Mini-Interview mit Ray Martin zum Comic-Festival in München (2025) & langes Interview aus den U-Comix (2016) mit dem damaligen Herausgeber Steff Murschetz
Mark: Lieber Ray, was hat dir an deinen U-Comix besonders gefallen?
Ray: Das Geld, welches ich damit verdient habe.
Es gibt ja bis heute deinen Shop mit wilden Dingen. Wenn du heute in die Welt schaust: Ist etwas vom anarchischen, wilden Getümmel von damals übrig geblieben? Falls ja, was?
Links ist das erste U-COMIX-Heft aus dem Sommer 1969, rechts das letzte von Ray herausgegebene U-Comix-Heft (Mai 1986) (Foto: Jutta Hoffmann).
Ja, die Trump-Administration.
Was denkst du über Comic-Messen und -Börsen? Warst du mit den U-Comix auf Messen? Erlebnisse, Erinnerungen?
Na klar, ich war auf allen möglichen Messen. Vor 35 Jahren sogar in Köln. Über die Begegnung mit Ralf König auf dem Erlanger Comic-Salon 2018 habe ich in einem meiner Online-Workshops geschrieben. Der Text sagt viel über meine Lebenseinstellung.
Okay. Dann schauen wir doch mal in einen deinen Text von damals.
Zum Glück holt mich meine Vergangenheit nicht all zu oft ein. Das liegt zum einen daran, dass viele Menschen in meinem Alltag meine Vergangenheit nicht kennen und ich ihnen auch nichts davon erzähle.
Meine engen Freunde (& siehe oben) und Verwandte wiederum haben alle unglaublichen Geschichten schon zehn mal gehört und sprechen mich auch nicht mehr darauf an. Dennoch gibt es immer mal wieder kleine Einbrüche der Vergangenheit in die Neuzeit.
So waren wir im vergangenen Jahr auf einer Anti-Nazi Demo in Scheinfeld, haben einen kleinen Stand aus Partyzelt und Tapeziertischen aufgebaut und sehr erfolgreich T-Shirts, Caps, Buttons und Stickers (Gegen Nazis, Gebt Nazis keine Chance, Solidarität gegen Rassismus etc) verkauft. Alles Restbestände aus den 1980 und 1990er Jahren, die ich nie weggeworfen habe.
Ray auf der Comic-Messe (Comic-Salon) Erlangen 2018 (Foto: Archiv Ray Martin).
Oder unser Auftritt auf einer 'Legalize Cannabis'-Demo vor ein paar Wochen in Nürnberg, die vom örtlichen Cannabis Social Club veranstaltet wurde. Dort verkauften wir mehr oder weniger aus der Hand bzw. mit einem Bauchladen T-Shirts, Caps und Buttons von den Legalize-Kampagnen der 1980er und 1990er Jahre. Das lief nicht schlecht, obwohl nur ca. 200 total witzige, punkige und bekiffte junge Menschen da waren. Ich glaube, ich war der einzige Alte auf dem Platz.
Richtig ausgeflippt ist meine Jutta aber erst, als sie das Plakat (Anhang 1) mit der Ankündigung für U-COMIX Nr. 194 sah: „Wow, meine beiden liebsten Männer auf einem Plakat - Mark Benecke und Raymond Martin.“ Ich wusste erst gar nicht wer das ist, bin aber nun aufgeklärt: Eine Art Leichenbeschauer, der in einer Fernsehserie mitspielt und ein Heer von Fans unter SM-Mädels und Menschen mit einer leichten Störung aus dem nekrophilen Themenbereich hat. Führwahr ein guter Kontrast zu einem esoterischen Alt-Hippie.
