Quelle: Tätowiermagazin 7/2010, Seiten 92 bis 97
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Text: Mark Benecke | Fotos: Mike (Stechwerk)
Während Tattoos bei Rappern, Hardrockern und im Rockabilly etwas völlig normales sind, ist das in anderen Szenen nicht so. Umso erstaunlicher, dass Mike Johnson nicht nur am Synthie einer der bekanntesten deutschen Elektro-Bands, nämlich “Agonoize” steht, sondern auch Chef des Tätowierstudios "Stechwerk" in Berlin ist. Außerdem ist er der Lehrmeister von Eugen, dem Gewinner des TM-Nachwuchs-Contests 2008.
Hi, Mike. Dein Laden liegt ja hier in Spandau gegenüber einem Park und in einem beschaulichen Berliner Viertel. Immerhin ist die Bäckereiverkäuferin nebenan aber schwer tätowiert. Wie bist du hier gelandet?
Stimmst schon, das ist ein eher spießiger Teil Berlins. Ich komme aber von hier und habe hier auch schon vor zwanzg Jahren angefangen, zu tätowieren. Die Maschine habe ich noch, moment ... hier. Selbst gebaut.
Welche Kunden kamen denn damals zu dir?
Biker, Metaller und Mütterchen. Das war die Zeit der roten Teufelchen mit Mistforke, Einhörner und Pegasusse. Ab 1997 kamen dann Delfine und ab Ende der Neunziger Arschgeweihe. Während dieser Zeit hatte ich nacheinander mehrere Läden, mit denen ich mich räumlich immer weiter vergrößert habe. "Stechwerk" heißen wir seit 2006.
Meinst du mit "wir" auch Eugen, den Gewinner des TM-Nachwuchs-Contests 2008?
Ja, wobei mein ehemaliger Lehrling Eugen seit Mai 2008 sein eigenes Studio im Kempten hat. Nach einer Anzeige im Tätowiermagazin hatten sich sieben Leute beworben, aber Eugen war nach einem Jahr schon erkennbar weiter als andere, die selbst nach fünfzehn Jahren noch nichts auf die Reihe kriegen. Nach einer Schnupperwoche ging es los und jetzt kooperieren wir unter dem Namen "Stechwerk" in Berlin und Kempten, weil ich sicher bin, dass wir in puncto Kundenumgang und Qualität denselben Standard haben.
Trefft ihr euch auch öfters?
Eugen kommt selten vorbei, weil er ja lange im Voraus ausgebucht ist. Ich habe ihn aber natürlich im Allgäu besucht. Das ist witzig, mal andere Leute kennen zu lernen, die wirklich cool sind, aber eben nicht aus Berlin kommen.
Zurück zu dir. Du hast ja eine stilistisch sehr breite Palette, aber was sind deine Favourites?
Portrait und Realistic sowie Dark Style und Biomechanik, was ich auch besonders gut kann. Ich hatte früher auch den ganzen Laden entsprechend düster eingerichtet. Leider zieht das hier in der Gegend aber nicht und bringt auch nicht die Leute aus Friedrichshain dazu, bis nach Spandau zu fahren. Eigentlich schade, denn ich bin schwer von Paule (Paul Booth, Anm. d. Verfassers) inspiriert, den ich auf der ersten internationalen Tattoo Convention in New York getroffen hatte. Bei seinem Geburtstag dort servierte er so lustige Sachen wie ein Gehirn und eine abgehackte Hand aus Wackelpudding.
Sah es bei dir wie in Pals altem Laden in Alphabet City aus? So eine richtige Gruselhöhle mit tiefer Decke aus Pappmachégeröll und schwarzen Vitrinen?
Das nicht, aber die schöne und aufgeräumte Stimmung Lichtern und einem Schachbrett im Warteraum wie heute, war's auch nicht. Immerhin hilft mir meine Tischler-Ausbildung dabei, den Laden zu gestalten und beispielsweise so etwas wie den beleuchteten Tresen zu bauen, den du hier siehst.
