Tanz der Vampirforscherinnen

Quelle: Aurora, Magazin für Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft, 20. Jan. 2008Tanz der Vampirforscherinnen

In Siebenbürgen trifft sich jährlich die internationale Transylvanian Society of Dracula. Statt Blut tauschen die Forscher neue Erkenntnisse aus, die die kulturelle Wahrnehmung des Landstriches weltweit verändert haben.

Von Mark Benecke

Dr. Mark Benecke ist Kriminalbiologe und Spezialist für forensische Entomologie.

Tausend Kilometer lang hat es Raps und gelbes Kreuzkraut in die Felder geregnet. Nun beginnt das Reich des Mohns und der Büsche, die wie riesige Schneekugeln in der grünen Landschaft herumliegen. Angemessenerweise strahlt nach dreißigstündiger Zugfahrt der Vollmond: Transylvanian Society of Dracula (TSD) hat zehn Forscher ins Rathaus von Schäßburg gebeten, das nun Sighişoara heißt. Hier, im heutigen Rumänien, wurde laut wackeliger bis unbelegbarer Überlieferung im Jahr 1431 Vlad Ţepeş, der Pfähler, geboren. Und hier soll nun mit den vielen trüben Annahmen aufgeräumt werden, denen gleichermaßen das Andenken des walachischen Herrschers wie seines Roman-Pendants Graf Dracula unterliegt. Eine haarige Sache, denn erst einmal will die Unterscheidung zwischen historischem und klinischem Vampirismus gelernt sein.

Die vampirischen Details haben dabei nur scheinbar nichts mit Rumänien zu tun – denn ohne Bram Stokers recht willkürlich zu einem Sechstel nach "Transsylvanien"  [1] verlegte Romanhandlung würde sich heutzutage kein Mensch mehr die Ausgrabungsbefunde amtlich zertifizierter Vampirleichen aus den Jahren um 1732 ansehen. Solche Berichte gibt es reichlich [2], allerdings stammen sie vorwiegend von Ausgrabungen in Mähren und Serbien. Man sieht schon: Das südöstliche Europa war nicht nur in den deutschen Reichen, sondern umso mehr für die Engländer eine fremde Welt – genauer gesagt, ein Gebiet der Fantasie und Projektionen, in dem echte Landesgrenzen natürlich keine Rolle spielen.

So kommt es, dass bis heute kaum einer der wenigen Besucher Transsylvaniens den Unterschied zwischen Vlad Ţepeş und seinem Vater Vlad Dracul kennt. Denn dracul – seit 1431 Träger des in Nürnberg verliehenen Drachenordens des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation – war nur Vlad senior, das heißt Vlad der Zweite. Der Pfähler, Vlad junior, war hingegen eigentlich nur drăculea: Sohn des Drachenordensträgers. Trotzdem blieb an ihm der Name Dracula hängen, entweder weil es auch "teuflisch" heißen kann oder weil es sonst einfach zu kompliziert wird, wenn sich Romane, Filme und das echte Leben mischen.

Hilfreich für die Wahrnehmung des heutigen Rumänien war es dabei nicht, dass die Christen ihren Vlad – den durch psychologische Kriegsführung [3] die Grenzen verteidigenden und durchaus sympathischen Herrscher der Walachei als letzte südöstliche Bastion gegen die mächtigen Ottomanen – gerne als blutgierigen und harten Herrn überzeichneten. Die Märchen, die über Buda und den Vatikan verbreitet und in deutscher Sprache gern gedruckt wurden, behandeln daher nicht nur die berühmte Pfählungsszene, in der der Vlad III. neben Gepfählten speist. Es sind vor allem Lehrmärchen überliefert, in denen Ţepeş schlicht den schwarzen Mann ersetzt. Sein darin oft todbringendes Erscheinen droht allerdings schon dann, wenn eine faule Ehefrau dem Gatten aus Bequemlichkeit kurzärmlige statt langärmliger Oberbekleidung strickt. Vlad alias der schwarze Mann kommt dann dahergeritten, tötet die faule Gattin und "gibt dem Mann eine neue". Tja.