Dazu muss man wissen, dass ich das Comic-Magazin U-COMIX schon vor 46 Jahren gegründet und 1986 damit aufgehört habe. In den besten Zeiten verkauften wir fast 30.000 Exemplare im Monat und wenn ich dabei geblieben wäre und nicht auch noch SCHWERMETALL, PILOT, VAMPIRELLA, HINZ & KUNZ, WITZBOLD etc. gemacht hätte, würde ich wohl nun selbst die Ausgabe 194 herausgeben. Die neuen Männer um den begnadeten Comic-Zeichner Steff Murschetz machen seit ein paar Jahren alle drei Monate ein Heft, dass nicht mal 3000 Exemplare verkauft. Sie zahlen sich alle keinen Lohn aus und leben teilweise von Harz 4.
Als ich nach einem Interview gefragt wurde, habe ich sofort zugesagt, dass nun in der Ausgabe vom am 25. Mai 2016 erschienen ist.
Interview aus den U-Comix (Mai 2016)
Ray auf dem Comic-Salon Erlangen 2016 (Foto: Archiv Ray Martin).
In den 1970er und 80er Jahre hat ein junger Verleger mit seinen Comics und Büchern zu Drogen, Ökologie und Bewusstseinserweiterung die alternative Presselandschaft nachhaltig geprägt. Mit seinen erfolgreichen Comic-Magazinen U-Comix und Schwermetall brachte er erstmals junge Deutsche in Kontakt mit Comiczeichnern wie Robert Crumb, Richard Corben, Moebius oder Gilbert Shelton. Was Comics betrifft, hat er den Rock ‘n’ Roll nach Deutschland gebracht.
Steff Murschetz stellt für U-Comix 12 Fragen an Raymond Martin
Steff: Du wurdest 1953 geboren. Es war die Zeit der Piccolo-Comics. Viele Deines Jahrgangs verehren ja noch immer Hans Rudi Wäscher, der kürzlich verstarb. Hast Du diese Comics auch gelesen und was hast Du als Kind getrieben?
Ray: Ich bin in Berlin Neukölln in eine eher bildungsferne Familie hineingeboren. In diesen Kreisen stand man den Comic-Heftchen nicht so kritisch gegenüber wie das Bildungsbürgertum. Meiner jetzigen Freundin z.B. war es vor 40 Jahren noch untersagt, Comics zu lesen. Ich wuchs eher antiautoritär und selbstbestimmt auf und war früh eher an allen möglichen Comics, als an Schulbüchern interessiert: Kauka, Disney, Akim, Tibor, Falk etc., aber auch „Illustrierte Klassiker“ eigentlich fast alle Comics außer „Nick im Weltraum“. Mit der Pubertät verlor ich Interesse daran und wand mich den Mädchen zu.
Mit 15 Jahren half ich ein bisschen bei der Entstehung einer unabhängigen Schülerzeitung (Paradox) und gründete mit 16 eine kleine Zeitschrift für Amateur-Lyrik, -Prosa und –Grafik (ex-libris), mit der ich allerdings nach der zweiten Ausgabe meine erste Pleite hinlegte.
Bereits mit 16 Jahren hast Du 1969 das Underground-Comicmagazin U-Comix gegründet und 1970 das bis 1976 erschienene Untergrund-Volksblatt Päng. Vor der allgemein bekannten U-Comix Magazinserie, gab es ja bereits 17 Nummern. Kannst Du Finanzierung, Herstellung, Vertrieb und Inhalt dieser ersten Hefte kurz beschreiben?
Das ist nicht ganz richtig, die erste Ausgabe von PÄNG kam schon 1969 heraus, die erste Ausgabe von U-COMIX kam erst 1970. Auflage 1000 Stück , 16 Seiten schwarz/weiße Comix von Crumb, Shelton, S. Clay Wilson und ein paar anderen aber auch eine Seite Little Nemo von Windsor McCay. Die Herstellung war damals sehr einfach, man klebte die deutschen Sprechblasen auf die Originale und machte davon Repros und Druckplatten. Der Druck wurde erst nach dem Verkauf der halben Auflage bezahlt. Am Anfang haben wir alle Blätter selbst zusammengetragen und gefaltet, um die Buchbinderkosten zu sparen.
