GOTHIC #87, Juni 2018, Seiten 22—23
Dr. Mark Benecke hat viel zu sagen und viel zu erzählen. Er ist Kriminalbiologe, Vampyr-Experte, Politiker und immer wieder Gast in zahlreichen TV-Shows. Damit schafft er den Spagat zwischen Wissenschaft und der Präsenz in der Populärkultur. Wer so viele Talente hat und noch dazu in der schwarzen Szene unterwegs ist, darf bei uns natürlich nicht fehlen. Und weil Benecke über die unterschiedlichsten Dinge aus dem sinistren Nähkästchen plaudern kann, dürft ihr euch regelmäßig auf ein Feature freuen!
Aber beginnen wir für den Anfang am Anfang. Wie kommt man dazu, sich für einen Beruf zu entscheiden, der bei vielen Schaudern hervorruft? Hier hatte laut eigener Aussage ein Superheld die Finger im Spiel: „Ich habe mal geträumt, dass Spider-Man an unserer Langbau-Siedlung vorbeischwingt. Das fand ich sehr cool und bewegend.“ Eingefleischte Comic-Fans werden wissen, dass Peter Parker Biochemie studiert hat. Damit war „schon einiges klar“, sagt Benecke – er hatte (natürlich nur im übertragenen Sinn) Blut geleckt.
So ist Benecke in den letzten Dekaden selbst zu einer Art Superheld seines Fachs geworden. Trotzdem sagt er: „Ich bin Biologe, also bin ich nicht cool.“ Wir sprachen mit ihm über Superhelden, Superkräfte und Humor im Angesicht des Verlustes.
Text: Sabrina Beck | Fotos: Christoph Hardt
Wenn du schon nicht cool bist: Was bräuchte ein Wissenschaftler, um das zu sein?
In den Augen der Öffentlichkeit vermutlich eine emotionale Lebensgeschichte, wie bei Stephen Hawking. Ich fand das kollektive Trauern um ihn eigentümlich, da die meisten Menschen sich nicht die Bohne dafür interessieren, was er erforscht hat. Eine Freundin, von seinem Tod tief bewegt, hielt ihn für einen „Chaos-Forscher“. Huch? Es ist in der Wissenschaft wohl wie auch sonst: Die Story sollte den Erwartungen an ein kauziges Genie entsprechen. Richtig cool geht dabei, glaube ich, nicht.
Justus von Liebig, Alexander von Humboldt, Michael Faraday ... Sie wurden von den Menschen verehrt und geliebt, weil sie sich verständlich ausdrückten. Das ist vielleicht die Brücke.
Andere, die wirklich cool waren und sind und durchaus das Zeug zu Stars mit vorbildlichen Lebensgeschichten gehabt hätten, passten dann aber doch wieder nicht ins Raster: Rosalind Franklin (Struktur-Aufklärung von DNA) war zu mürrisch und starb zu früh, Kary Mullis (Nobelpreis für DNA-Kopier-Verfahren) ist zu wacko und Stefan Hell (Nobelpreis für Fluoreszenzmikroskopie) zu bescheiden.
Egal ob cool oder nicht: Was ist die wichtigste Zutat, um ein Leben lang von der Forensik fasziniert zu sein?
Ich habe ein Plätzchen, in dem ich die Welt eine Streichholzbreite weit voranbringen kann. Diese Formulierung hat der Ankläger Fritz Bauer im Zusammenhang der Nürnberger Prozesse geprägt, und ist es das Schlaueste und Sozialste, was ich je gehört habe. Da ich kein anderes Plätzchen habe, an dem ich etwas tun kann, was nicht viele andere können, mache ich es eben im Bereich der Forensik und möchte damit auch nicht aufhören.
Es gibt immer wieder Fälle, die durchs Raster fallen und die bei Tina und mir im Labor landen – das möchte ich nicht leichtfertig drangeben. Natürlich haben alle Menschen in der Forensik ihre tiefen Gründe, warum sie die wilde Welt auf Messbares zusammenschmelzen: Das große Ganze ist uns zu kompliziert. Die wichtigste Zutat ist also Freude an Details.
Die Superkraft welches Superhelden (oder Superschurken) hättest du dabei manchmal gerne?
