Mittelbayerische Sonntagszeitung: Freundlicher Witz

Quelle: Mittelbayerische Sonntagszeitung vom 29. Januar 2017, Thema der Woche, Seite 3

VON SUSANNE WOLF

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Autorin Susanne Wolf hat sich mit Deutschlands bekanntestem Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke über seinen Job, seine tierischen „Mitarbeiter“ und seine teils schrägen Sichtweisen unterhalten.

Dr. Mark Benecke ist Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Sicherung, Untersuchung und Auswertung kriminaltechnischer Spuren. Kurz: Er ist Kriminalbiologe. Und Deutschlands bekanntester dazu. Mehrmals wöchentlich ist er als Experte bei „Medical Detectives“, „Autopsie“ und ähnlichen Formaten zu sehen. Außerdem ist er deutschlandweit das ganze Jahr über auf Vorträgen zu hören. Im Interview spricht Dr. Mark Benecke über seinen Arbeitsalltag, seine tierischen „Mitarbeiter“ und wie sich sein Privatleben gestaltet.


Wie kommt es, dass Du Kriminalbiologe geworden bist?

MB: Als Kind wollte ich eigentlich Koch werden. Aber auch die Spurensuche hat mich schon immer fasziniert: Ich habe als Kind immer versucht, Schneeflocken für das Mikroskop mit Lack einzufangen. Und ich habe Staub auf Tesafilm geklebt und untersucht. Daher kann man wohl sagen, dass ich mich schon immer für spurenkundliche Dinge interessiert habe.


Und wie ging es dann weiter?

MB: In der Schule fand ich auch Chemie immer gut. Dann habe ich Bio studiert, weil ich Bio gut fand. Da bin ich dann in das Fach reingerutscht, weil ich in der Rechtsmedizin in Köln ein Praktikum über genetische Fingerabdrücke gemacht habe. Ich habe diese Technik dann in die Zoologie in Köln transportiert und umgekehrt zoologische Techniken in die Rechtsmedizin gebracht. Da die Polizisten das auch interessant fanden, hat sich der Rest dann ergeben.


Inwiefern?

MB: Irgendwann sagte der Chef des Kölner Amtsgerichtes, ich solle mich doch mal öffentlich bestellen und vereidigen lassen. Das hat dann auch gut geklappt. Da es nur wenige Menschen gibt, die sehr schlecht bezahlte Fälle bearbeiten, die außerdem auch noch schräg und oft traurig sind, bin ich jetzt Sachverständiger für biologische Spuren und schräge Fälle.


Wie sieht denn ein „normaler“ Tag von Dir als Kriminalbiologe aus?

MB: Wichtig ist, dass ich im Herzen Biologe bin. Kriminalistik ist eine Anwednung meiner biologischen Tätigkeit. In meinem Job mache ich zwei Sachen. Entweder bin ich als Spurenkundler tätig und gucke nur die Insekten an. Dann kann ich beispielsweise manchmal sagen, dass ein Insekt fünf Tage auf der Leiche gelebt hat, oder dass eine Leiche mit Sicherheit längere Zeit in einem Haus gelegen hat und nicht an der Stelle, wo sie gefunden wurde. Der Rest des Falls ist mir dabei vollkommen egal.


Und wenn das nicht der Fall ist, was machst Du dann?

MB: Dann bin ich mit Tatortrekonstruktionen beschäftigt. Wenn es darum geht, hole ich mir alle möglichen Infos heran und rede mit jedem, der irgendetwas wissen könnte. Erst einmal registriere ich alles, schreibe auf, fotografiere, notiere, beschrifte, katalogisiere, kartiere. Und wenn es dann um die Einordnung geht, was das alles für den Fall bedeutet, lautet die Regel: Ich glaube erst einmal gar nichts. Ich glaube auch nicht mir selbst. Schlechte Sachverständige denken, dass es eine Person auf der Welt gibt, auf die sie sich verlassen können: sie selbst. Aber das stimmt nicht. Erfahrungsgemäß macht man viele Denkfehler und steht sich selbst im Weg.


Was ist an einem Tatort wichtig?

MB: Eben erst einmal gar nichts glauben, was ich sehe. Zum Beispiel: Nur weil sich Sperma zwischen den Beinen des Opfers befindet, heißt das nicht automatisch, dass es auch vergewaltigt wurde. Niemals darf man das annehmen, was vermeintlich offensichtlich ist – ganz im Gegenteil. Man muss neutral und ohne jede Annahme oder vermeintliche „Lebensnähe“ vorgehen.


Wann kann man Dich anrufen und Deine Expertise in Anspruch nehmen?