Wenn von einer Auflage soviel verkauft war, dass der Druck bezahlt werden konnte, wurde das nächste Heft gemacht. Das dauerte damals oft Monate. Ich kümmerte mich dann nach und nach um immer mehr Zeichner, aus der ganzen Welt, die bei uns veröffentlichen wollten. Alles per Brief oder Telefon, mehr gab es damals nicht. Irgendwann haben wir auch mal einen Seitenpreis bezahlt aber es wurde erst ein Geschäft, von dem man leben konnte, als wir in den bürgerlichen Pressevertrieb eindrangen.
Im Januar diesen Jahres verstarb der Künstler und Verleger Bernd Brummbär. Erst durch Deinen Artikel über ihn wurde mir klar, dass auch Du “Vorbilder” hattest. Wie hat Bernd Brummbär Dich inspiriert und wer gehörte damals noch zu jungen Undergroundcomix-Szene?
Ich habe zwar 1970 die erste Ausgabe von dem Heftchen U-COMIX herausgegeben, doch Bernd Brummbär hat die ersten Comic-Bücher mit diesen Zeichnern gemacht. Zusammen mit dem Verleger Abraham Melzer wurden eine unlizensierte deutschsprachige Ausgaben von Robert Crumbs HEAD COMIX und danach eine Buchreihe mit dem Titel BRUMM COMICS veröffentlicht.
Steff Murschetz besucht Mark Benecke (U-Comix 194; im selben Heft erschien das Interview mit Ray Martin). Im Heft zuvor (also Nr. 193) gab es ein Interview mit Mark (Foto: Mark Benecke).
Dadurch wurde der deutsche Comic-Markt mit Fritz The Cat, Mr. Natural oder auch mit Anne & Hans bekannt gemacht. Letzteres ist ein legendärer Aufklärungs-Comic von Theo van den Boogaard, der ziemlich schnell auf den Index für verbotene Bücher wanderte. Da die Brumm Comics sehr gut liefen und man keine Royalties bezahlte, verdienten sich BB und Abi eine goldene Nase damit.
Ich lernte also als Comic-Fan den Übersetzer und Letterer der Brumm-Comics kennen, der auch plante eine Underground-Zeitung herauszugeben..
1971 erschien ein Bericht im Spiegel über Deine Kommune in Kucha. Da musst Du etwa 18 gewesen sein. Im spießigen Stil eines 50er Relikts echauffierte sich der Autor in den Artikel über Eure Ideale. Worum ging es Euch wirklich?
Der Spiegel schrieb am 9. August 1971: „Raymond Martin aus Nürnberg kennt ähnliche Nachbarlichkeit von den Bauern im mittelfränkischen Dorf Kucha, wo er seit dem Winter mit einer 20köpfigen Kommune von ehemaligen Anarchisten, Schülerinnen und Opfern der deutschen Fürsorge-Erziehung für 300 Mark im Monat das Obergeschoß der Zwergschule bewohnt. Einen großen Acker bekamen die ausgeflippten Kommunarden umsonst. Ein motorisierter Bauer war so freundlich und pflügte.
Zwar hält sich auf den Wangen dieser jungen Leute die Blässe ungezählter Trips. Doch auf ihrer Schulter tragen sie rührend entschlossen die Harke. Sie trinken viel Milch, der drogengereizten Leber wegen. Da lohnte sich für einen Nachbarn der Ankauf einer weiteren
Kuh. Der reinen Luft, der reinen Nahrung, des eigenen Hanfs im eigenen Garten sich zu freuen, werden diese Stadtkinder nimmer müde. Die Bauernkinder zieht es in Richtung Industrie. Zum Zeichen ihrer Seelenverwandtschaft beschlossen die Kommunarden, sich fortan "Sippe" zu nennen. Die Leute vom Dorf vergessen gerade, was dieses Wort bei ihnen bedeutete.“
Das klingt wirklich köstlich, wenn man das 44 Jahre später wieder liest. Wir waren am Anfang alles andere als Romantiker, sondern wollten einfach nur zusammen wohnen. Da wir die Mieten für große Wohnungen in der Stadt nicht bezahlen konnten, gingen wir aufs Land. Dort bekam man dreimal soviel Wohnraum zum gleichen Preis. Und man konnte nächtelang durchfeiern, Musik machen, einfach Partytime ohne das sich Nachbarn gestört fühlen. Unser Haus hatte ca. 20 Meter im Abstand zum nächsten, das war wichtig. Wir sind im Frühling 1971 eingezogen und haben schon im Herbst eine 3 Meter hohe Hanfplantage im Garten gehabt, einsehbar von allen Seiten. Keiner der Nachbarn wusste, was das ist.
