Source: Skeptiker 1/2000, S. 40-41. Die hier vorliegene Rohfassung kann stellenweise von der gedruckten Fassung abweichen.
Patente Unternehmer
US-Patentbehörde erteilt Ideenschutz, ohne die Erfindungen zu prüfen
von Mark Benecke
In den USA ist es ganz normal, Homöopathie als abstruse mitteleuropäische Spinnerei abzutun, aber gleichzeitig daran zu glauben, daß vom menschlichen Körper verschiedene Energiefelder ausgehen, die nicht nur spürbar, sondern auch objektiv meßbar sind. So ist unter U.S.-amerikanischen Krankenschwestern und -pflegern die Behandlungsform des therapeutic touch weit verbreitet, bei dem die Pflegenden meist ohne Aufforderung oder Rücksprache mit ärztInnen ihre Hände in die Nähe eines erkrankten Patienten halten, um den Energiehaushalt positiv zu beeinflussen. Als die neunjährige Emily Rosa in einem Schulprojekt den therapeutic touch messen wollte, erzielte sie allerdings ein enttäuschendes Ergebnis: Hinter einen Pappschirm mit zwei Löchern stehend, hielt sie den getesteten Schwestern und Pflegern für diese nicht sichtbar eine Hand entgegen. Die therapeutic touch- Praktizierenden, die durch die Löcher in der Wand ihre Hände streckten, konnten mit einer fünfzigprozentigen Wahrscheinlichkeit ewrmitteln, welche Hand ihnen Emily entgegenstreckte. Mit anderen Worten, das angeblich wahrgenommene Kraftfeld war nicht detektierbar. Emily konnte sich freuen - Ihr Artikel wurde nicht nur im angesehenen Journal of the American Medical Association abgedruckt, sondern sie erhielt auch einen IgNobel-Preis, der jährlich von den an der Harvard-Universität verliehen wird.
Allen Messungen zum Trotz - und vor allem in absoluter Verneinung der neuen medizinischen Orientierung hin zur nur auf beweisbaren Wirkprinzipien beruhenden evidence based medicine - schlägt die Welle des vielleicht irgendwie Wirksamen in den USA besonders hoch. Die Zeitschrift Science berichtet in ihrer Ausgabe vom 21. Mai 1999 (Science 284, S. 1252-1254) ausführlich über neue Patente aus dem Bereich der sogenannten “New Physics“, die zwar der naturwissenschaftlichen Grundlage entbehren, aber dennoch kommerziell erfolgreich sind oder zumindest das Fundament neuer Firmen bilden, die Investitionsgeber suchen. Zunächst ein Wort zu den Hintergründen. Das US-amerikanische Patentamt kämpft derzeit mit einer mehr als achtprozentigen Steigerung der üblichen gut 240.000 Anträge pro Jahr und muss daher zu den bereits angestellten 3000 Sachbearbeitern im kommenden Jahr weitere 700 Mitarbeiter anstellen. Das führt schon jetzt dazu, dass zunehmend unerfahrene und mit dem inhärenten Irrwitz des Jobs nicht vertraute Menschen Patentgesuche prüfen müssen.
Jeder, der schon einmal in einer amerikanischen Behörde gearbeitet hat, versteht das Problem: niedrige Bezahlung, enormer Arbeitsdruck und Mangel an offenem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen können dazu führen, dass Sachentscheidungen getroffen werden, die zwar niemandem schaden, aber auch niemandem nützen. Besonders einfach können Patente mit nicht verstehbarem Mechanismus schon deshalb akzeptiert werden, weil ein Wirksamkeitsbeweis nicht erforderlich ist. Nur wer ein Perpetuum Mobile anmelden möchte, muss ein funktionstüchtiges Modell vorweisen - aber das hat seit dem 19. Jahrhundert niemand mehr versucht.
