Quelle: natürlich vegetarisch. Das VEBU-Magazin, 04/2013, 64. Jahrgang, Seiten 4 bis 5
"Jeder kann machen, was er will. Aber er muss dafür geradestehen"
Dr. Mark Benecke über Tote, Toleranz und Tierliebe
Interview: Bettina Paul
Mark Benecke ist Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe. Er ist international an der Aufklärung von Todesfällen beteiligt, berät die deutsche Polizei und hält weltweit Experten-Vorträge. Den Laien erklärt er, warum Fliegen depressiv sind und weckt mit ungewöhnlichen Experimenten den Spaß an Naturwissenschaften. Seit vielen Jahren lebt der 43-Jährige vegetarisch, jedoch nicht von Berufs wegen. Er mag Leichen wirklich gern. Allerdings gibt er zu, dass ihn der Geruch in einer Metzgerei schon ab und zu an einen blutigen Tatort erinnert ...
Bettina Paul hat mit dem Autor und Tierschützer über Tote, Toleranz und Tierliebe gesprochen.
Sie begegnen Tag für Tag toten Menschen und untersuchen sie akribisch. Hat Ihre Abneigung gegen Fleisch tatsächlich nichts mit Ihrem Beruf zu tun?
Nein, ehrlich nicht. Meine Schlüsselerlebnisse hatte ich eher am lebenden Objekt: Ich habe im Studium in vielen Verhaltensexperimenten wirbellose Tiere beobachtet. Ihre Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit haben mich sehr beeindruckt. Seitdem bringe ich es nicht mehr übers Herz, ein Tier zu essen. Als Kriminalbiologe arbeite ich ja hauptsächlich mit faulen Leichen, da ist die Assoziation zu frischem Fleisch gar nicht so sehr gegeben. Aber ich erinnere mich an einen Fall mit einer "frischen" Leiche, die durch Gewalteinwirkungen schlimm zugerichtet war und mich seither auch dauerhaft vom Fleischessen fernhält.
Könnte man denn theoretisch bei einer Leiche erkennen, ob der Mensch vegetarisch oder vegan gelebt hat?
Auf den ersten Blick erkennt man nichts es sei denn, man sucht im Darminhalt nach Fleischfasern oder Ähnlichem. Es gibt zwar Vermutungen, dass bei einer pflanzlichen Ernährung der Selenspiegel sinkt, aber bewiesen ist das nicht. Wahrscheinlich stinkt der Darminhalt aber nicht so stark wie bei Fleischessern.
Generell wirken Sie sehr strikt und entschlossen - wie halten Sie es mit der Toleranz gegenüber Fleischessern?
Ich bin strikt tolerant - jeder kann machen, was er will. Aber er muss auch dafür geradestehen. Wenn jemand überzeugt sagt: "Ich esse gern Fleisch und mir ist egal, wo es herkommt", dann ist das seine Sache. Missionieren ist nicht mein Ding, aber Fleischessermüssen nun mal mit der Tatsache leben, dass die "Fleischproduktion" sehr oft unter unfassbar grausamen Bedingungen abläuft.
Ihre damalige Frau lebte nicht vegetarisch. Wie hat das zu Hause funktioniert? Hatten Sie zum Beispiel zwei Kühlschränke?
Da sie nie gekocht hat, war das egal. Bei uns lief das ganz unproblematisch: Ich ließ einfach das Fleisch weg - sie mochte auch vegetarische Gerichte. Und ein Wurstpaket im Kühlschrank hat mich nicht gestört. Da bin ich, wie gesagt, tolerant - und habe alles in luftdichten Dosen verpackt.
Mit Ihren erfolgreichen InfotainmentVorträgen bringen Sie seit Jahren die Kriminalbiologie einem breiten Publikum näher und zeigen zum Teil recht drastische Leichenbilder. "Outen" Sie sich dort auch als Vegetarier?