Links: Das angeblich allerletzte Heft der U-Comix von Steff Murschetz. Rechts: Zwei Hefte erschienen U-Comix dann mit 3D-Bildern (Foto: Mark Benecke).
Du sollst auf Kucha mit vielen Frauen dem lockeren Leben gefrönt haben, sozusagen als Hahn im Korb und hast auch den Foto-Bildband “Mädels” mit Schönheiten der deutschen Freakszene gemacht und verlegt. Viele Comicfans sind Eigenbrödler und kommen mit Frauen gar nicht klar, denn vor dem Manga-Boom gab es in der deutschen Comicszene ja kaum Frauen. Hast Du einen Tipp für uns Dilletanten im Umgang mit Frauen? Was ist das Geheimnis Deines Erfolges beim anderen Geschlecht? Vorzeige-Hippie Rainer Langhans soll mal gesagt haben: “Jeden Tag Sex, ich fand es schrecklich!” Erging es Dir ähnlich?
Ich bin in Berlin Neukölln geboren, aber sozialisiert in Tempelhof, einem armen Bezirk neben Kreuzberg. Dort bin ich nur mit meiner Mutter und großen Schwester, also ohne Vater, aufgewachsen. Bei Familienfesten trafen sich noch drei Tanten zwei Cousinen und nur ein Onkel, der aber kaum auffiel. Alles wurde beherrscht von schnell und viel quatschenden Berliner Frauen und deren zickigen Töchtern. Ich war der einzige Mann und dazu auch noch der kleinste. Was blieb mir also anderes übrig, als mir mit Charme, Liebreiz und Humor Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Das hat dazu geführt, dass ich geistreich und witzig aber auch freundlich und zärtlich wurde, was sich bei den meisten Frauen später ausgezahlt hat. Ich hatte schon in der ersten Klasse der Grundschule eine süße blonde Freundin, mit der ich Hand in Hand in die Schule ging, wir waren beide 6 Jahre alt. Als ich 12 Jahre alt war, hat meine Mutter dann doch einen Mann geheiratet und wir sind nach Nürnberg gezogen. Das war für mich ein Kulturschock, zu dessen Überwindung ich viele Jahre brauchte.
Mein Alltag mit meiner Straßengang im Berliner Armenviertel (ca. 20 Jungs von 11 bis 16 Jahren alt), das war meine Welt, meine Familie. Da herausgerissen und nach Nürnberg verschleppt zu werden war so traumatisierend, wie man es sich kaum vorstellen kann. Zum Glück haben die Mädchen sich schnell für mich interessiert, weil ich so anders war. Damals kamen die Beatles auf und ich ließ mir eine Beatles-Frisur wachsen. Ich war nicht nur der erste im Block, sondern der erste Langhaarige in der ganzen Südstadt. Heutzutage würde man sagen, ich hatte damals viele Matchpoints für Partner-Sites: Groß (über 1,80), attraktiv, humorvoll, charmant, intelligent und großzügig. Wenn man also nicht alles davon hat, kann man zumindest witzig, charmant und großzügig sein.
Eine meiner Frauen hat mal in Anspielung an eine Mitbewohnerin gesagt: „Wenn man dumm ist, sollte man wenigstens lustig sein.“ Das hat viel philosophische Essenz, finde ich.