Eine deutsche Ausgabe (1752) von Augustin Calmets skeptischem, aber dennoch religiös stark unterfüttertem Buch über Geister, in dem auch Funde von angeblichen Vampirleichen durchaus vernünftig diskutiert werden. Wer außer mir will da noch boshaft sein und erwähnen, dass der Pfähler wenn überhaupt, dann nur aus Fluchtgründen oder auf Handelsrouten mal nach Transsylvanien reiste, ansonsten aber die Walachei regierte? Und wen kümmert es da noch, dass das angebliche Castle Bran in Wahrheit die Törzburg im Bezirk Braşov ist, die wahrscheinlich erstens kein Vlad je betreten hat und die zweitens ein um 1960 für die ursprünglich angloamerikanischen TouristInnen wieder hergerichtetes Gemäuer aus dem Jahr 1377 ist, das zwar von außen sehr schön anzusehen und von innen äußerst cool ist (geheime Treppe!), aber als Betrieb ebenso pleite wie der Durchschnittsrumäne ist? [4]

Pfähler und Gepfählte

"Was ist eigentlich grausam daran, ein paar tausend Türken zu pfählen?", hakt in diesem Zusammenhang auch der unerschrockene Historiker Constantin Rezachevici bei einem unserer Kongresse nach. "Vlad handelte doch nur gemäß Heimatrecht!" Schon recht: Der Pfähler war ein gebildeter und fanatisch gerechter Herrscher [5] der Fremde eben oft gemäß der Gesetze ihrer jeweiligen Heimat bestrafte. Die Ironie liegt darin, dass die Walachei sonst ausgesprochen milde Strafen hatte. Selbst von einem Mord konnte man sich dort mit etwas Glück und Bargeld freikaufen. Vergehen, bei denen man in der Walachei mit – zwar gelegentlich geschorener – aber doch heiler Haut davonkam, wurden in Zentraleuropa damals mit Vierteilen geahndet. Denn schon vor über fünfhundert Jahren war eines der erklärten Ziele des walachischen Rechtes die in Deutschland erst seit Anfang der 1970er Jahre im Strafrecht verankerte Besserung der Verurteilten. Dieser Gedanke ist derart modern, dass er noch heute manchem Stammtischgast aufstößt, der sich Rache statt Resozialisierung wünscht. Vlad war da schon weiter – er pfählte nur Ottomanen und säumige Steuersünder, also Menschen, denen anders nicht mehr zu helfen war.

Die heute bekannteste Tat Vlads des Dritten, die Errichtung eines "Waldes von Gepfählten" aus muslimischen Soldaten, die er zum Sterben auf Pflöcke stecken ließ, war hingegen eine vom Steuerrecht unabhängige Taktik, die seine Herrschaft nach außen wuchtig darstellen sollte. Denn eine Pfählung bewirkt nicht nur ein qualvolles Sterben des Aufgespießten, sondern war damals noch dazu eine fürchterliche Entwürdigung: In den Augen der türkischen Krieger erhielt ein Gepfählter durch das phallische Tötungsinstrument ein weibliches Attribut.

Auch dass Vlad junior Tartaren gezwungen haben soll, ihre gebratenen Anführer aufzuessen, ist nach Meinung aller rumänischen Historiker der Transylvanian Society nicht ernst zu nehmen. Wenn solche Geschichten Vlad einmal nicht sonderlich wehrhaft erschienen lassen, dann stammen sie von Feindesseite und sollten ihn schmähen. Doch auch das steigert nicht ihren Wahrheitsgehalt.

Drei Hauptfiguren der Wahrnehmung von "Dracula-Rumänien" ab ca. 1960

Angeschoben wurde der angesichts dieser gruseligen Fakten und der noch viel gruseligeren Schreckens-Märchen schwer erklärliche Touristenhype durch drei Personen [6], die heute kaum noch jemand kennt. Sie leben aber noch und können angesichts ihrer Umtriebigkeit auch als Energie-Vampir durchgehen.

Der erste von ihnen ist Nicolae Paduraru, Chef der Transylvanian Society of Dracula (TSD) aus Bukarest. Wie nahezu alle Rumänen findet er die in der örtlichen Überlieferung unbekannten Vampire absurd [7] und hält Vlad III. stattdessen für den Nationalhelden, der er objektiv auch ist.

