Lisa Kempke im Gespräch mit Mark Benecke
Ein Interview über den Kinofilm „Climax“ von Gaspar Noé
Der neue Film, der seit Donnerstag in den Kinos läuft, verführt dich in eine anbetungswürdige Party-Welt, nur um dich dann direkt in eine psychedelische Hölle zu katapultieren.
In „Climax“ von Kult-Regisseur Gaspar Noé schmeißt ein Haufen Tänzer – wie er heterogener nicht sein könnten – eine schillernde Party kurz vor seiner Tournee. Die authentischen Momente auf der Tanzfläche und die unverfälschten Gespräche am Rande weichen dann aber schnell dem kompletten Chaos.
Die Gruppe nimmt versehentlich LSD zu sich. Ein Schock, der sich nach und nach auf alle Beteiligten überträgt. Jeder erlebt seinen ganz eigenen Horror-Trip auf der Droge. Eine Achterbahnfahrt der Negativ-Gefühle beginnt, eine soziale und emotionale Grenze nach der anderen wird überschritten.
Drogen, Sex und Gewalt – Noé fasst die Horror-Trips der Einzelnen in rasanten Szenen zusammen, die beim Hinschauen wehtun. Man möchte an manch einer Stelle einfach auf Pause drücken, sich seines klaren Verstandes erfreuen – und den Darstellern aus ihrem LSD-Gefängnis helfen.
Wie muss es also sein, einen Horror-Drogen-Trip zu erleiden? Wir haben mit Mark Benecke gesprochen.
Er gehört zu den bekanntesten Kriminalbiologen Deutschlands, kennt sich aber nicht nur mit der Biologie des menschlichen Körpers aus. Benecke hat auch eine eindeutige Einstellung zum Thema Drogen. Laut dem Kölner kann man unter Einhaltung von ein paar Regeln durchaus interessante Erfahrungen machen.
NOIZZ: Im Film „Climax“ nimmt eine Gruppe von Tänzern aus Versehen psychoaktive Drogen. Die Erkenntnis überwältigt die meisten auf negative Weise. Wie reagiert man am besten, wenn man merkt, man ist nicht mehr Herr seiner Sinne, hat möglicherweise psychoaktive Drogen im System?
Mark Benecke: Vertrauenspersonen ansprechen und prüfen, welche störenden Ausfälle ich habe: Kann ich die Zeigefingerspitzen noch zusammen führen? Auf einer Bodenlinie gehen? Sehe ich Doppelbilder oder Farbveränderungen? Schweiß, Zittern, Angst? Es gibt ja viele Wirkstoffe. Die Frage ist erstens, wie stark die Sinnesveränderungen wirklich sind – notfalls eben mit anderen abgleichen.
Und zweitens, ob ich mich vielleicht ganz wohl oder wie unwohl ich mich fühle. Gerade bei LSD können Freund*innen ja oft auch freundlich die Stimmung angenehm gestalten, indem sie mit mir sprechen, für Ruhe sorgen, das Licht verändern und so weiter.
Wie sollte man sich als Gruppe verhalten? Was kann man tun, um sich in einer solchen Situation selbst zu beruhigen?
Mark Benecke: Also, wenn eine ganze Gruppe so rumflippt wie im Film, dann ist da was anderes los. Ich würde einfach weggehen, wenn es zwischendurch so aggro wird. Von LSD kommt das aber sicher nicht, außer jemand ist psychisch eh belastet und schiebt den Megahorror oder es sind starke Aufputschmittel im Spiel. Das ist aber alles so selten, dass dieser schräge Mood nicht eine ganze Gruppe erfasst.
Was genau passiert im Kopf, wenn man sich auf einem Horror-Trip befindet?
Mark Benecke: Vorhandene Ängste "lösen" und verstärken sich, etwa durch nur im Kopf gehörtes Schimpfen, seltsame Bilder im Spiegel – Fratzen oder sowas – und unangenehme Gefühle. Es kann auch eine schon in mir wabernde Wahnwelt gedanklich und in meine Gefühle hinein- oder hervorbrechen. Das ist aber bei LSD wirklich mega-selten.
