Nervig, aber nützlich – Was wir über Fruchtfliegen wissen sollten

Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger, 9. August 2023

Fruchtfliegen lieben überreifes Obst und sind Plagegeister. Insektenexperte Mark Benecke sagt, warum wir sie dennoch schätzen sollten.

Von Elena Stickelmann

Copyright: Tomas Rodriguez

Wenn in den Sommermonaten süße Früchte in unseren Obstkörben hübschangerichtet sind, tauchen sie gefühlt aus dem Nichts auf: Fruchtfliegen. Auch aufKompost oder Müll fliegen sie. Das Herumschwirren der Tierchen kann lästig sein.Am liebsten möchten wir sie sofort wieder loswerden. Mark Benecke, Kölner Biologe und Bestsellerautor, zeigt uns, dass wir die Tiere mit anderen Augen sehensollten.

Wie finden Fruchtfliegen den Weg in meine Küche?

Fruchtfliegen (Drosophila Melanogaster) haben einen ausgeprägten Geruchssinn.„Sie können Gerüche wahrnehmen, die durch die Luft gehen, wie Essig, Wein oderaltes Obst“, sagt Mark Benecke. Insekten gehören zu seinem Spezialgebiet. Wenner nicht gerade von Fruchtfliegen erzählt, befasst sich der Kriminalbiologe vorallem mit der Untersuchung von Krabbeltieren, die verwesende Körper befallen.

Laut Benecke werden die winzigen Fliegen aber häufiger eingeschleppt, als dasssie vom Geruch angezogen werden. Das bedeutet, dass die Eier bereits auf einerNahrungsquelle vorhanden sind.

Wann gibt es die meisten Fruchtfliegen und wie vermehren sie sich?

In unseren Breitengraden können sich die Insekten nur bei sommerlich-warmenTemperaturen entwickeln, da sie ihre Wärme nicht selbst aufbauen können. „VieleInsekten sind ab plus 10 Grad Celsius aktiv, bei niedrigeren Temperaturen werdensie träge, ihr Stoffwechsel funktioniert nicht mehr richtig und sie können sich nichtmehr vermehren“, erklärt Benecke.

Der Lebenszyklus der Fruchtfliege beginnt mit der Eiablage auf überreifem Obst –bis zu vierhundert Eier kann ein Weibchen legen. Im Sommer dauert es zehn Tage,bis aus den Eiern Larven geschlüpft sind und diese sich zu Fliegen entwickelthaben. Die Weibchen leben bis zu acht Wochen, die Männchen lediglich zehnTage. Ohne Nahrung kann die Obstfliege jedoch keine vierundzwanzig Stundenüberstehen.

Und auch wenn sie sich jedes Jahr aufs neue rasant vermehren, werden diekleinen Tierchen nicht mehr, im Gegenteil. Früher habe es viel mehr Fruchtfliegen gegeben, so Benecke: „Junge Menschen denken, die Welt sei immer so leergewesen, aber ältere Menschen erinnern sich noch an die vielen Schmetterlinge,Wildbienen und anderen Insekten in der Luft.“

Sind Fruchtfliegen ein Problem für die Gesundheit und können sieTräger von Krankheiten sein?

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen im Laufe ihres Lebens einige kleineFliegen verschlucken, besonders beim Radfahren. Dies sei jedoch kein Grund zurSorge. Die Fliegen seien, wenn überhaupt, eher nahrhaft. Fruchtfliegen sind zudemkeine Träger von Krankheiten und stellen keine Gefahr für die menschlicheGesundheit dar.

„Es gibt keine harmloseren Lebewesen als Fruchtfliegen – sie sind wie dieKoalabären der Insekten“, sagt Benecke. Er freue sich jedes Mal, wenn er welchesehe: „Die haben auch total schöne Augen, schöne Körper und schöne Flügel.“Details, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind.

Fruchtfliegen und Menschen haben teils ähnliches Verhalten

„Und sie zeigen auch Neugier, wie wir Menschen.“ In manchen Dingen seien sieuns gar nicht so unähnlich, sagt Benecke. Wie findet man das heraus? „In derBiologie gibt es sogenannte Modell-Tiere, die verwendet werden, um den Aufbauder Nerven, die Entwicklung von Lebewesen und vieles mehr zu erforschen“,erklärt der Biologe.

Dazu gehören zum Beispiel der kleine Fadenwurm, die Maus, der Zebrafisch undauch die Fruchtfliege. Über diese Organismen ist viel bekannt, da ihr gesamtesNervensystem und Erbgut erforscht wurde. In Experimenten werden sieunterschiedlichsten Bedingungen ausgesetzt, um ihr Verhalten zu beobachten. Sokann man zum Beispiel herausfinden, ob sie soziale oder depressive Zügeaufweisen.

„Depressives Verhalten wäre zum Beispiel, wenn sie sich nicht mehr fürPaarungen interessieren oder nicht mehr umherfliegen. Soziales Verhaltenhingegen würde sich zeigen, wenn sie das Verhalten anderer Tiere beobachtenund übernehmen“, sagt der Insektenexperte. Etwa bei der Nahrungssuche, dennFruchtfliegen gehen in Gruppen auf Futtersuche.

Wofür sind Fruchtfliegen gut?

Die Tiere zersetzen zum Beispiel Kompostabfälle so, dass diese von anderenLebewesen wiederverwertet werden können. Und die Larven der Fruchtfliegendienen als Nahrung für Käfer, die wiederum von Vögeln gefressen werden und soweiter. Diese biologischen Netzwerke seien milliardenfach verknüpft. Wie siefunktionieren, verstehe man erst durch genaues Beobachten, so Benecke.

Doch der Insektenforscher warnt: „Durch das Sterben vieler Tiere wird derbiologische Kreislauf gefährdet, was im schlimmsten Fall dazu führen kann, dassdas biologische Netz zerrissen wird.“ Dies sei besonders schlecht für die Art an derSpitze des Kreislaufs, den Menschen. Ohne Insekten würden ganze Lebensräumeverarmen, sie seien die Grundlage für das Funktionieren von Ökosystemen.

Wie werde ich Fruchtfliegen los? Verschwinden die Tierchen vonallein?

Der Appell Beneckes lautet deshalb, die Tiere in Ruhe zu lassen – schwer zuerwischen, seien sie allemal: „Sie haben im Laufe der Zeit schlaue Flugtechnikenentwickelt, um ihren Feinden zu entkommen.“ Wie kann man sie also schonendbeseitigen? „Am besten verlegt man die Anziehungsquelle nach draußen – Müllregelmäßig leeren, und wer hat, bringt faulendes Obst auf den Kompost“, rät derInsektenversteher.

Was macht die Fruchtfliege für den Insektenforscher sympathisch?

Benecke beschreibt es so: „Fruchtfliegen sind aus Alltagssicht schön, mituntersozial und friedlich. Sie mögen dasselbe wie wir, nämlich süßes Obst. Ausbiologischer Sicht stellen sie einen der Milliarden Netzknoten dar, die uns dasmenschliche Leben ermöglichen. Wir sollten ihnen dankbar sein und ihnen sogarextra draußen eine faule Pflaume hinstellen.“


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