Gegen den Verkauf halbseidener Reisen durch Rumänien – unter egal welchem, gerne auch dem vampirischen Motto – hat Paduraru trotzdem nichts einzuwenden, schließlich verkauft und leitet er sie ja. Zu diesem Job kam er, als das Kultur- und Tourismus-Ministerium in Bukarest in den 1960er Jahren beschloss, dass man das kapitalistische Hollwood-Jedöns – in stark geregelten Bahnen – auch am angeblichen Borgo-Pass in Dollar-Scheine umwandeln könnte. Also wurde der junge Nicolae, von den Amerikanern umgehend "Nicky" getauft, Reiseführer der Regierung und lernte, mit den beflissenen, aber geschichtlich und kulturell vollkommen ahnungslosen und für ihn im Kern rätselhaften Gästen umzugehen.

Als die Regierung Ceauşescu 1989 die Segel strich, machte sich Paduraru selbständig und tourte fortan mit Bildungsbürgern, Künstlern oder den gelegentlich anstrandenden Gothics [8] – überwiegend aus Angelsachsen und den USA – auf eigene Rechnung durch das von den Besuchern als putzig bis pittoresk wahrgenommene "Transsylvanien".

Die Reiserouten könnten viel über die Geschichte Europas erzählen, denn sie sind durchaus tipptopp ausgesucht [9]. Wer aber lieber ein in die Natur gewachsenes Vampir-Disneyland sehen will, wo in Wirklichkeit eben Wirklichkeit herrscht, der wird ebenso gerne Märchen, Mythen und Gemunkel aufgetischt bekommen. Interessiert sich einer der Gäste einmal zu sehr fürs Land, wird er aber ebenso an allem Schmutz und möglichst auch an der größten Armut – so gut das eben geht – vorbeigelotst. Die deswegen von vornherein ambivalent ausgelegte Begrüßungsformel Padurarus lautet daher:

We assume you have the standard apprehension of Dracula, of vampires in general – derived from many films and few books.

You may, on the contrary, be well informed, but you did not yet measure your knowledge up against the reality.

Welcome to Romania!

Was in dieser "Realität" weder der aufmerksame noch der fantasiebegabte Angelsachse begreifen kann, ist, dass Pferdefuhrwerke auf asphaltierten Straßen nicht "mittelalterlich", sondern womöglich erst vor 30 Jahren gebaut sind und dass auch gelegentlich Kopftuch tragende Landfrauen durchaus einen Fernseher haben. Der unlösbare Twist der Touren ist eben, dass die Reiseveranstalter Erwartungen der aus ihrer Sicht superreichen Besucher nicht ohne Not erschüttern wollen. Kein Wunder: Was würden Sie denken und tun, wenn Ihnen ein lächelnder Mann mit blitzenden Zähnen, vollen Wangen und einer Jacke aus Hightech-Polyester für eine Suppe mit Brot als "Trinkgeld" ohne erkennbaren Grund das Zwanzigfache des verlangten Preises hinlegt und im Übrigen eine sympathische, wenngleich irgendwie naive Type ist?

Trotzdem wirft Tourleiter Paduraru auch nach vierzig Jahren im Business immer noch genervt das Handtuch, wenn beispielsweise U.S.-Filmteams allzu sehr über sein Land lachen. Beim großen Dreh für National Geographic TV International mit weltweiter Ausstrahlung der Sendung [10], bei dem es dem U.S.-Team an Ernsthaftigkeit gegenüber der in der Tat gewaltigen und von Gewalt durchtränkten Geschichte Rumäniens gebrach, winkte er beispielsweise mittendrin ab, verzichtete auf das dringend benötigte Honorar und fuhr mit seinem klapprigen Auto lieber wieder nach Hause.

Die ewige Dracula-Club-Präsidentin

Zweite Hauptvertreterin Dracula-Rumäniens ist meine gute Freundin Jeanne Youngson, geborene Keyes. Sie war mit dem Hollywood-Film-Produzenten und zweifachen Oscar-Gewinner Robert Youngson [11] verheiratet, bis er 1974 im New Yorker Greenwich Village starb. Da Mister Youngson berufsbedingt meist am entgegengesetzten Ende der USA – eben in Hollywood – weilte, hatte seine Gattin nicht nur Zeit für Schöngeistiges, sondern neben einem Penthouse am Washington Square in Manhattan (in dem sie bis heute lebt) auch eine recht leer stehende Wohnung auf der Fifth Avenue No. 1 sowie ein wenig Spielgeld übrig.