Männer wollen ficken und Frauen wollen einkaufen, das ist eine simple aber zutreffende Formel. Die Frauen tauschen ihren Sex also gegen die Ressourcen der Männer. Meist sind es materielle Ressourcen, viele Frauen wollen aber auch geistige. Man kann das aber nicht strategisch angehen, sondern muss die Dinge geschehen lassen und sich versuchen in den energetischen Strom einzufügen. Man kann nicht sagen, ich will mal zwei Freundinnen haben und dann losziehen und versuchen Mädels dazu zu überreden. Das klappt nicht, da machen die nicht mit.
Bei mir lief das so, dass ich in der Schule zwar der beliebteste Junge war (nur bei den Mädchen, die Jungs haben mich vielleicht bewundert aber die Lehrer haben mich alle gehasst) aber mit keiner Mitschülerin „gegangen“ bin. Ich lernte damals zwei Mädchen von anderen Schulen kennen, Rosi und Uschi, die mich nach dem ersten Kennenlernen angerufen und mir mitgeteilt haben, dass sie beide mit mir gehen wollen und ich mich für eine entscheiden soll. Beim nächsten Treffen habe ich geantwortet, dass ich mich nicht entscheiden kann, also beschlossen wir zu dritt „ miteinander zu gehen“.
Ich hatte ja auch zwei Hände, also konnte ich eine rechts und eine links an die Hand nehmen, wenn wir weggegangen sind. Bei meinen Freunden war ich ab dann unten durch. Ich bin aus dem Fußballverein Jahn 93 ausgestiegen, von meiner kleinen Kumpelcique verstoßen worden und ein Jahr später dann in der Nürnberger Drogen-Scene abgetaucht und ohne jeglichen Abschluss aus der Schule geflogen. Aber ich bin danach mit fast allen schönen Blondinen des Englischen Fräulein-Gymnasiums gegangen und habe gemerkt, dass ich beliebt bin beim anderen Geschlecht.
Auch Ralf König, den Ray wie auch 'Werner' nicht verlegte, war einst umstritten (Foto: Mark Benecke).
In die Kommune bin dann, kurz bevor ich 18 wurde, nur mit einer Freundin eingezogen. Über die Jahre kamen aber immer wieder neue Mitglieder dazu, auch über 1000 Besucher/innen (in 30 Jahren), die manchmal nur Tage, manche aber auch Wochen und Monate dablieben und mitmachten. Da hat man dann automatisch mehr sexuelle Kontakte als in der „normalen Welt“.
Und die Frauen haben mich einfach geliebt und wollten mit mir zusammen sein. Aber sie wären sich blöd vorgekommen, zu verlangen, dass die anderen schönen, schlauen und sensiblen Frauen an meiner Seite verschwinden müssen. In meinem Dorf hatte ich lange Zeit des Spitznamen „Scheich“, was mir egal war. Ich habe mich nie um gesellschaftliche Konventionen gekümmert.
Ich bin niemals „fremd gegangen“, sondern habe meine Freundinnen alle miteinander bekannt gemacht, mit ihnen zusammen gelebt und gearbeitet, teilweise viele Jahre lang. Daraus sind sogar tolle bildschöne Kinder entstanden.
Ich erfinde neben IQ-Text-Fragen auch gerne Witze: Mein Lieblingswitz geht so: Mein Sohn Dianus steht 12 Jahre alt mit zwei Kumpels auf dem Schulhof. „Wir sind zuhause drei Kinder und haben jedes sein eigenes Zimmer“, sagt der eine. Darauf der andere, „das ist doch gar nichts. Wir sind zuhause vier Kinder und jedes hat seinen eigenen Computer.“ Darauf sagt mein Sohn: „Das ist überhaupt noch nix. Wir sind zuhause fünf Kinder und jedes hat seine eigene Mama.“
Haussuchungen, Indizierungen von Comix und Büchern, Geldstrafen wegen des Comicalbums “Nachahmungen” von Roger Brunel, das etablierte Comicfiguren großer Verlage verwurstete — Mit dem deutschen Gesetz gab es einige Reibereien und einige Male hast Du es geschickt ausgetrickst, wie es scheint. Du hast Restbestände von U-Comix zu Weihnachten an Häftlinge verschenkt, Flüchtigen Unterschlupf gewährt u.s.w. Hattest Du jemals Angst vor der Staatsgewalt?