MB: Ich nehme jeden Fall an, der Sinn ergibt: Von Silberfischchen oder Schmeißfliegen, die unerklärlicherweise auftauchen, bis hin zu mumifizierten Katzen auf dem Speicher oder getöteten Kindern. Für mich sind alle Fälle gleich, solange es Spuren gibt. Wenn es keine Spuren gibt, kann ich nichts tun.


Ohne was gehst Du nie aus dem Haus? 

MB: (überlegt kurz) iPhone, Swisstool, Kamera, Lupe, meine Frau.


Dein Beiname ist „der Herr der Maden“. Wie stehst Du zu diesen „Krabbeltierchen“?

MB: Maden sind aufrechte, coole, vernünftige Gegenüber. Sie sind wichtige, schöne, informative, biologisch sinnvolle Lebewesen. Sie helfen uns, die Liegezeiten von Leichen zu bestimmen. Ich mag aber auch Fauchschaben, die halten meine Frau und ich als Haustiere. Die können fauchen und ich nehme sie mit zu meinen Vorträgen. Im Berliner Naturkundemuseum bin ich Pate der Markusfliege.


Welchen wichtigen Nutzen haben diese Lebewesen Deiner Meinung nach?

MB: Ohne Aaskäfer, Schmeißfliegen und ähnliche Lebewesen würde die Welt innerhalb weniger Wochen zusammenbrechen, weil sie die Stoffe zerlegen und wieder verfügbar machen. Ich mag die Tiere alle. Überflüssig sind nur wir Menschen. Sowohl von der Biomasse als auch von der Artenvielfalt her – der Mensch ist ein kleiner, guter, freundlicher Witz der Evolution.


Und wie stehen die Maden genau im Zusammenhang mit Leichen beziehungsweise wie können sie Dir bei Deiner Arbeit helfen?

MB: Na ja, erst einmal setzt bei einer Leiche die Selbstauflösung der Zellen ein, die Autolyse. Wir essen und trinken nichts mehr, das ganze Energiegleichgewicht geht kaputt. Dann zerfällt alles, es tritt viel Wasser aus. Das ist für die Bakterien gut, die können Wasser und freiwerdende Nährstoffe nutzen. Dadurch wird alles viel weicher. Die Insekten können Eier ablegen. Die Maden, also die Kinder der Fliegen, können dann gut fressen und es entsteht eine neue Generation von Fliegen. Diese Abläufe untersuchen wir und fragen uns, was es über die Tat und die Leiche aussagt, beispielsweise die Liegezeit.


Faszination Tod. Wie stehst Du zu den Lebenden?

MB: Ja, Menschen sind interessant. Also, als Kriminalist könnte man ja sagen: Die müssen sich alle den Kopf einschlagen, dauernd. Aber trotzdem ist es halt einprogrammiert und über Emotionen und so weiter gesteuert, dass Menschen doch kooperieren. Also dieses super-super zerbrechliche Gleichgewicht zu sehen und dass das trotzdem funktioniert ... Das ist schon echt spannend.


Du bist mehrmals pro Woche bei „Autopsie“ oder ähnlichen Formaten zu sehen, deine Vorträge sind meist schon Wochen vorher ausverkauft. Wie erklärst Du dir den Hype um Deine Person und Deinen Job? 

MB: Die Leute finden spannend, was ich mache, weil ich es verständlich erkläre. Ich spreche gerne über meine Arbeit. Man kann garantiert auch Politik oder Atomphysik aufregend erklären. Wenn man das nicht hinkriegt, dann hat sich der- oder diejenige nicht die Mühe gemacht, es selbst zutiefst zu verstehen.


Du siehst wahrscheinlich nahezu täglich Leichen oder Bilder von Leichen. Rührt Deine humorvolle Art daher, dass Du Dich von diesem oft traurigen beziehungsweise harten Thema distanzieren willst?

MB: Es ist eher der ganze Wahnsinn, den ich beim vielen Rumreisen ungefiltert sehe. Man sieht in verschiedenen Kulturen und Regionen Menschen, von denen jeder denkt, er wüsste, wie die Welt funktioniert. Und das ist halt lustig. Also wenn jeder in jeder Region der Welt weiß, wie die Welt funktioniert, aber sie offensichtlich in jeder Region anders funktioniert, dann stimmt da irgendwas nicht. Das ist glaube ich eher die Quelle für meinen rheinischen Humor.


Hast Du ein Lebensmotto?

MB: Ich mache, wozu ich Bock habe und fertig.


Wenn Du Dich entscheiden könntest: Würdest Du noch einmal alles genauso machen wie bisher oder was würdest Du ändern?

MB: Ist egal. Mal gucken, was passiert (lacht). Nächstes Mal ist eh alles anders.
 


Mit großem Dank an Susanne Wolf und die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.