Ach, ich will nicht super sein. Nett wäre es, Nervensägen eine Zeit lang anfrosten zu können – wie Dr. Freeze.
Gibt es in deinem Job auch Situationen, in denen du schmunzeln musst?
Dauernd. Wir lachen sogar mit Angehörigen, wenn wir an der angeblichen „Absturzstelle“ ihres Sohnes stehen, diese aber eindeutig für einen Mord, nicht einen Unfall oder Suizid spricht. Menschen sind viel stärker, als sie manchmal selbst glauben oder bemerken. Humor ist dabei die mit Abstand beste Art, um auch den größten Shit zu akzeptieren und sich nicht daran aufzureiben. „Shit is real“, wie der Titel eines guten aktuellen Comics heißt, und die beste Waffe ist das Lachen.
Wie beeinflussen dein Beruf und deine Beschäftigung mit übernatürlichen Themen deinen Alltag?
Ich habe gelernt, dass alles verschwindet und irgendwann in anderer Form wieder auftaucht. Alles ist ein riesiges, zunächst mal irdisches, Recycling und Netzwerk, nicht nur der lebenden Dinge, sondern auch der physikalischen Wirkungen und chemischen Bausteine. Es ist aber auch „kosmisch“, denn natürlich sind wir ebenfalls in diese Zusammenhänge eingebettet, so wenig sie uns im Alltag auch interessieren.
Eine gute Darstellung dieser Ebenen-Durchdringung – menschliche, irdische, planetarische, elementare – findet sich in „Watchmen“ (Comic und Film sind dabei gleichwertig). Das Netzwerk des Lebens ist unfassbar cool, wundersam, schön und schützenswert, auch wenn es gerade vor unseren Augen stirbt.
Sterben ist ein gutes Stichwort. Wenn du Superheld wärst und sterben müsstest, damit Unheil abgewendet werden kann, würdest du es tun?
Ich habe nichts Heldenhaftes an mir. Daher arbeite ich an Vorbeugung, auch mit Opferhilfs-Organisationen, im Knast, im Tier- und Menschenschutz, bei Vorträgen und in der Fall-Arbeit. Wenn die Vorbeugung versagt, dann können und werden Dinge auch mal untergehen. Die Streichholzbreite ist wie gesagt mein Maßstab, nicht die Rettung der Menschheit. Da müssen schon viele zusammenarbeiten.
Wenn sie das nicht tun – siehe die Verschwendung all unserer irdischen Ressourcen –, dann kann ich im besten Fall vorbildlich handeln. Mehr geht nicht, und ob es funktioniert, steht in den Sternen. Die meisten Menschen schaffen es ja noch nicht mal, auf Tier-Ausbeutung zu verzichten. Und das ist sehr einfach: vegan leben. Wenn dieser wirklich kleine Schritt nicht gelingt, dann müssen wir mit der Zerstörung unserer Welt leben. Heulen hilft nicht.
Wenn wir gerade bei der Zerstörung sind: Wer ist für dich der Superschurke schlechthin und warum?
Ich mag Harley und den Joker, vor allem wie sich ihre Geschichten über die Jahre stark verändert haben. Eine erste größere Wendung war, als die DC-Autoren beschrieben, dass und wie Batman und der Joker sich gegenseitig bedingen und sogar gegenseitig erschaffen haben, also so eine Art kranke Abhängigkeit voneinander entwickeln.
Batman wird im Laufe der Jahrzehnte immer besessener und im „Dark Knight“ sogar zum grimmigen Militaristen. Nachdem in den 1990ern Harley Quinn erfunden wurde, hat sie sich immer weiter verändert, zuletzt durch die sehr gute Darstellung in „Suicide Squad“, wo ihr die Schminke, auch seelisch, zwischendurch runterläuft. Sie ist Gefangene ihres Bullshits, nicht mehr und nicht weniger.
Die ursprüngliche Joker-Version ist auch realistischer dargestellt, als es vielleicht scheint — zumindest wenn ich mir die Biografien mancher Täter anschaue, denen als Kindern Ähnliches widerfahren ist: keine Struktur-Hilfen, emotionale Vernachlässigung und das Bemühen, mit leider sehr falschen Methoden etwas für sich selbst zu tun.