Du weißt ja ganz schön viel. Sogar ein Mitglied von den damals gesuchten RAF-lern war mal in meiner Küche gesessen, aber Flüchtlingen Unterschlupf gewähren klingt schon sehr heroisch. Vielleicht mal 15 jährige Runaways aus Erziehungsheimen oder desertierten Soldaten (BW und US-Army!), aber Flüchtlinge nicht. Damals gab es so etwas nicht. Angst vor der Staatsgewalt nach 42 Verfahren vor dem Amts- oder Landgericht? Da ist man nach einer Weile selbst ein kleiner Rechtsanwalt. Ich mache schon seit 20 Jahren alles selbst, schreibe alle Schriftsätze selbst und nehme nur einen Anwalt, wo Anwaltszwang herrscht. Der macht dann aber, was ich sage.
Ich habe fast alle Verfahren gewonnen, vor allem das wichtigste „Raymond Martin gegen die Bundesrepublik Deutschland (Verwaltungsgericht). Allein das ist eine lange spannende Geschichte. Auch die über 24 Hausdurchsuchungen aus verschiedensten Gründen sind bestimmt gut für einen Eintrag im Guinnes Buch der Rekorde. Die haben in den 70gern sogar den entführten Arbeitgeberpräsidenten Schleyer bei uns gesucht. Ich hatte auch schon unzählige Autodurchsuchungen, an einem Tag sogar zweimal hintereinander in zwei Bundsländern. Aber Angst hatte ich nie vor den Beamten, die waren immer sehr respektvoll und höflich zu mir, weil auch ich immer so zu ihnen bin.
Heutzutage möchte die Piraten-Partei das Urheberrecht kippen und Raubkopien im Internet sind ein großes Thema, nicht nur für Plattenfirmen und Filmverleiher sondern auch für den netten Cartoonisten von nebenan. Wie stehst Du heute zu Raubkopien?
Robert Crumb war ein Star der U-Comix (Foto: Mark Benecke).
Solange man selbst vom Verkauf von Bootlegs-Schallplatten und Raubdrucken von Büchern, Poster, T-Shirts etc. leben muss, wie ich viele Jahre lang, dann hat man ein eindeutiges Verhältnis dazu: Es ist überlebenswichtig. Wenn man als Künstler oder Verleger dann selbst davon betroffen ist, findet man es nicht so lustig, zumal wenn es zu einer materiellen Bedrohung wird.
Ich habe also ein sehr ambivalentes Verhältnis zu dem Thema, sowohl als auch, wie der Zustand von Schrödingers Katze. Ganz schlimm ist es natürlich, wenn die große Industrie alles raubt oder alles noch billiger nachmacht (Asien) und kleine Produzenten untergehen. Dann würde ich mit allen rechtlichen Mitteln dagegen vorgehen.
Es kursiert ein altes Schreiben der Staatsanwaltschaft, in dem angeprangert wird, die Freak Brothers böten ein schlimmes Rollenvorbild. Wenn ich meine Kumpels und mich so anschaue, muss ich grinsend eingestehen, da ist was dran. Leider sind auch einige Freunde nicht gut mit den Substanzen klar gekommen. Heute sind ganz andere Drogen im Umlauf, Crystal Meth und Ähnliches. Welchen Rat würdest Du “Neueinsteigern” an die Hand geben?
Ich sage zu meinen Kindern immer, laßt die Finger weg von synthetischen Nahrungsmitteln und Medikamenten, nehmt nur natürliche Nahrung und nur Naturmedizin.
