Killing Philistines

Quelle: Tom Grundmann: 'Killing Philistines', Hrsg. Nicole Delmes und Susanne Zander. Salon Verlag, Köln (Cologne), ISBN 3897702584, 2006
Vorwort von Mark Benecke

Gestern heiratete eine Freundin; das Datum ergab nach ihrer Lesart „6.6.2006 = 666” und erschien ihr der seit Jahren einzig geeignete Hochzeitstermin. Da sie das Apero in der Bar des Alien-Designers Hansrüdi Giger feierte, konnte ich nach mehreren Martinis mit schwarz gekleideten Menschen durch dessen Privatsammlung auf der anderen Straßenseite torkeln. Zwischen drei balinesischen Holz-Figuren, die 1:1 einem gewaltigen Rausch entsprungen sind, einer metallenen Menschenspinne, der biomechanischen Kettensäge und einer mehr als nur Furcht erregenden Alien-Skulptur hing da ein Gemälde von Joe Coleman, das mit entferntem Blick verdächtig wie eins von Thomas Grundmann aussah. Ich trat also näher und rieb mir die Augen.

Dort fand sich, wie auch in Toms Gemälden, Adolf Hitler, allerdings über einem dreigesichtigen Charles Manson. „Die Wahrheit“ war in winzigen Lettern als „scharfklingig“ beschrieben, weiters rummelten ein Gespenst, eine Ahnenreihe abgeschnittener Köpfe, ein zopfartiger Skorpion mit Troddeln und hundert anderer Bild-Elemente durch das Rechteck an der Wand. Sogar die Poren und Härchen der figürlich Beteiligten hatte der Künstler säuberlich hingetupft.

Nichts davon bei Grundmann. Als Tätowierer kennt er die Oldschool-Regel „bold will hold“ („Klare Linien überdauern die Zeit“) und übersetzt das beim Malen in durch tiefseidene Schwärze begrenzte, im Kern üppig quellende Motive. Wie beim Tätowieren passt er seine Bilderwelten dabei der Unterlage, hier also der Leinwand, gewissenhaft an. Und weil die eben ist, sind es seine genagelten Heiligenscheine, bösen Lieblinge und Neon-Skorpione auch. Bei Tom springt kein Dämon aus der Ebene, und auf dem Galerie-Boden kriechen keine Skelette. Stattdessen bannt er den identitätsgestörten Jesus samt Gute-Laune-Pimpfen dahin, wo sie am sichersten sind: In die Fläche.

Wer diese Symbolik nicht begreift, muss sich über Toms Arbeiten ärgern -- wie die Dame, die auf der Kunstmesse „Art Cologne“ bemerkte, dass sie zwar nicht gläubig sei, dies aber nun doch zu weit gehe. Diesem Einwand hat auch Toms Kölner Galeristin Susanne Zander vorgebaut: Sie ließ für seine Ausstellung die Fenster-Front zur Straße mit undurchsichtiger Folie zuzukleben. Eigentlich verrückt, stellt sie doch sonst die Kunst von Irren aus. Doch das verstört offenbar weniger als eine blutende Nonne im Rasiermessergriff eines spitzen Kiefers. Recht so.

So sehr er es übrigens auch hasst -- dem in der Kunst-Szene geliebten Statement, er sei „authentisch“, kann Grundmann nicht entgehen: Echter als er wird ein Mensch nicht mehr. Wo ein Kunst-Kritiker in ihm allerdings stets auch den Tätowierer sehen wird, empfinden Toms Kunden im Mülheimer Studio „Elektrische Tätowierungen“ ihn wohl eher als typischen Künstler, der zwischen ewigem Selbstzweifel und Exzess wogt. Hier wundert es niemanden, dass Grundmann zugleich ehemaliges Hare-Krishna-Mitglied, aber auch tief durchdrungener Katholik ist. Da passen seine gelegentlich predigtartigen, inhaltlich reichen und lebensweisen Reden über den Lauf der Dinge auf einmal mit gewaltigen Feiern zusammen, die einem braven Schäflein die Wolle von der Haut faulen lassen müssten.

Auch empfindet es niemand als Widerspruch, dass Tom einerseits per Business Class zur Besprechung einer Unterwäschekollektion eingeflogen wird, andererseits aber vor seiner Ausstellung wochenlang die Nächte in einem Zimmer durchmalt, das in einer sozial so schwachen Gegend liegt, dass Harald Schmidt und Stefan Raab den Stadtteil durch endlose Witze zum Stereotyp für den modernen Dschungel gemacht haben. Problemlos ist auch, dass Tom mit endloser Liebe den Namen einer Gattin tätowiert, obwohl bekannt ist, dass so etwas meist nicht gut endet. Er hat eben eine Schwäche für die Ewigkeit. Grundmann lässt sich zudem mit Stolz eine Schlange auf den Kopf stechen, liebt edle Herren-Anzüge, mag es nicht, wenn jemand seine Überlegungen so gut findet, dass er sie nachahmt, bringt Soldaten dazu, plötzlich über spirituelle Erfahrungen im Kloster zu berichten, und wirft sich als suizidierter Depressiver verblutend in die Wanne. Letzteres allerdings bloß auf einer -- auch aus spurentechnischer Sicht einwandfrei inszenierten -- Fotoserie.

Es will schon etwas heißen, dass selbst sein hart gesottener Freund Dieter Zalisz die symbolische Blut-Schlacht so sehr fürchtete, dass er Tom riet, die Fotos besser vor Mutter Grundmann fern zu halten. Dabei gilt hier doch dasselbe wie bei der Zahl des Bösen: So wie drei Sechsen ohne Angst gewählter Bestandteil der eigenen Biografie werden können, breitet Grundmann eben schmerzfrei den symbolischen Träger des Lebens im Badezimmer aus. Durch das vertraute Dekor überrascht, spritzt den Betrachtern das Blut gleich noch schneller in die Augen. Ob das schön ist oder nicht, entscheiden sie selbst. Sicher ist: Bold does hold.

Tom ackert schwer. Er bearbeitet Leinwände, Foto-Motive, Haut, sich und den Geist derer, die Zeit mit ihm verbringen. Sein Werk möge daher weiter um ein saftiges Zentrum blühen und schweifen, und am Rand weiterhin in Schwärze, Schlangen, Blut und fetten Lettern versinken. Denn mit diesen beginnt alles, und mit ihnen soll es auch enden.

Gruyères, Juni 2006
Mark Benecke
Kriminalbiologe