Quelle: Tätowiermagazin 7/2005, S. 9
(Dies ist die Originalversion des Textes; die Version im Tätowiermagazin ist etwas gekürzt.)
Von Mark Benecke
Keith Alexander brachte Body Modifications in die New Yorker Großstadt-Subkultur ein.
Während an der Westküste der USA Fakir Musafar und andere schon seit Jahrzehnten mit Piercings, Brandings und Cutttings arbeiteten, waren diese scheinbar extremeren Körper-Bearbeitungen für die partyverwöhnten Ostküstler noch etwas Neues. Keith gelang es ab 1996, nach einer Ausbildung bei Gauntlet, in seinem kleinen Laden in Brooklyn, weitab von der Manhattener Laufkundschaft*, einen seelisch ansprechenden Haltepunkt zu gestalten, den die Kunden und Kundinnen -- bei letzteren hatte er einen gewaltigen Schlag -- auch nach den herbsten Stretchings über beide Ohren strahlend verließen.
Keith hatte seine Finger im Spiel, als 1998 das erste menschliche Mobile in Manhattan zu sehen war, plagte sich stilecht mit seinen Haus-Schlangen im Terrarium herum, spielte fett die E-Guitarre und war, obwohl er selber nicht tätowierte, unter anderem mit einem sehr schönen Fullback-Koi von Chris O'Donnell (2003, New York Adorned) geschmückt. Ende Mai 2005 ließ er sich von Daniel DiMattia (Calypso Tattoo, Lüttich), bei der Convention in New York noch ein marquesanisches Tattoo stechen.
Trotz seiner großen Erfahrung -- er setzte mehr als 20.000 echte und Play-Piercings und 150 sehr gute Cuttings und Brandings -- sowie hochkarätiger Medien- und Szene-Auftritte, machte es ihm immer Spaß, auch der völlig ahnungslosen Azubine bei der schrottigen Bank um die Ecke mit Humor auseinanderzusetzen, was Body Modification bedeutet. Wer nicht danach fragte, ahnte noch nicht einmal, dass er sowohl von der Village Voice als auch von Time Out New York zum Lieblings-Piercer der New YorkerInnen gekürt worden war.
Darüber hinaus peitsche Keith seine Arbeit von Anfang an ins Internet. Mit seinen aus eigener Anschauung gespeisten Hygiene-Tipps stand er beispielsweise in den 90er Jahren zumindest in Manhattan noch recht allein. Im übrigen programmierte, chattete und blogte er schneller, als es normale Finger erlauben.
Was nur über wenige Menschen gesagt werden kann, gilt für Keith Alexander ohne Einschränkung: Er war eine Inspiration. Sein Lebensmotto “Never say die” holte ihn erst vor wenigen Tagen ein: Er starb bei einem Fahrrad-Unfall, bei dem er keinen Helm trug.
Nachtrag 2015: Brooklyn war damals noch nicht cool und man konnte Taxi-Fahrer kaum überzeugen, dort hin zu fahren, weil sie sich nicht auskannten. Kein Witz. MB, 19. März 2015