Wenn man aber seiner Neugier nicht standhalten kann und auch mal was „böses“ probieren will, nimmt man nur ¼ der dir angebotenen Dosis. Ich kenne natürlich alles aus den wilden Zeiten, war aber niemals auf irgendwas süchtig, außer Sex. Zum Thema Meth, das in den 70ern schon als Speed bekannt war, hier ein schlaues Zitat.“They say it’s for horses but not for men. And they say it will kill you, but they don’t say when.“
Rand Holmes prächtiges Comicalbum “Hitlers Kokain” wurde durch Dich angestoßen. Zum Gratis Comic Tag 2016 verschenkst Du 500 Comic-Alben von Rand Holmes, einem meiner Lieblingszeichner, der leider viel zu früh starb. Man erzählt, er habe durch die Verkäufe seines Anti-Walfang-Poster maßgeblich die damals gegründete Organisation Greenpeace mit finanziert. Habt Ihr Euch mal getroffen und in wie weit hast Du auf den Inhalt von “Hitlers Kokain” Einfluss genommen?
Das Album „Hitlers Kokain“ ist mit 42.000 Stück eins der meist verkauften meines damaligen Verlags. Rand Holmes hat es damals extra für unser neues U-COMIX als Serie gezeichnet, weil ich ihm darum gebeten habe. Ich hatte zu den meisten Zeichnern (außer Robert Crumb, der mal in München öffentlich zugegeben hat, dass er eifersüchtig auf meine vielen Mädels war) ein gutes persönliches Verhältnis. Ich habe gut bezahlt und sehr gute Produktionen abgeliefert.
Jean Giraud hat mir in Paris persönlich bestätigt, dass ich seine Arbeiten sehr authentisch veröffentliche. Der Herausgeber von METAL HURLANT Jean-Pierre Dionnet hat mir sogar schriftlich gegeben, dass ihm SCHWEMETALL besser gefällt, als sein eigenes Magazin. „Du hast mich überholt!“ Das war mein Ritterschlag, haha!
Getroffen habe ich Rand Holmes nie, aber wir haben uns viel geschrieben. Auf der hinteren Umschlagseite von „Hitlers Kokain“ habe ich das Poster abgedruckt, welches Rand 1975 für eine kleine lokale Umweltschützergruppe aus Vancouver gemalt hat, damit die sich durch den Verkauf ein bisschen Geld für Aktionen verdienen können. Die Gruppe nannte sich GREENPEACE und aus dem Haufen Kiffer-Freaks wurde tatsächlich irgendwann die weltberühmte Organisation, die wir alle bewundern. So läuft manchmal das Leben!
In Deinem Blog schreibst Du, Deine Lieblingsthemen seien Sex, Natur und der Tod. Kannst Du Deine Erkenntnisse dazu für uns auf wenige Zeilen verdichten?
Das kann kein Mensch auf wenige Zeilen verdichten. Das wären nur Kalendersprüche. Ich könnte zu den Themen ein dickes Buch schreiben, bzw. schreibe seit ca. 10 Jahren immer mal wieder Beiträge in meinem kleinen Blog. Wer die Beiträge kostenlos gemailt bekommen möchte, kann einfach eine Anfrage senden an heartland@t-online.de und eine Aufnahme in den Verteiler erbitten.
Wie lebst Du heute, was machst Du so und was hast Du noch vor? Würdest Du rückblickend etwas anders machen?
Sogar Little Nemo — unfreiwillig psychedelisch und immer traumhaft (1905—1913) — erschien in den U-Comix (Foto: Mark Benecke).
Auch das ist einfach zu komplex und interessiert die Leser eines Comic-Magazines nicht. Wer sich wirklich dafür interessiert, kann mich gerne mal besuchen und sehen, was ich so mache und was ich jetzt so denke. Und natürlich würde ich einiges anders machen, aber im großen Ganzen war mein Leben eine Aneinanderreihung von sogenannten Wundern. Das kann man nur geschehen lassen und voller Dankbarkeit feststellen: Mein Leben war so toll, das hätte leicht das Leben von zehn Männern füllen können!
Ich kann mich noch heute an den Moment erinnern, wie ich mit 14 nach Donald Duck, Spinne, Hulk und den Fantastischen Vier das allererste Schwermetall in einer Monatanus-Filiale entdeckte. Ich wage zu sagen, es hat mich stärker umgehauen, als später mein erster LSD-Trip und tatsächlich mein Leben verändert. Der Zeichner Bert Henning prägte das Wort: Die Leser von damals sind die Zeichner von heute. Ich traue mich kaum zu fragen, wie findest Du das neue U-Comix und seine Künstler, die ebenfalls zum großen Teil durch Deine Publikationen auf den Weg gebracht wurden?
