Self-Discovery
Vorwort von Mark Benecke
Magic Zyks (Autor) / Andreas Reichardt (Verlag)
Cool finde ich beispielsweise die starke Dramaturgie nebst allerhand
poetischer Momente, auch in den oft lakonischen Interview-Anworten:
„Welches Tier würdest Du gerne sein, wenn Du wiedergeboren würdest?“
„Ein Vogel.“ -- „Hast Du ein Vorbild?“ „Ich will mich selbst finden und
dazu brauche ich kein Vorbild.“ -- „Welche Reaktionen erhältst Du aus
Deinem Umfeld?“ „Ich merke oft, dass ich gar nicht alleine bin.“ Das ist
knapp wie bei Hemingway, naiv und trotzig wie ein frisch aufgeräumtes
Hello Kitty-Zimmer, aber im Zusammenspiel mit den Fotos zugleich auch
ein tonnenschwerer Brocken.
Dennoch klebt das Ganze nirgendwo pechschwarz und triefend vor
sich hin. Erstaunlich, denn immerhin zerstört sicher nicht nur einer der
Befragten, was ihre Eltern einst erschaffen wollten: Die kleine, liebe
Tochter. Dass es dabei hin und wieder -- oder wohl auch öfters --
scharfer Gegenstände bedarf, ist zwar verständlich. Weh tut es trotzdem.
Aber das soll es ja auch.
Noch einmal zur Dramaturgie des Buches. Dass Zyks auf die
atemberaubende Titelfotogeschichte einer mehr als vollbusigen Vernarbten
die ganz und gar angekommene, transsexuelle Susanne folgen lässt,
darauf müsste man erstmal kommen. Auch, dass auf einem ausnehmend
schönen Foto Pina Bausch von oben, von unten aber Miss Platnum auf die
schöne Körperhaltung der anmutigen Antonia schauen, ist sicher kein
Zufall. Der Autor heißt vielleicht eben deshalb „Magic“: Weil andere
solche Fein- und Freiheiten in einem eigentlich angespannten Umfeld
mangels Hirnfrische nicht erkennen und ablichten könnten.
Drei Beispiele: Bei Narben an Borderline zu denken, bei einem
Knebel- und Zaumzeug an ein Arschloch von älterem Familienmitglied oder
bei einer tätowierten Riesenfledermaus an Spinnweben im Kopf -- das ist
zu billig. Zyks springt gleich dahin, wo die HauptdarstellerInnen sich
und ihre Körper stattdessen sehen: Bei Herzensgefühlen, dem Fliegen und
einem Hintern voller Doppelstriemen. Kotau.
Selbst in neueren Dokumentationen zum Thema Bodymodification
kommt eine derartig professionelle, aber unbefangene Eindampfung auf den
Zweck der Übungen -- nämlich die Selbstfindung der durchaus getriebenen
Protagonistinnen -- nicht vor. Das ist in self-discovery anders.
Dort finden sich humorvolle, exhibitionistische, entspannte Menschen,
die mit einer Handfessel, deutlich geformten Oberschenkeln und einem
Heißgetränk in der Hand auch mal gemütlich abchillen. Keins der Fotos
und keine der Textminiaturen ist, bei aller notwendigen Nacktheit,
voyeuristisch oder trivial. Zyks hat nicht nicht triefende Fantasien auf
die Seelen anderer gepatscht, sondern solide Persönlichkeiten
darstellt, die ihrer Welt so vorstellen, dass es für keinen Normalo mehr
hinnehmbar ist.
Natürlich haben die Dargestellten neben Mumm auch Flöhe im Kopf.
Denn wessen FreundInnen komplett aus einer einzigen Subkultur stammen
oder wer sich die Brüste vor dem Ausgehen mit Kochsalzlösung vollpumpt,
der ist sicher anders, sich seiner aber auch sicher. Das gilt erst
recht, wenn die Aktion in retrorustikalem Eichen-Interieur unter der
Mansarde stattfindet.
Dergleichen Irrsinn stört die Special People im Buch nicht im
geringsten. Zurecht, denn erstens verwandeln sie sich ja nicht wie die
umoperierten Zombies der Jetztzeit -- aktuell die Brüder Bogdanoff,
Michaela Romanini oder Jocelyn Wildenstein -- zu Grauen erregenden
Gruselgespenstern, sondern zu freudig entspannten Akteueren, die wollen,
was sie tun.
Zweitens wissen sie um ihre Sonderlichkeit und können sie daher
ins Leben einbauen. Das ist nicht selbstverständlich. Den meisten
Menschen sind ihre eigenen Wünsche so fremd, dass sie sich lieber
verbissen durchs Leben bitchen anstatt mittels eines schwarzen
Ganzkörperanzuges zu einem Latexpanther zu mutieren. Oder sich erst die
Haut einfärben, um damit ihre ganze Welt in Flammen zu setzen. Der
Begriff des Gesamtkunstwerkes erhält dabei einen völlig neuen Überzug
nebst schicker Färbung. Sie verstehen, was ich meine.
Noch einmal: Das hier ist ein eindrucksvolles, schlüssiges,
modernes Werk, und es kommt ganz ohne Psychogeschwafel aus. Davon haben
die Darstellerinnen zwar gewiss schon einiges hinter sich, es gehört
aber wie die hin und wieder verweigerte Angabe zum Beruf in der Tat
einfach nicht hierhin. Zyks zeigt nicht, ob oder was bei den
Protagonistinnen schief gegangen sein könnte, sondern wo sie heute
stehen.
Self-discovery wird für sehr lange Zeit Richtschnur und
Leitstern sein, wenn es um unaufgeregte, lupenreine Bild- und
Selbst-Beschreibungen von Menschen geht, die zwar körperlich oder
seelisch ziemlich vernarbt sind, aber gerade deswegen auch mehr als
andere ihren Frieden sehr gründlich aushandeln mussten.
Und das ist sehr, sehr schön.