Quelle: Migros Magazin, Saisonküche, Nr. 6. 6. Februar 2012, Seiten 84-87
Doktor Made mags einfach
Die Fötzelschnitten der «Saisonküche» sind genau nach seinem Geschmack: einfach, gut und wohlriechend. Nur im Beruf mags Kriminalbiologe Mark Benecke gerne knifflig. Und gegen schlechte Gerüche ist er dann immun.
Text: Dora Horvath
Köln, Südstadt, Landsbergstrasse 16. «Dr.Mark Benecke - Consulting, Kriminalbiologische Forschung und Beratung» ist auf einem Messingschild an der Hausfassade zu lesen. Wir treffen uns an Beneckes Arbeitsplatz, einer zum Labor umfunktionierten Drei-Zimmer-Wohnung.
Sie befindet sich in der dritten Etage eines freudlosen Wohnblocks aus der Zeit des Wiederaufbaus der frühen Nachkriegsjahre. Beim Eintreten erfüllt ein dezenter Weihrauchduft aus Mark Beneckes dunkel möbliertem Büro die ganze Wohnung. Was für eine Überraschung für «Saisonküche»-Köchin Janine Neininger. Hatte sie doch vielmehr einen olfaktorischen Keulenschlag befürchtet, einen Geruch nach Verwesung, womit Mark Benecke (41) bei seiner täglichen Arbeit immer wieder konfrontiert ist.
«Hi! Soll ich Kaffee machen?», begrüsst er uns. Seine kölsche Kumpelhaftigkeit, die schwarzlederne Kluft, die Tattoos und die drei Silberringe passen nicht zum gängigen Klischee eines Naturwissenschafters seines Kalibers. Der vereidigte freiberufliche Sachverständige, der schon beim FBI und in der New Yorker Rechtsmedizin gearbeitet hat, gehört zu den renommiertesten Spurenkundlern und gefragtesten gerichtlichen Insektenforscher der Welt.
Zu seinem Job gehört es, an einem Tatort sämtliche biologischen Spuren zu untersuchen, unter anderem Insekten und Insektenlarven auf und um Tote.
Entsprechend publikumswirksam wird er in Talkshows, Radiosendungen und Vortragsreisen, die ihn immer wieder auch in die Schweiz führen, als «Dr.Made» gehandelt. Madenhirte ist ihm aber lieber. «Ich mag wirbellose Tiere. Überall da, wo es andere Leute eklig und gruselig finden, gibt es für mich Neues zu entdecken», erzählt Benecke. Während Janine Neininger in der Küche die Äpfel für das Kompott rüstet, ist plötzlich ein Zischen zu vernehmen.
Beneckes vielfach miteinander verschwägerte Madagaskar-Fauchschaben, die in einer grossen Plastikbox leben, sind am Erwachen. Die nachtaktiven Tierchen haben schon etliche Auftritte im Fernsehen hinter sich. Doch Mark Beneckes Beruf ist alles andere als spektakulär. Er löst keine Fälle und überführt auch keine Täter wie seine Berufskollegen in der TV-Serie «CSI». «Ich halte mich an die Fakten und vermeide es, die Fakten über das Faktische hinaus zu interpretieren.»
Oft beschäftigt er sich mit Fällen, die Jahre zurückliegen und wieder aufgerollt werden. Auftraggeber können ebenso verurteilte «Knackis», Angehörige, Opfer wie auch die Staatsanwaltschaft oder die Polizei sein. Beneckes Methode: alle bisherigen Erkenntnisse zurück auf null stellen, quer denken, zweifeln. Beispielsweise fragt er sich, ob die Insekten, die damals am Tatort eingesammelt und konserviert wurden, tatsächlich in der Gegend vorkommen. Oder ob das Verbrechen an einem anderen Ort geschah. «Erst wenn alles ausgeschlossen ist, was nicht sein kann, muss das, was übrig bleibt, stimmen. Egal, wie unwahrscheinlich es ist», zitiert er Arthur Conan Doyle, den Schöpfer von Sherlock Holmes. «Ich gehe mit dem Verstand eines Vierjährigen und mit der Verfassung eines dementen Greises an die Fälle heran.
Dazwischen gibt es nichts. Mir ist sowieso alles viel zu kompliziert.» Während er Janine Neininger verrät, dass er es auch beim Essen einfach mag, nehmen die Brote Farbe an. Gerade beim Einfachen zeigt sich die Kunst der professionellen Köchin: Die «Armen Ritter» sind picobello angezogen. Benecke beisst, bevor sie angerichtet sind, schon hingebungsvoll hinein. Nur eines gelingt Janine Neininger an diesem Tag nicht: dem waschechten Kölner beizubringen, dass es Fotzelschnitten und nicht Fötzelschnitten heisst.