Ich weiß schon, was du meinst. Ich habe auch viel Menschen durch meine Magazine PÄNG und LIEBE „angetörnt“, weit mehr als nur die ca. 20.000 Leser. Das waren nämlich oft junge progressive Lehrer, Journalisten und sonstige Verteiler.
Unter meinen alten treuen Lesern waren auch Daniel Cohn Bendit und Joschka Fischer, die dann selbst eine Kommune gegründet, eine Zeitung (Pflasterstrand) herausgegeben und eine Partei (Die Grünen) mitgegründet haben. Ich finde nicht alles gut, was die Ökobewegung auf den Weg gebracht hat und finde auch nicht alle Underground-Comics gut, die nach mir veröffentlicht wurden.
Aber wie mit der Öko-Energie aus den schrecklichen Windkraftanlagen (Thema: Infraschall) oder die Dächer der Dörfer verschandelnden Solar-Anlagen, die ich nicht brauche, geht es mir auch mit den neuen Comics: die werden nicht für mich gezeichnet und gedruckt. Ich habe schon Jahrzehnte keinen Comic mehr gekauft, lese nur die Sachen, die man mir schenkt. Und für die Kunden, die das kaufen, ist es dann scheinbar richtig, weil sie es gut finden. In dem neuen U-COMIX-Heft fehlen mir Crumb, Shelton, Edika und Gotlib oder überhaupt große internationale Zeichner.
Auch fände ich gut, wenn man in Deutschland ein Magazin macht mit den Arbeiten von Röttger „Brösel“ Feldmann, Walter Moers und Ralf König herausgeben würde . Die haben sich übrigens alle drei bei mir beworben, weil sie im Volksverlag veröffentlicht werden wollten. Ich habe die damals alle abgelehnt (zu Brösel mit der Begründung: Dein Alkohol-Humor passt nicht zu uns) was mein größter Fehler was, weil ich mehrfacher Millionär hätte werden können. Es sollte scheinbar nicht sein.
Mark Benecke signiert U-Comix-Poster (Comic-Festival München 2019) (Foto: Mark Benecke).
Zum Schluss noch eine wirklich witzige wahre Episode von unserem kurzen Aufenthalt am letzten Samstag nachmittag in Nürnberg. Jutta und ich waren ein bisschen Shoppen bei C & A, die seit Jahren schon Kleidung in Bio-Baumwolle anbieten. Zum Bezahlen an den langen Kassentisch ging ich zu einer jungen Aushilfe mit einem schwarzen T-Shirt auf dem in riesigen weißen Lettern stand WHO RULES THIS WORLD? Weil mir spontan keine Antwort einfiel und Jutta sicher wieder genörgelt hätte, ich soll nicht immer junge Mädchen anmachen, habe ich nichts zu ihr gesagt, obwohl mich die Frage richtig provoziert hat. Wir gingen dann in eine andere Abteilung und Jutta suchte sich irgend einen Fummel, während ich meine Augen mäandern ließ. Da viel mir ein junges Mädchen mit einem frustrierten Gesichtsausdruck auf, die auf ihrem grauen T-Shirt ganz groß die weißen Buchstaben RESPECT gedruckt hatte. Ich sprach sie leise an aber sie ging einfach weiter. Dann rief ich laut: „ Hey!“
Sie drehte sich erschrocken um. „Weißt du was, ich habe oben eine Verkäuferin mit einem T-Shirt gesehen, darauf stand riesengroß die Frage WHO RULES THE WORLD, also wer regiert diese Welt. Ich habe lange nach der Antwort gesucht, aber du hast sie auf dem T-Shirt: RESPECT! Respect rules the world!“
Sie hat total schön gelächelt und Jutta hat mich am Ärmel gezupft, „Komm wir gehen, die Leute schauen schon.“