Also wandelte sie das überschüssige Appartment nach seinem Tod in ein Dracula-Museum um. Es bestand in erster Linie aus Nippes und Plastikklimbim, der bloß irgendetwas mit Fledermäusen, dem Hollywood-Dracula oder auch Bram Stoker und Henry Irving [12] zu tun haben musste. Daneben fanden sich zwar auch einige wertvolle Erstausgaben, die man aber zwischen dem leicht deplatzierten Malteserfalken, [13] Original-Filmrollen von Laurel & Hardy [14] und einem Film-Umhang, der tatsächlich in einem Dracula-Film verwendet wurde, herausfischen musste [15]. Diesen Umhang hatte höchstwahrscheinlich Christopher Lee getragen, denn Robert Youngson arbeitete in Hollywood als Produzent für Warner Bros., die unter anderem die Filme Taste The Blood Of Dracula (1969), Dracula Has Risen From The Grave (1968), 'Dracula A.D. 1972 (1972) und Horror Of Dracula (1957), alle besetzt mit Lee, herausgebracht hatten.

Jeanne Youngsons Dracula-Sammlung wäre heute inklusive des Plastikzeugs wohl einiges wert. Doch da das zyklisch wiederkehrende Vampirthema gerade keine Hochphase hatte, als sie die Sammlung auflöste, sind die Gegenstände nun in alle Winde verstreut. Auch der von ihr gegründete Count Dracula Fan Club (erster Dracula-Verein der Welt, gegr. Juni 1965) und viele weitere ihrer Organisationen sind angesichts rasant versterbender Mitglieder nur noch Legende beziehungsweise ein exponentiell schrumpfendes Empfänger-Netzwerk der auf Papier gedruckten und viermal jährlich mit der echten Post (!) in Großdruck versandten Mitteilungen.

Durch ihr nimmermüdes, wenngleich vollkommen unsystematisches Reisen zu den Draculaforschern der Welt, als Herausgeberin unzähliger unwissenschaftlicher Berichte und Mini-Storys sowie als von Nicolae Paduraru seit dem ersten Tag beeinflusste Rumänien-Touristin ab 1965 formte Youngson in den Vereinigten Staaten stark die Wahrnehmung "Transsylvaniens" als einer zwar mystischen und spannenden, aber doch harmlosen und eigentlich leicht begreifbaren Gegend. Ihre Vereins-Broschüren nehmen daher neben Film-Informationen viele für Zentral- und Ost-Europäer haarsträubende Motive auf. Das Count Dracula Chicken Cookbook (1979) ist beispielsweise von der noch heute in Teilen Rumäniens einzig verfügbaren Fleischquelle, dem Federvieh, humorig inspiriert. Was Rumänen in den 1960er Jahren weniger lustig fanden, focht Youngson dabei nicht an. Im Vorwort zu ihrer burgeoisen Kochanleitung kann sie daher auch mit Augenzwinkern behaupten:

"Das Original dieses Buches fiel mir in einer staubigen Kammer in die Hände. Auf dem Einband stand:

'Graf Dracula

Schloss Dracula

Transsylvanien'."

Diesen mädchenhaft-verspielten Stil hält Jeanne bis heute durch. Ihre Veröffentlichungs-Liste ist daher zwar lang und munter, aber ohne Substanz.

Bram Stokers Transsylvanien

Das unbeschwerte Wirken der Club-Präsidentin Youngson begründet den jahrzehntelangen Zwist mit ihrer ewigen Widersacherin, der kanadischen Literaturforscherin Elisabeth Miller. Sie soll daher die dritte Protagonistin in unserem kleinen Fremdbild-Reigen sein. Anders als Youngson ist Miller nämlich kein diffus-naiver Dracula-Fan mit Hollywood-Direktschaltung, sondern eine Frau, die sich mit ihren StudentInnen kreuz und quer durch die Klassiker der Vampirliteratur gewühlt hat, nachdem auch sie mit Paduraru konferierte und bemerkt hatte, dass seine Berichte immer so ausfallen, wie es dem zahlenden Publico gerade behagte.

