte Annahme, dass Täterinnen grundsätzlich heimtückisch und schwach seien, durchbricht der Autor ebenfalls. Seine Frauen sind liebend, eifersüchtig, verheerend und ausrucksstark. Ein typisch militzkisch kleiner, aber besonders feiner Pitaval -- SeroNews-Tipp des Quartals.
Mark Beneckehttp://www.benecke.com/ arbeitet international als Kriminalbiologe.
[1] Die betrügerische Gold-Prinzessin aus Berlin ist vielleicht verantwortlich für den noch heute gebräuchliche Begriff „verballhornen“: Sie hatte in erfundenen fiktive Briefen des Kaisers den Kammergerichtsrat Ballhorn (mit zwei „l“) erwähnt. Andere Theorien zum Wort „verballhornen“: „Johann Balhorn d. J. (1528-1603) war ein Lübecker Buchdrucker, in dessen Verlag 1586 das mittelalterliche "Lübische Recht" in einer angeblich korrigierten Neuauflage erschien, die jedoch viele Fehler enthielt. Nach anderen soll Balhorn dem Bild eines Hahnes (für den Buchstaben H) ein Nest mit Eiern hinzugefügt haben. Nach "Trüners Deutsches Wörterbuch, 1996" stammt J. Balhorn wiederum aus dem Dorf Balhorn südwestlich von Kassel“ (Quelle: http://www.prismenfernglas.de/etymologie1.html).