Was kann im schlimmsten Fall während eines Horror-Trips passieren?
Mark Benecke: Hängt von der Droge ab. Meist sind es eher Unfälle, also Stolpern und Hinfallen, einen Spiegel zerstören und dergleichen, weil ich weg will. Der „Horror“ kann auch einen dauerhaften, überzeugenden Eindruck für den Rest des Lebens hinterlassen, eine Art Erlebnisspur. Man sollte das aber nicht mit Crystal & Co. verwechseln, wo Gehirn und Körper schnell richtig hart geschädigt werden und die Leute auch krass aggro werden können.
Kann aus einem Horror-Trip auch wieder ein schöner Trip werden? Wenn ja, was sind die effektivsten Maßnahmen?
Mark Benecke: Bei LSD in einem friedlichen Umfeld: „Runterlabern“. So richtig schön wirds wegen der ganzen Aufregung dann vielleicht nicht mehr, aber es kann friedlich und innerlich eindrucksvoll werden. Hängt auch von der Menge und damit der Dauer des Trips ab. Wer sich eine echte Psychose fängt, gehört in die Klinik.
Ist die Chance größer einen Horror-Trip zu erleiden, wenn man die Droge nicht absichtlich genommen hat? Wenn ja, warum?
Mark Benecke: Ich würde immer sofort die Party beenden und andere um Hilfe bitten, wenn ich mich plötzlich komisch fühle. So kommt es gar nicht erst zu einem Horrortrip. Acid ist ja kein Schalter (wie beispielsweise ein gutes Antibiotikum bei einer Blasenentzündung – das ist ein Schalter mit eindeutiger Wirkung). Es kommt bei LSD immer auf meine Stimmung und das Umfeld an, egal, ob ich es gewollt oder ungewollt eingenommen habe.
Wie wirken sich psychoaktive Drogen auf die Psyche von Kindern aus?
Mark Benecke: Scheiße, weil das Kind ja noch nicht so gut einen Reality Check machen kann. Andererseits: Wer lässt Kinder Bowle trinken, egal, was sonst drin ist? Alkohol ist total ungeeignet für Kids — und übrigens auch viele Erwachsene.
In einer Szene wütet die Gruppe gegen eine Schwangere. Prügeln auf sie ein, nötigen sie zur Abtreibung. Kann ein Horror-Trip tatsächlich zu solchen Gewalttaten führen? Wenn ja, warum sind Menschen in dieser Verfassung zu so einem Verhalten bereits?
Mark Benecke: Frei erfunden. Hört sich für mich an, als ob Gaspar Noé auf einmal Moralapostel geworden ist. Unter psychotropem Einfluss interssiert man sich oft gar nicht gross für andere. Vielleicht eine Verwechslung mit Koks und Speed (Selbst-Überschätzung), MDMA (starkes, freundliches Interesse an anderen) oder sonstwas?
Die Substanzen wirken alle sehr verschieden, auch persönlichkeitsabhängig. LSD führt meist zu befreienden, persönlich richtungsweisenden und friedlichen Eindrücken. Da geht wirkungsmässig im Drehbuch 'was durcheinander. Am ehesten würde ich auf Alkohol plus Speed plus antisoziale Persönlichkeitsstörung tippen, wenn Menschen andere derart fertig machen.
Infos zum Film
Der Kinofilm „Climax“ kann wohl als klassischer Noé bezeichnet werden. Der Argentinier ist der Grenzüberschreitung quasi verpflichtet. Seine intensiven Szenen jagten schon Zuschauer aus den Kinos. Die Tötungsszene* in seinem Film „Irreversibel“ ist so brutal, dass bei dessen Premiere ganze 200 Kinobesucher den Saal verließen.
(*) Achtung, Trigger-Warnung: Schlimmer als die Tötungs-Szene ist das in Irreversibel dargestellte Sexual-Delikt. — MB
„Climax“ läuft seit dem 6. Dezember 2018 in den deutschen Kinos.
Quelle: https://noizz.de/rausch/horror-trip-wie-reagiert-man-wenn-eine-drogen-erfahrung-schief-geht/1hem1bl