Bei ihren Nachforschungen nahm Miller die zuvor nie gründlich gesichteten Manuskripte von Bram Stoker unter die Lupe, die ohnehin erst einige Jahre zuvor in einem Bauernhaus aufgetaucht waren. Seitdem hat sie einen guten Überblick darüber, wie und wo sich Theaterautor und -manager Stoker die Anregungen für den Roman Dracula besorgte. So war es beispielsweise nicht Vlad III., der Transsylvanien zur fiktiven Folie für die späteren Filmvampire machte. Stattdessen suchte Stoker zunächst unabhängig von Dracula nach einer Gegend, in der noch Aberglaube und Rückständigkeit herrschen sollten. "Seine Beschreibung Transsylvaniens stützt sich zwar durchaus auf Beschreibungen aus Büchern, die ihm vorlagen", sagt Elisabeth Miller dazu, "aber er reicherte diese mit einem guten Schuss spätviktorianischer Abfälligkeit an." (16). Kein Wunder – die Viktorianer sahen sich nicht ganz zu Unrecht als technisch und geistig der restlichen Welt voraus.

Wie eher den österreichischen als den deutschen LeserInnen bekannt sein dürfte, sollte der Roman nach einer Notiz Stokers vom 14. März 1890 ursprünglich in der Steiermark spielen. Es ist unbekannt, welches Gespräch oder Buch den Autor schließlich dazu brachten, den Vermerk "Styria" durchzustreichen und irgendwann während der folgenden zwei Jahren durch "Transsylvanien" zu ersetzen. (17) Stattdessen finden sich aber sichere Hinweise darauf, aus welchen Büchern sich Stoker mit Informationen versorgte, nachdem er sich einmal für die Welt hinter den Wäldern entschieden hatte:

  • Emely Gerards Artikel Transylvanian Superstitions, den sie 1888 in ihr Buch The Land Beyond the Forest (Blackwood, London, 1888) aufnahm (daraus von Stoker für den Roman Dracula unter anderem entnommen: St. Georgs-Tag, blaue Flammen, Bekämpfungsmittel gegen Nosferati/"Vampire")
  • Andrew Crosses Buch Round About the Carpathians (Blackwood, London, 1878; Beschreibung des güldnen Mediasch-Weins, der Beschirrung örtlicher Kutschen und der Kleidung der Roma)
  • Major Johnsons Buch On the Track of the Crescent (Hurst & Blackett, 1885; örtliche Speisen, Menschengruppen in Transsylvanien (Magyaren, Siebenbürger "Sachsen", Slowaken usw., Kreuze an Wegkreuzungen etc.)
  • Charles Boners Buch Transylvania: Its products and its people (Longmans, Green, Reader & Dyer, 1865; u. a. Erwähnung eines "Borgo Prund"/"Borgo-Passes")

sowie

  • William Wilkinsons Buch An Account of the Principalities of Wallachia and Moldavia (Arno Press, New York, 1820), in dem der Name "Dracula" erwähnt wird.

Stoker selbst war niemals in Osteuropa. Sonst hätte er die Heimstatt des Gruselfürsten auch sicher nicht an den Borgo-Pass verlegt: Erstens gibt es dort kein Schloss (das jetzige Castle Dracula Hotel ist ein Touristengag), und zweitens ist gerade der Borgo-Pass nicht steinig, sondern mild wie eine Rehwiese im Morgentau. "Waldige Täler gibt es am Borgo-Pass durchaus", stimmt mir die drahtige Dracula-Gelehrte Miller zu, "aber die wild zerklüfteten Pfade hat Stoker aus einer Reisebeschreibung abgeschrieben, die eine völlig andere Ecke der Karpaten beschreibt".

Epilog: Spaß im Familien-Draculaland

Der Untergang der Dracula-Legende steht zwar nicht bevor, die Zeit des Dracula-Tourismus ist aber vielleicht für immer vorbei. Rumänien könnte durch die Anbindung an die EU in den kommenden Jahrzehnten und vor allem durch die schon jetzt oft gute Schulbildung der Jugendlichen bald ein modernes Gesicht erhalten. Wenn auch noch die ständig fotografierten Pferdekarren verschwinden und, wie es derzeit scheint, auch der letzte deutsch sprechende Siebenbürge in den Westen gewandert ist, dann wird wohl auch für touristische Veteranen nur noch eine fast unerklärliche Erinnerung an Zeiten bleiben, in denen sie ein Land für sich erschlossen, dass es eigentlich nie gegeben hat.

