9. April 2018, 6:00 Uhr, Neue Osnabrücker Zeitung
Mit vielem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
Kriminalbiologe Benecke: Was Blutspuren verraten – und was nicht
Von Melanie Heike Schmidt
„Die Frage bei Blutspuren ist immer: Von wem können sie sein?“: Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke
Osnabrück. Nach der Bluttat in Münster müssen die Experten der Spurensicherung den Tatort aufnehmen. Doch wie genau geschieht das? Und was können beispielsweise Blutspuren über die Tat erzählen? Antworten darauf weiß Dr. Mark Benecke. Der Kölner gilt als berühmtester Kriminalbiologe der Welt.
Geschieht eine Gewalttat wie die tödliche Amokfahrt am vergangenen Samstagnachmittag Münster, sind Experten gefragt, um die Spuren zu sichern. Und zwar so akribisch, dass es mithilfe der Auswertung später gelingt, den Tathergang nachzuvollziehen. Dies wird umso wichtiger, wenn der Täter – wie in Fall von Münster – tot ist. Wer einmal einen TV-Krimi gesehen hat, könnte meinen, er wüsste, wie eine solche Spurensicherung vonstattengeht. „Glauben ist kein Wissen“, betont der Kölner Kriminalbiologe Mark Benecke im Gespräch mit unserer Redaktion. „Eine häufig im Fernsehen gezeigte Szene ist zum Beispiel, dass es Ärger gibt, wenn Leute am Tatort herumlaufen. Tatsächlich geht das oft nicht anders. Leben zu retten beispielsweise beeinflusst selbstverständlich die Spurensicherung. Doch das ist nicht schlimm, sondern notwendig.“
„Jeder Tatort anders“
Benecke weiß, wovon er spricht, seit 25 Jahren untersucht er Tatorte auf der ganzen Welt auf biologische Spuren, er ist Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger auf diesem Gebiet. „Jeder Tatort ist anders. Man muss auswählen, was sinnvoll ist. Die Polizei nennt das kritische Einzelfallbetrachtung. Bei der Spurensicherung mixen sich Techniken aus Labor-Erfahrung und Wissenschaft“, erklärt der Forensik-Experte.
Unter anderem Blutspuren stehen im Fokus, das gilt auch für den Tatort in Münster. Der Täter war mit einem Campingbus in Menschen gerast, die auf der Freifläche eines Restaurants saßen. Zwei Menschen starben, Dutzende wurden verletzt. „Die Frage bei Blutspuren ist immer: Von wem können sie sein? Vom Täter, weil er sich erschossen hat? Hatte er weitere Verletzungen? Sind die Spuren von einem Gast, der verletzt wurde? Oder hatte jemand vielleicht nur Nasenbluten?“
Was Blutspuren erzählen
Benecke erinnert an den Fall des Anschlags auf dem Berliner Breitscheitplatz im Dezember 20016, wo der Attentäter Anis Amri einen Lkw gekapert hatte und damit in eine Menschenmenge gerast war, zwölf Menschen wurden getötet, mehr als 70 verletzt: „Hier stellte sich die Frage, ob sich der Fahrer des Lkw, der ebenfalls getötet wurde, gewehrt hatte, ob er gekämpft hat oder nicht.“ Auch solche Schlüsse lassen sich gegebenenfalls aus Blutspuren ziehen, wobei „Erfassen, Untersuchen und Auswerten verschiedene Paar Schuhe sind“, so der Kriminalbiologe. „Bei der Untersuchung von Blutspuren und Fasern kann beispielsweise herauskommen, dass sich zwei Personen mehrfach berührt haben müssen. Doch warum das so ist, ob sie vielleicht miteinander gerangelt haben oder sich auf anderem Weg berührt haben, all das gehört in den Bereich der Auswertung“, sagt Benecke, der bereits mehrere Bücher zum Thema verfasst hat.
Möglichkeiten immer besser
Insgesamt seien die Möglichkeiten, Tatorte zu untersuchen und daraus Schlüsse auf den Tathergang und auf den oder die Täter zu ziehen, mit den Jahren immer besser geworden. „Seit 1985 haben wir durch die Entdeckung der genetischen Fingerabdrücke einen riesigen Sprung gemacht“, so der Forensik-Experte. Auch insgesamt sei die Entwicklung in Sachen Gewalttaten in Deutschland positiv: „Gerade angesichts solch schrecklicher Vorfälle darf man auch nicht vergessen: Es passiert immer weniger. Die Zahl der Tötungsdelikte nimmt deutlich ab, und es wird schneller aufgeklärt. Mögliche Nicht-Täter können schneller ausgeschlossen, mögliche Täter schneller eingegrenzt werden“, so Benecke.
„Prävention das Wichtigste“
Nach Ansicht des Kriminalbiologen zeige die Gewalttat von Münster jedoch auch, wie wichtig Prävention sei. „Härtere Strafen machen die Toten nicht wieder lebendig. Wenn aber Täter gar nicht erst zu Tätern werden, gibt es auch keine Opfer.“ Es gelte, mit wissenschaftlichen Mitteln herauszufinden, wer wann wie gefährdet sein könnte. Benecke verweist auf zwei derzeit in Deutschland laufende Projekte, die potenzielle Gewalttäter sowie potenzielle pädophile Täter davon abhalten sollen, tatsächlich zu Tätern zu werden. „Es können sich Menschen melden, die von sich sagen: Ich möchte nicht Täter werden. Von solchen Projekten brauchen wir mehr“, so der Kriminalbiologe.
Mehrere Medien berichten, dass der Täter von Münster psychisch labil gewesen sein soll, eine offizielle Bestätigung gibt es derzeit nicht.