Buchrezension: Magnus Gäfgen (2005) Allein mit Gott: Der Weg zurück

Quelle: SeroNews 11(1):24-25 (2006)
Buchrezension: Magnus Gäfgen: Allein mit Gott: Ich bereue nichts (SeroNews, 2006)
Atlantic Millennium Press, Bendorf

Von Mark Benecke

Dieses Buch wird den meisten LeserInnen Galle und Gift hochspülen, obwohl es haargenau das vermeiden möchte.

In abstrakter und stilistisch lebloser Art beschreibt Magnus Gäfgen -- mit merklicher Unterstützung seines Verteidigers Michael Heuchemer, dem auch der Verlag "Atlantic Millennium Press" gehört -- so einiges:

Den Hochstapler im Knast, der dem Häftling Gäfgen mit einer bizarren Story zwanzig Euro aus der Tasche leiern will, die hasserfüllten Reaktionen, die Gäfgen und allen, die für ihn einstehen, entgegenschlagen, der "Gang nach Straßburg" (Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen der angedrohten bzw. laut Buch damit schon ausgeführten Folter), Gäfgens Examensprüfung im Knast und auch einige karge Worte zur polizeilichen Befragung.

Nur zur eigentlichen Tat (Entführung und Tötung des Metzler-Jungens) findet sich keine Silbe.

Das erinnert an O.J. Simpsons Buch "I Want To Tell You" (Little & Brown, 1995), in dem genau dieselbe Verwässerung oder besser Kanalisierung des Eigentlichen stattfindet: Die guten Charakterzüge des Täters plus alle Widernisse ins Töpfchen, die Ursache der Ermittlungen aber ins Kröpfchen.

Das wäre weniger eigentümlich, wenn Gäfgens Buch nicht große Klarheit vorschützte. Es ist deutlich von rechtlich-abstrakter Denkweise und Gliederung geprägt. Dabei häufen die Autoren (er und sein Anwalt) richtige Theorien und korrekte Struktur-Beschreibungen aber so lange aufeinander, bis man meinen könnte, die eigentliche Tat dahinter verschwinden zu sehen. Das gelingt aber, trotz ihres dauernden Verschweigens, nicht.

Ganz im Gegenteil. Man fragt sich nur umso mehr, warum Gäfgen sich einerseits ausführlich und scheinbar sogar selbstkritisch als Freund der Kinder sowie schüchterner und zwanghaft Freundschaften suchender, dabei aber irregeleiteter Mensch, als fleißiger Studenten und in den Details der angedrohten Folter stets wahrheitsgemäß berichtenden Zeugen beschreibt, andererseits aber noch nicht einmal andeutet, bei den Befragungen der Polizei zunächst einmal hammerhart gelogen zu haben.

Diese Tatsachen-Verblindung begründet Gäfgen damit, dass (bei ihm "mühsam geheilte", bei anderen offenbar noch vorhandene) Wunden nicht aufgerissen werden sollen und zugleich nun ein höheres Ziel in seinem Blick ist: "Die Leitentscheidung gegen Folter... (die) für Jahrzehnte prägend sein (wird) für die Realität strafrechtlicher Ermittlungen".

Das alles gestehe ich Gäfgen schmerzlos zu. Es ist aber unendlich traurig, dass die Autoren ein derart unpsychologisches, nicht introspektives, formalisiertes und in den für KriminalistInnen interessanten Kernpunkten -- der Kindheit Gäfgens und der Tatbeschreibung -- seidenpapierdünnes Werk liefern, wo es doch ebenso gut eine kathartische, von mir aus den LeserInnen auch Wut, Angst, Gestank, Höllenfeuer oder sonst irgend etwas ins Gesicht blasende Geschichte sein könnte.

So bleibt nur eine krämerische, in den Details (einschließlich vieler Dokumente, darunter Gäfgens Strafrecht-Schein und der schriftlichen Folter-Anordnung) immer richtige, oft ins Allgemeine weisende Darstellung, deren einziger Druck-Fehler die Vertauschung eines Todes-Kreuz-Zeichens mit dem Euro-Symbol ist. Ob dabei ein zynischer Setzer oder das Schicksal persönlich seine Finger im Spiel hatte -- ich will es lieber nicht wissen.

Cave: Gäfgens Buch ist trockene Pflicht für alle, die einmal durch die Augen eines von Schuld niedergedrückten, aber offenbar jurifizierten Menschen sehen wollen. Es sollte aber nicht genossen werden ohne vorher oder nachher Adrienne Lochtes Schilderung des Falles ("Sie werden Dich nicht finden" (SeroNews 10(1):8 (2005)) einzunehmen. Das fordert schließlich auch Gäfgen selbt (wenngleich auf lateinisch): "Man soll immer die Gegenseite hören."

Denn wer seine blauen Flecken bei der Verhaftung beschreibt und bebildert, kann die Verletzungen der anderen Beteiligten nicht einfach aus der Fallschilderung herausradieren.

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