Bezüge zum Fleisch auf dem Teller gibt es manchmal schon: Wenn es um Mumien geht, zeige ich öfters mal Schinken, der ist ja auch vertrocknetes, also mumifiziertes Gewebe. Und ein Spanferkel ist ein gutes Beispiel für eine Brandleiche. Aber im Prinzip sind das nur kleine Auflockerungen. Ich glaube, man kann niemanden durch Abschreckung von seinen Gelüsten abhalten. Meines Wissens ist auch noch niemand spontan Vegetarier geworden, nachdem er einen Vortrag von mir besucht hat.
Sie sind viel in der Welt unterwegs - wo ist vegetarisch essen denn besonders schwer und haben Sie irgendwo als "guter Gast" doch mal Fleisch probiert?
Nein, solche Kompromisse mache ich nicht. Richtig schwer wird es in einigen Teilen Südamerikas, da ist Mais manchmal das einzige "Gemüse" auf dem Tisch. Oder in Osteuropa: Dort laufen unter "Gemüse" oft nur die Kartoffeln zum Fleisch und "Salat" besteht ausschließlich aus Tomaten. Aber irgendwie geht das schon. Ich mag Kartoffeln und Tomaten sehr gern und kann auch problemlos länger ohne Essen auskommen. Das ist ein großer Vorteil - zur Not esse ich einfach nur Brot. Aber es stimmt: Wenn man viel reist, ist es manchmal anstrengend, konsequent einen Ernährungsstil durchzuziehen.
Leben Sie deshalb nicht vegan?
Ich lebe de facto fast vegan. Zu Hause verwende ich keine Eier oder Milchprodukte. Aber unterwegs wird das schwierig: Man kann nicht in jeder Bahnhofsbäckerei nach den Zutaten im Brötchen fragen und wenn nichts anderes da ist, kommt auch schon mal Kuhmilch in den Kaffee.
Haben Sie dann manchmal ein schlechtes Gewissen? In der Ei- und Milchindustrie werden die Tiere auch nicht gerade respektvoll behandelt.
Nein, eigentlich nicht. Klar, für überzeugte Tierschützer, zu denen ich mich zähle, hört es sich natürlich besser an, wenn jemand sagt: "Ich bin Veganer". Ich denke allerdings, jedes weggelassene Schnitzel zählt und schon der bewusste Umgang mit Tierprodukten ist ein guter Anfang. Und machen wir uns nichts vor: Eine vegane Lebensweise steht ja nicht 1: 1 für ökologische und soziale Korrektheit. Wer zum Beispiel bei Textilien ausschließlich Wert darauf legt, dass sie nicht vom Tier kommen und ihm ansonsten egal ist, unter welchen Bedingungen sie produziert wurden, sollte dannauch ein schlechtes Gewissen haben. Oder die sogenannten Funktionstextilien: Die sind zwar vegan, aber wenn man sie entsorgt, ist das genau genommen Sondermüll - und ökologisch sehr bedenklich. Ich trage beispielsweise auch Lederklamotten, die halten zum modischen Entsetzen meiner Freunde ein Leben lang. Ich glaube, das ist nachhaltiger, als dauernd Neues zu kaufen.
Noch eine Frage an den Wissenschaftler: Man hört von vegetarisch lebenden Menschen ab und zu das Argument, man esse mit dem Fleisch die Angst- und Stresshormone der Schlachttiere, was Auswirkungen im eigenen Körper haben könne. Ist das wissenschaftlich nachvollziehbar?
Nein, das ist Quatsch. Die Hormone zersetzen sich in der Regel sehr schnell. Abgesehen davon verstehe ich nicht, warum man sich als Nicht-Fleischesser über so etwas Gedanken macht.
Sie wollten mal Koch werden. Was kochen Sie am liebsten, wenn Sie die Zeit dazu haben?
Mein Spezialgebiet sind immer wieder neue Kombinationen aus Erbsen, Tomaten, Kartoffeln, Spinat und Tomatenmark.
Mit herzlichem Dank an Bettina Paul und die natürlich vegetarisch-Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.