2012 10 Jean Hatzfeld: Zeit der Macheten
Titel: Zeit der Macheten: Gespräche mit den Tätern des Völkermordes in Ruanda
Autor: Jean Hatzfeld, Rezension: Dr. Mark Benecke; Verlag: Psychosozial-Verlag, 314 Seiten, Broschiert, 3. Auflage, ISBN: 3837922456, € 24,90 (D)
Genozid: Das Böse als Teil der menschlichen Freiheit
Rezension von Dr. Mark Benecke
Dies ist das informativste und entlarvendste, weil direkteste Buch über Täterverhalten und -denken, das es gibt, und zwar im Allgemeinen, wenngleich verdeutlicht an einem einzelnen Beispiel, dem Genozid in Ruanda.
Die interviewten Männer, die ihre NachbarInnen, Fussball-Kameraden, Freunde und Dorfmitbewohner mit Macheten täglich von 9:30 bis 16 Uhr verfolgten, folterten und töteten, schildern ohne politisches Blabla und vergeistigte Annahmen, wie sie einen der schnellsten und gründlichsten Genozide durchzogen, den es in der Neuzeit gab. Anders als im Holocaust fehlte die “Konzentration” (das Zusammenführen) der Opfer in Ghettos und die Anonymität der zu Vernichtenden: Die Täter kannten ihre Opfer allesamt persönlich. Nur so konnten sie überhaupt wissen, dass es Tutsi waren, die sie da abschlachteten.
Ob die Naivität der Täter-Aussagen vorgeschoben ist oder echtes Empfinden widerspiegelt (“Wie sehr man die Opfer leiden ließ, war jedem selbst überlassen. Ich muss sagen, dass es sehr vernachlässigt wurde, die Verletzten ganz zu erledigen. Auch wenn das nicht aus bösen Willen geschah, so war es doch auch nicht besonders freundlich [weil die Opfer einfach schwer verletzt liegenblieben und langsam und qualvoll starben].”), ist dabei egal:
Ich verstehe nun endlich, was die auch im Buch zitierte Hannah Arendt mit der “Allgegenwärtigen Normalheit des Bösen” (banality of evil) gemeint hat und wie durch zunächst unterschwellige und wirtschaftliche Vorurteile und Neid, die nur zur rechten Zeit gebündelt und mit den Tätern als solche erscheinenden “kleinen Vorteilen” (O-Ton der Täter -- gemeint sind Plünderungen. Vergewaltigungen, Landraub, Folterungen) verknüpft werden, zu nur scheinbar unmenschlichen, in Wahrheit aber leider allzu menschlichen Mördern machen können.
Autor Jean Hatzfeld schaltet zwischen seine ruhig geführten Interviews mit den untereinander seit Jahren befreundeten Tätern einige Erläuterungen. Darin erklärt er unter anderem, warum er -- nachdem er zunächst mit den Opfern der Mordwelle in Ruanda gesprochen hatte -- nun auch das Denken der Täter ergründet. Wertungen, Übertreibungen, Stilblüten, Sensationsgier und Gutmenschentum finden sich im Buch nicht. Schon dafür verdient Hatzfeld eine kriminalistisch-forensisches Lob erster Güte.
Seine Neugier, die harte Arbeit vor Ort im Gefängnis sowie an den hügeligen und sumpfigen Tatorten, aber auch die makellose Übersetzung verdienen es, von jedem, der mit schwersten Verbrechen arbeitet, gelesen zu werden. Die Verteidigungslinie der befragten Hutu ähnelt -- ohne sonstige kulturelle Gleichheit -- der von Nazis nach dem Krieg: Verantwortungsdiffusion, angeblicher Befehlsgehorsam, Schweigen, Verdrehungen, Märchen, aber -- allerdings nur, wenn es dem eigenen Vorteil nützt -- auch mal ein paar Funken Wahrheit.
Es geht dabei wohlgemerkt nicht um Verbrecher-Biografien, wie wir sie aus der täglichen kriminalistischen Arbeit kennen: Gebrochene, missbrauchte Menschen, die das wieder ausleben, was sie selbst erfahren haben. In die “Zeit der Macheten” werden im Gegenteil -- eben wie im dritten Reich -- praktisch alle Menschen einer Region zu Tätern, darunter auch Christen, Dorf-Lehrer, friedliche, fanatische, schlaue, doofe, mutige, feige, grosse und kleine Menschen -- unterschiedslos.
“Ich bin getauft und überzeugter Katholik”, sagt Alphonse, einer der befragten Täter beispielsweise. “Ich hatte das Gefühl, dass es besser wäre, während des Tötens nicht wie üblich zu beten. Was diese Drecksarbeit anging, konnte man von Gott nichts dafür erbitten.”
Die “Drecksarbeit”, noch einmal, ging täglich von 9:30 bis 16 Uhr -- danach wurde gefeiert. Ein anderer erzählt: “Es war ein Strafe, den ganzen Tag in den Papyrusstauden herumzuwühlen [und die dort versteckten anderen Dorfbewohner mit der Machete zu erschlagen], ohne zum Mittagessen nach Hause zurückzukehren. Der Magen mochte knurren, die Waden schmerzten, weil sie den ganzen Tag im Schlamm steckten. Immerhin aßen wir morgens reichlich Fleisch und tranken abends jede [Bier]. Das war ein äußerst angemessener Ausgleich. Die Plünderungen brachten uns mehr ein als die Ernte.”
Das Buch -- in dem sich übrigens auch wesentlich drastischere Schilderungen der Tötungen (stets im Original-Wortlaut der Täter, ganz ohne Juristendeutsch) finden -- zeigt, dass das “Böse” eben nicht nur durch vermurxte Kindheit, Armut oder Gene entstehen kann, sondern in weit größerem Ausmaß durch Vorurteile und Gier. Und die gibt es leider überall.
Mark Benecke, Kriminalbiologe
N.B.: Für PsychologInnen: Hatzfeld berichtet im Buch, warum die Hutu, obwohl sie auf den ersten Blick als Täter (!) posttraumisch belastet wirken, doch in einer grundsätzlich anderen Situation sind als beispielsweise Soldaten, die mit solch einer Störung aus dem Krieg kommen: Den Hutu fehlte jede Lebensgefahr, da sie in massiver Überzahl waren und es schon nach kurzer Zeit keine Gegenwehr der Tutsi mehr gab. Erst, als die Hutu nach dem Genozid das Land in die Flüchtlingslager im Kongo verließen, wurde ihnen mulmig.
P.S.: Wen weitere Schilderungen von Tätern, Mitmachern, Kollaborateuren oder aus dem direkten Umfeld von Tätern interessieren, dem empfehle ich Höß: Meine Psyche (Kommandant in Auschwitz: Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß), Miklos Nyiszli: Rechtsmediziner in Auschwitz (bei www.amazon.com: Auschwitz, A Doctor'ss Eyewitness Account), (Erich Honecker Aus meinem Leben, Biografie), Markus Wolf: Spionagechef im geheimen Krieg, Ferdinand Sauerbrauch: Das war mein Leben -- unabhängig vom politischen System, von der Art der ausgeübten Unterdrückung oder des Mitlaufens oder Vorteilnehmens und vor allem auch unabhängig von der frühkindlichen Biografie: Überall dieselben Verdrängungen, Ausreden, Auslassungen, Rechtmäßigmachungen und Schönfärbereien. Das "Böse" ist oft genug bloß ein Teil der menschlichen Freiheit -- nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Vergleich der Täter, zu dem Hatzfeld beiträgt, zeigt das mit großer Klarheit.