Solange die zur Anmeldung eingereichten Geräte innovativ und im Grunde praktisch anwendbar (“reducible to practice“) sind, werden sie geprüft. Da jeder Sachbearbeiter innerhalb eines weiten Spielraums entscheiden kann, was “im Grunde praktisch anwendbar“ bedeutet, kommt es zu Patenterteilungen wie der für Patent 5.830.064, einem elektronischen Gerät zur Umsetzung psychischer Kräfte. Eine oder mehrere Personen können dabei mittels ihrer Geisteskraft und des Gerätes “Spiele, Bildschirmanzeigen und Endgeräte steuern“. Beantragt hat das Patent die Firma Pear Inc., die dem PEAR-Labor (Princeton Engineering Anomalies Research) der Parapsychologen Robert Jahn und Brenda Dunne angeschlossen sind, die beide auch als Erfinder des Patents aufgeführt sind. Pear firmiert seit kurzem unter dem Namen Mindsong und verkauft ihre Steuereinheit zum Preis von etwa Euroe 450. Der Physiker Marc Sher vom College of William and Mary in Williamsburg, der im Auftrag von Science einen Blick auf den Apparat geworfen hat, stellt fest: “Am Anfang liest sich die Beschreibung des Gerät ziemlich normal, aber je weiter man liest, desto mehr driftet die Beschreibung in Richtung Fantasialand ab.“
Physiker Sher schließt aus, dass das Gerät jemals funktioniert hat oder funktionieren kann. Mindsong hält lakonisch dagegen: “Kaufen sie sich doch eins der Geräte und probieren es einfach aus. Skeptiker verstehen allerdings das Grundprinzip des Apparates - die Quantenkohärenz lebender Systeme - nicht.“
George Manuel, der Sachbearbeiter, der das Patent genehmigte, sagte, dass er wegen einer zeitweisen betriebsinternen Aufgabenumverteilung die paranormale Spielesteuerung bewerten musste, obwohl er normalerweise für Medizintechnik zuständig ist. “Legitim“, sagt Manuel, “ist die Erteilung dieses Patents meines Erachtens bestimmt.“
In einem anderen Fall wird die Sinnleere des Patentprozederes noch deutlicher. Obwohl eine Arbeitsgruppe im Sandia National Laboratory in Albuquerque mit Doppelblindstudien bewiesen hat, dass das Patent Nummer 5.748.088, ein “Gerät zur Erkennung dielektrokinetischer Entitäten als Rettungshilfe zur Lokalisation von Menschen“, nicht funktioniert, bleibt es zum Preis von über achttausend Euro auf dem Markt. Besonders rätselhaft ist die Referenz der Hersteller auf die Dielektrophorese (dielectrophoresis, DEP). Dieser Effekt beschreibt in der Physik eine sehr schwache Wirkung in einem sehr starken elektrischen Feld. Die vom menschlichen Herzen über eine Distanz von mehr als einem halben Kilometer übertragenen elektrischen Felder, die das Gerät erkennen soll, können hiermit nicht gemeint sein - das klassische Bild einer magisch-pseudowissenschaftlich motivierten Gedankenwelt drängt sich auf.
Die Herstellerfirma DKL vertritt dessen ungeachtet die Auffassung, dass alle Tests bewiesen, dass ihr Produkt einwandfrei funktioniere, und dass die Sandia-Laboratorien nur deshalb die Ergebnisse falsch interpretierten, weil sie ein eigenes Gerät verkaufen wollten. Nina Tong, die Sachbearbeiterin in diesem Fall, hatte Schwierigkeiten, sich eine Meinung über das Gerät zu bilden. “Den Begriff Dielektrokinese habe ich zwar in keinem Buch gefunden, aber ich habe den Antragstellern vertraut. Ich habe gedacht, dass Fachleute das Wort dauernd benutzen.“ Frau Tong hat einen ungefähr dem deutschen Vordiplom entsprechenden Abschluss in Elektrotechnik. Ihr Kollege Thomas Mullen, der den Antrag als letzter abzeichnet, kann sich zwar an dieses Patent nicht erinnern, prüft aber nach seiner eigenen Aussage in der Regel nur, “ob ein Antrag auch vollständig ausgefüllt ist“.
Das alles erscheint aus mitteleuropäischer Sicht schwer verständlich, aber ein hoher Beamter der amerikanischen Patentbehörde, Nicholas Godici, erklärt die Situation und fasst das Problem damit trocken zusammen. Patente, so Godici, seien nichts als ein rechtlicher Schutz vor Ideenklau. Alles andere sei ein Missverständnis - eine Patenterteilung sei insbesondere keine Bürgschaft für die Funktionstüchtigkeit einer Erfindung. “Wir glauben den Antragstellern“, sagt Godici, “und eigene Labortests führen wir nie durch. Manchmal bitten wir die Erfinder allerdings um Zusatzinformationen.“
Diese Strategie, die dem US-amerikanischen Klima gerecht wird, in dem neue Technologien nach Kräften gefördert und dann dem Spiel des Marktes überlassen werden, führt häufig dazu, dass die dortigen Hersteller einen Zeitvorsprung gegen die oft stieselig-abwägenden Europäer haben, wie es beispielsweise bei den gentechnischen Verfahren geschehen ist. In den geschilderten Fällen zeigen sich aber die Schattenseiten der nahezu kritiklosen Produktförderung. Mit den Worten des Geschäftsführers der Firma Clean Energy, James Reding, die Zellen zur kalten Kernfusion (siehe auch Skeptiker 1&2/1999, S. 35) herstellt: “Wir haben fünf Millionen Dollar von den Investoren zusammengetragen. Die Tatsache, dass uns das amerikanische Patentamt bescheinigt hat, dass unsere Erfindung innovativ und einmalig ist, hat sich eindeutig ausgezahlt.“