Quelle: Bohmeier Verlag Vorwort "Über Geistererscheinungen" von Dom. Augustin Calmet, S. 9-10, 2006
Über Geistererscheinungen
Vorwort von Mark Benecke
Wenn in alten Bibliotheken Bücher miteinander flüstern, ist stets auch "Der Calmet" dabei. Mit flammendem Schwert focht dieser Autor des bis heute bekannten Werkes über Geistererscheinungen gegen allen Unsinn, der ihm entgegentrat.
Zum Glauben an Vampire befand der Benediktiner-Abt etwa, dass die "Einbildung derjenigen, welche glauben, sie hören die Todten in ihren Gräbern schmatzen wie ein Schwein, etwas so Einfältiges und Kindisches ist, dass es nicht einmal eine Widerlegung verdient." Und weiter: "Ich schreibe allein für Vernünftige und Bescheidene, die, um sich von keiner herkömmlichen Meinung einnehmen zu lassen, alles reiflich und ruhig untersuchen und überlegen, der gefundenen Wahrheit vernünftig beipflichten, über das Ungewisse vernünftig zweifeln und ihr Urteil darüber zurückhalten, das offenbar falsche aber mutvoll bestreiten und zurückwerfen."
Zum Glück hinderten ihn aber weder seine Bescheidenheit (er lehnte sogar den ihm vom Papst angebotenen Bischofstitel ab) noch seine Zweifel am Übersinnlichen daran, Vampir-, Marien- und Geistererscheinungen aus allen ihm zugänglichen Quellen und Zeiten zu sammeln und aufzuschreiben. So entstanden neben der normalen Arbeit Calmets - als Kloster-Chef, Autor eines dreiundzwanzigbändigen Kommentars zum Alten Testament (1707-1726) sowie zahlreicher Bibel-Auslegungen, die ins Deutsche, Niederländische, Italienische und Englische übersetzt wurden - eben die berühmten "Geistererscheinungen".
Dieses Buch, das für den fleißigen Enzyklopädisten wohl nur eine Fingerübung war, erhielt im Januar 1746 sowohl den Segen der Kirche als auch den der königlichen Buchzensur in Paris. Sogleich trat der Text seinen Weg in die Nachbarländer an: Schon 1752 war beispielsweise in Augsburg die zweite Auflage der deutschen Übersetzung "mit merckwürdigen Zusätzen, welche im Französischen nicht enthalten" als zweibändiges Werk in Umlauf. Calmet fragte sich darin vor allem, was Geister überhaupt an- und umtrieb. Denn es war theologisch kaum einzusehen, warum Gott es zuließ oder befahl, dass Seelen und ihre Erscheinungen auf der Erde wandeln. Das Fegefeuer fand doch wohl an einem andern Ort statt - oder etwa nicht?
An der Wirklichkeit von Spuk zweifelte jedenfalls niemand: Man durfte im damaligen Paris sogar einen Pachtvertrag lösen, wenn Seelen von Verstorbenen in einem Haus umgingen. Daher entschied Calmet, dass Geister, wenn sie schon auftraten, die Macht Gottes direkt bewiesen. Begründung: "Welcher pure Mensch hat sich jemals aus eigener Kraft vom Tod wieder zum Leben erwecken, und ohne Verletzung des Grabes daraus retten können? [Oder] kann vielleicht ein Engel oder Teufel einem Toten das Leben wieder einblasen? Nein fürwahr! Ohne Befehl oder Zulassung Gottes kann solches niemals geschehen."
Es ist erfreulich, dass Calmet es nicht bei dieser lapidaren Erklärung beließ. Statt dessen versuchte er, vernünftige Deutungen für scheinbar übersinnliche Erscheinungen zu finden. Dass ihm das nicht immer gelingen konnte, sei ihm von Herzen verziehen. Selbst heute bedarf es ganzer Gruppen von Spezialisten, um anfangs unerklärliche Phänomene wie die spontane Selbstentzündung von Menschen (SHC), Chemtrails (in scheinbaren Mustern am Himmel angeordnete Kondensstreifen) oder Kornkreise als eindrucksvoll, aber naturwissenschaftlich fassbar zu verstehen. Und mit manchen Heilmethoden - beispielsweise der Akupunktur - kämpfen sich Skeptiker noch heute ab, ohne endgültig erklären zu können, warum sie bisweilen etwas bewirken, in aller Regel aber eher Einbildung sind.
Dass ausgerechnet der Bohmeier-Verlag der neuen Auflage des skeptischen Buches von Augustin Calmet nicht nur einen Platz im ansonsten von Magie dominierten Programm gegeben, sondern auch noch ein sehr ansprechendes Titelbild dazu in Auftrag gegeben hat, freut mich ungemein. Möge sich das gute Buch auf diese Weise weiter verbreiten und in vielen neuen Regalen Anlass zu nächtlichem Papier-Geraschel geben.
Apropos: Vampirleichen schmatzen sehr wohl. Allerdings nur ein einziges Mal: wenn der Unterkiefer, zuvor in Leichenstarre, herunterklappt. Dabei entsteht - wie bei allen Leichen - ein schmatzendes Geräusch. In einer von Kerzen beleuchteten Nacht hört sich das nicht unbedingt sympathisch an. Diese einfache Erklärung hätte Calmet nicht geärgert, er hätte dieses Faktum wohl einfach in seine flüssig geschriebene Enzyklopädie der Geistererscheinungen übernommen.
Und sollte der vor zweihundertfünfzig Jahren verstorbene Abt obigem Satz nicht zustimmen, so möge er sich durch ein Poltern in meinem - zumindest nach Meinung meiner Praktikantin - von Geistern bewohnten Herrenzimmer bemerkbar machen. Ich würde mit dem gelehrten Geistlichen nämlich gerne mal ein paar Nächte über Dingen verbringen, die niemand glauben würde, der sie nicht gesehen hat.