Ich nehme an, dass du, wie die meisten Tätowierer, schon immer sehr kreativ warst?
Das schon, ich hatte in Kunst aber trotzdem immer eine fünf, weil ich keinen Apfel abzeichnen wollte oder andere tote Gegenstände. Das hat mir keinen Spaß gemacht. Also habe ich versucht, wenigstens einen Schädel aufs Papier zu bringen. Ich musste mir deshalb alles selbst beibringen, besonders Schattierungen und die räumliche Darstellung. Auch sonst war ich in der Schule bestimmt kein Vorbild, sondern eher der Kasper.
Wie passt das mit eurem Auftreten als "Agonoize" zusammen? Eure Fans sind ja harte Elektro-Heads und Sänger Chris ist bei euren Auftritten schwer am Bluten, also alles andere als kaspermässig.
So muss das auch sein, um unserer Texte optisch zu unterstreichen, denn unsere Texte drehen sich oft um Sex und gegen kirchliche Institutionen, allerdings nicht gegen den Glauben Einzelner.
... was in Berlin, einer Stadt mit extrem niedriger Zahl von Christen und religionsfreier Tradition nicht so ungewöhnlich ist.
... und werden außerdem auch manchmal falsch verstanden. Der Text "Staatsfeind" enthält am Ende die Frage: "Bin ich ein Staatsfeind?". Diesen Song haben wir geschrieben, weil wir mal in Gießen ein Auftrittsverbot bekommen haben. Der dortige Stadtrat dachte, wir wären Rechte, und das geht ja gar nicht.
Wie bitte? Seit wann gibt es rechte EBMler?
Vielleicht wegen den kurzen Haaren, unserem Logo mit der Knochenhand, die sich in den Kopf schießt? Oder wegen unserem Bandname, mit dem Wort "Agonie"(Todesringen). Dabei geht es uns gerade nicht um Selbstzerstörung, sondern darum, dass normale Menschen - andes als beispielsweise Paranoide - die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, wie sie mit sich selbst umgehen.
Stammt das Band-Logo eigentlich von dir?
Jau, ich habe es auch schon sechs oder sieben Mal tätowiert, aber für mich selbst hab ich ein eigenes entworfen, das nicht wie die letzten Male hinterher sofort im Internet auftaucht. Es wird speziell, biomachanisch und nur auf meiner Haut zusehen sein.
Hab ich vergessen dich etwas Wichtiges zu fragen?
Ja, du hast ich vorhin nach dem Tattoo von Eugens Portrait gefragt, das da an der Stechwerk-Mitarbeiter-Wand hängt. Das war eine Überraschung für ihn, als er seinen Laden eingeweiht hat. Er hatte einen Auftritt mit seiner Brüllmetall-Band "Nasvai" und wir dachten uns, dass wir ihn dazu mit etwas Besonderem überraschen müssen. Am Tag der Eröffnung setzten wir uns also im Hotel hin und tätowierten unserem Kumpel Dominik Eugens Portrait auf die rechte Arschbacke. Während des Auftritts enterten wir die Bühne und Eugen sah sich auf einmal selbst auf dem Arsch seines Kumpels. Er war sprachlos - und das als Frontmann einer Band vor wartendem Publikum.
Ich sehe, ihr habt Humor.
Naja, seltsam ist noch, dass ich unseren Sänger Chris schon 1998 in New York bei der schon erwähnten Convention getroffen hatte. Wir waren damals vermutlich die einzigen Berliner, hatten uns zwischendurch aus den Augen verloren. Und jetzt spielen wir in derselben Band.
Ansonsten bist du aber kein Fan von Zufällen. Du legst ja mega Wert auf individuelle Beratung der Kunden, Sterilisation und Nachsorge - ganz ohne Zufälle.
Ja, ich möchte unbedingt das Vertrauen der Kunden gewinnen. Abgesehen davon ist es mir eigentlich egal, ob jemand tätowiert ist oder nicht. Hauptsache, es passt zur Person. Mein Motto: Der Tätowierer ist der Künstler, der Kunde das Kunstwerk.