Selbst die Pläne für einen Dracula-Park ("Draculand"), die man in Siebenbürgen teils liebend gern (Arbeitsplätze!), teils aber auch mit großer Bitterkeit (die alten Eichen!) gesehen hatte, waren mangels Finanzierbarkeit von der ersten Sekunde eine Totgeburt, (18) was aber erst seit 2006 auch offiziell zugegeben wird. Damit hat sich zum Glück auch der unlösbare Streit erledigt, ob man im Park den historischen Wojwoden (und falls ja, welchen: Vlad junior oder senior?) oder den eigentlich verhassten Hollywood-Fürsten hätte hervorheben sollen.

Wie man sieht, hat die alle Moden und Irrtümer überdauernde Arbeit der Transylvanian Society ihr Gutes. Sie stellte durch ihre Forschungen nicht nur fest, dass der Roman-Graf bei Stoker auch am Tage umherwandert, wenngleich er dabei seine magischen Kräfte verliert. Es zeigte sich aber zugleich, dass bei uns Menschen etwas gerade Umgekehrtes geschieht: Je heller das touristische Fantasma ausgeleuchtet wird, desto faszinierender werden seine eigentlichen Wurzeln. Und wo vorher ein Haufen aufgekratzter Fans herumlief, sitzen nun sich gegenseitig anregende ForscherInnen aus aller Welt – einmal im Jahr, in Transsylvanien.

Anmerkungen

(1) Die übrigen fünf Sechstel des Romans Dracula spielen in England.

(2) Vgl. beispielsweise Calmet A.: Gelehrte Verhandlung der Materi von Erscheinungen der Geistern und denen Vampiren in Ungarn, Mahren etc., 2. Aufl. Matthäus Rieger, Augsburg, 1732; Benecke M.: Vorwort zu Calmets "Über Geistererscheinungen“. Bohmeier, Leipzig, 2006; Hamberger K.: Mortus non mordet, Dokumente zum Vampirismus 1689–1791. Turia & Kant, Wien, 1992; Kreuter P.: Der Vampirglaube in Südosteuropa. Weidler (Serie Romanice), Berlin, 2001; Benecke M,. Deml U., Kreutz K., Hennecke A., Risse M., Verhoff M. A., Natürliche Leichenerscheinungen als Ursprung des Vampirglaubens. Frühjahrstagung der dt. Ges. f. Rechtsmed., Abstractband, S. 58 (2004); Pescod-Taylor D., Benecke M., Vampires & Decomposition. Bizarre (London) May/June 1997, S. 60–61 (2004); Petrescu M., The long shadow of Dracula: Last week, six men were jailed for ripping out the heart of a corpse they believed was "undead", The Sunday Telegraph (London), o. S. (2005)

(3) vorwiegend durch Pfählen, siehe auch weiter unten, was eine extreme Entehrung bedeutete: anales Eindringen und totale Hilflosigkeitsgefühle bei harten Jungs (wenngleich nicht zehntausendfach durchgeführt – das war nur eine Propagandalüge), besonders durch Hinterhalte im Wald. Diese, auch von den weit unterlegenden Walachen durchführbaren Auflauerungen, machten den damals noch ohne Feldküche und Verpflegung einfallenden Ottomanen durch das Abschneiden von Versorgungs- (das heißt Plünderungs-)Wegen massiv zu schaffen (hungrige Soldaten).

(4) Bspw. APA/DPA: Draculas Schloss zu verkaufen. Agenturmeldung, 18. Dez. 2006. – Das Schloss wurde im Mai 2006 an Dominic von Habsburg, Enkel der Prinzessin Ileana von Rumänien, zurückgegeben, da es seit 1920 seiner Großmutter, Königin Maria, gehörte, später aber von den Kommunisten einkassiert worden war. Übergabe-Bedingung ist derzeit, dass das Schloss drei Jahre lang Museum bleiben soll; danach wird sich der dort entstandene, ohnehin anachronistische "Dracula"-Markt mit Schnaps, Holzfigürchen, Tellern usw. vermutlich nicht mehr halten können. Derzeit (Sept. 2007) steht das Schloss vertragswidrig schon zum Verkauf.

(5) Er gilt heute auch als Symbol für einen Herrscher, der Korruption energisch bekämpft.

