Ein Keller voll Präparatorinnen (Tätowiermagazin)

Quelle: Tätowiermagazin 2/2013, Seite 144

Von Mark Benecke

Kürzlich stolperte ich in einen Keller voller medizinischer PräparatorInnen: Vorabend derer Jahrestagung. Anstelle buckliger Frankenstein-Gehilfen erblickte ich eine große Schar junger, cooler und weiblicher Gesichter. Selektive Wahrnehmung oder Realität? Bei ein/zwei Limonaden klärte ich das mit der bezaubernden Nina.

Hi. Ich heiße Nina Holste, wie das Bier, nur ohne »n«, und bin Präparations- und Sektionsassistentin (und medizinisch-technische Assistentin) in der Pathologie.

AUSSERDEM BIST DU BLOND UND SCHÖN UND KLUG. WARUM SCHNEIDEST DU LEICHEN AUF?
Weil ich es kann ... und vielleicht, weil ich dazu berufen bin.

BERUFEN?
Vor meiner MTA-Ausbildung habe ich ein Praktikum in der Pathologie gemacht und gemerkt: Das ist in Ordnung. Vor lebenden, fremden Menschen habe ich Angst. Haha!

ANGST? SEIT WANN?
Schon immer. Soziophobie.

Original-Seite aus dem Tätowiermagazin 2/2013

Original-Seite aus dem Tätowiermagazin 2/2013

DEINE LIEBLINGSBESCHÄFTIGUNG IM JOB? SCHÄDEL AUFMEISSELN?
Ja, das »Knack«, wenn man die Kalotte aufknackt, ist schön. Ansonsten präpariere ich gerne den Hals. Da kann man die Muskeln so schön darstellen.

DEINE ZWEITE LEIDENSCHAFT SIND LEICHENWAGEN.
Ja, die fahre ich seit sieben Jahren. Ich hatte mir einen 68er Mercedes / 8 gekauft, den zwei Jah- re gefahren und wollte ihn restaurieren. Leider musste ich aufgeben. Dann hatte ich mir einen Audi-100-Bestattungswagen gekauft und dann ist mir jetzt mein Mercedes zugelaufen W 123, Baujahr ’80.

MACHST DU DAMIT AUSFLÜGE?
Es gibt Leichenwagentreffen, ich fahr aber auch zu normalen Oldtimer-Treffen und Festivals. Jetzt war im August das Rust ’n’ Roll, ein Ratten- und Retrocar-Treffen, wo ich mich mit meinem Oldtimer auch blicken lassen konnte.

WAS MACHT MAN SO AUF EINEM LEICHENWAGENTREFFEN?
Ausfahrten und hinterher gemütlich beisammen sein.

IHR FAHRT WIE MOTORRADROCKER DURCH DIE GEGEND?
Ja, in einer Kolonne mit dreißig Leichenwagen ist das schon beeindruckend.

WIE ERKLÄRST DU DIR DIESE NEIGUNG? NUR, WEIL MAN KEINE MENSCHEN MAG, MUSS MAN JA KEINE LEICHENWAGEN FAHREN.
Weil ich diese Fahrzeuge einfach schön finde und sie eine gewisse Würde und Eleganz ausstrahlen. Nebenbei sind die Autos praktisch, man hat immer sein Bett dabei.

ZU DEINEN SEHR FETTEN TATTOOS: MIT DEM EINEN KANNST DU BIER BESTELLEN (EIN ASTRA-LOGO), DAS ANDERE IST EIN KNALLHARTES TRIBAL.
Ursprünglich wollte ich ja nur ein Nasenpiercing. Durfte ich nicht, aber Mutter hat mir mit 16 stattdessen meine erste Tätowierung unterschrieben. War ’ne Eidechse auf der Schulter. Dann wollte ich das größer machen. So gings mit dem Tribal los. Ist über Jahre entstanden.

ICH SEHE DA AUCH NOCH MORBIDE MOTIVE.
Ja, Anubis, einen Schädel auf dem Schulterblatt – mit »Memento mori« darunter – und den Schriftzug »Mortui vivos docent«: »Die Toten lehren die Lebenden«, damit die Leute mal sich selbst reflektieren. Das ist wie mit dem Leichenwagen: Habe ich keinen Sarg dabei, kommen die Fragen »Warum hast du keinen Sarg dabei?«. Habe ich einen Sarg dabei, kommt die Frage »Musst du mit dem Sarg fahren?«. Wie man es macht, macht man’s falsch. Man polarisiert.

HIER BEI DER PRÄPARATORENTAGUNG HABEN SEHR VIELE LEUTE PIERCINGS UND TATTOOS. MEDIZINISCHE UMGEBUNGEN SIND DOCH SONST RECHT KONSERVATIV, ODER?
So offensichtlich tätowiert bin ich erst, seitdem ich im Job bin, wo ich mir sage »Ich kann es mir leisten, ich bin gut genug, dass ich sogar abgeworben werde trotz der Tätowierungen.« Solange man gut genug im Job ist, ist das zweitrangig.

Wahre Worte. Tausend Dank und allzeit einen Meißelspalt in der Kalotte!

Der eure – Markito