(6) Es gäbe in diesem Zusammenhang noch drei weitere wichtige Charaktere zu beschreiben, was aus Platzgründen aber nicht möglich ist: Radu Florescu, Vincent Hillyer und Raymond McNally, die jeweils einflussreiche Bücher zum Thema geschrieben haben, massiv im Fernsehen aufgetreten sind und dabei teils das Interesse bündelnd im "Dracula-Schloss" übernachtet haben. Details finden sich in den Büchern der drei, die im Internet sehr leicht zu finden sind. Achtung: Unbedingt die aktuellsten Auflagen besorgen, ältere Ausgaben strotzen teils vor Sachfehlern.

(7) Man glaubt auf dem Land stattdessen an männliche strigoi (ursprünglich aus dem lateinischen striga = Hexe; gemeint sind heute aber Untote oder noch eher Menschen mit bösem Blick) oder, viel seltener, weibliche yellele (drei böse Frauen; vgl. zu diesem uralten Motiv auch Bram Stokers Dracula, die Statuen der griechischen Göttin Hekate (in Dreigestalt) oder die Gleichsetzung von Diana, Hekate und Proserpina als der Magie kundige Töchter der Nacht (zu letztem Motiv aktuell bspw. die rumänischstämmige Autorin Petra Aescht: Nachtridders – Hexendarstellungen des Jacques de Gheyn II, Magisterarbeit, Univ. Bonn, 2006)).

(8) Zum Zusammenhang von Gothic, Vampiren und "Vampyren" vgl. Benecke M.: Vampire unter uns: Jugendliche Vampir-Subkulturen. In: Bertschik J., Tuczay C. (Hrsg.) Poetische Wiedergänger. Deutschsprachige Vampirismus-Diskurse vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Francke, Tübingen, S. 285–302, 2004.

(9) Typische Stationen: Bucureşti – Poienari – Törzburg (Castle Bran) – Braşov (Kronstadt) – Sighişoara (Schäßburg) – Bistriţa (Bistritz) – Targu Mureş – Sinaia.

(10) Moore P., Pinto M., Goulding D., Buckley B., Benecke M., Dermengiu D., Miller E., Hoggard S.: Riddles of the Dead 7: Dracula Unearthed. National Geographic TV International, Washington, 2002.

(11) Oscars jeweils für die Kurzfilme (one-reeler) von Warner Bros. Blaze Busters (1950) und World of Kids (1951); erneut nominiert 1956 für den Kurzfilm I never forget a face.

(12) Sir Henry Irving war Hamlet-Darsteller und Freund von Stoker. Dieser schrieb Irving die Rolle des Dracula auf den Leib, damit er sie möglichst auf der Bühne gäbe, was der Charakterdarsteller aber nie tat.

(13) Goldgefüllter Gegenstand der Begierde aus dem Kriminalfilm The Maltese Falcon von 1941 (mit Humphrey Bogart).

(14) Laurel & Hardy wurden teils auch von Robert Youngson "produziert", das heißt neu zusammengestellt und wiederveröffentlicht.

(15) Das Dracula-Museum wurde 1998 vom Autor aufgelöst. Youngson verkaufte den Inhalt an die Betreiber des Musicals Tanz der Vampire, das damals in Wien, danach in Stuttgart und zurzeit in Berlin aufgeführt wird.

(16) Miller E.: The Geography of Dracula. In (dies.): Dracula: Sense & Nonsense. Desert Island Books, Westcliff-on-Sea (Essex, U.K.), 2000, p. 140–179; hier S. 148: "Stoker’s Transylvania is an amalgam of material gathered from a number of book-sources, sprinkled with a goodly doe of late-Victorian cendescension." – S. auch Fußnote 1 auf S. 9.

(17) Alle Begründungen, die in der Sekundärliteratur zur Ortsverlagerung von der Steiermark nach Transsylvanien zitiert werden, sind unbelegt und damit erfunden.

(18) Eine erfahrene deutsche Freizeitpark-Firma sollte das Gelände errichten; allerdings galt Rumänien bei den befragten Banken als eines der besonders für Hermes-Kredite kreditunwürdigsten Länder der Welt. Zudem war die Anbindung nach Schäßburg, wo der Park um 2002 herum geplant war völlig witzlos: ab Bukarest mit dem Schellzug 4 1/2 Stunden. Der Eintritt sollte bei zehn Dollar liegen, was angesichts der örtlichen Löhne, aber auch der niedrigen Bevölkerungsdichte, ebenfalls mehr als realitätsfremd war.