Untot - Zombie Film Theorie
Michael Fürst (Hg.)
Florian Krautkrämer (Hg.)
Serjoscha Wiemer (Hg.)
Untot - Zombie Film Theorie
320 Seiten, broschiert
ca. 80 vierfarbige Abbildungen
erschienen Dez. 2010
ISBN 978-3-933510-55-6
€ 24,00
Interview mit Mark Benecke, geführt von Thomas Knieper und Florian Krautkrämer
Vampire vs. Zombies
Welche Assoziationen kommen dir als Forensiker beim Thema »Zombie«?
MB: Ich unterscheide zunächst einmal zwischen Vampir- und Zombieleichen, bezogen auf die Merkmale, die ich an ihnen finden kann. Zombieleichen sind ausgetrocknete Leichen, die teilweise noch ihre Augen und Haare haben, Merkmale also, die sonst bei Leichen durch Insektenfraß und Verwesungsprozesse als erstes verschwinden und verrutschen. Sogenannte Vampirleichen sind dagegen zunächst einmal durch Fäulnis gekennzeichnet. Unter den klimatischen Bedingungen in Europa ist das der Standard.
Der Vampirmythos enrstand durch die Fehlinterpretation der Fäulnisprozesse, die ein sicheres Todeszeichen darstellen. Aber da die Leichen nachts bei Kerzenschein ausgegraben wurden, und ein scheinbar Übernatürlicher Grund für die Exhumierung vorlag, waren Fehlinterpretationen naheliegend. Am populärsten ist dabei sicherlich das Blut, das den Toten aus dem Mund läuft. Tatsächlich kann man bei Leichen Fäulnisflüssigkeit gemischt mit Blut beobachten, das allerdings meist seitlich an der Wange herunterrinnt und nicht am Kinn, wie es ja eigentlich sein müsste, wenn der Vampir eines seiner Opfer beißt und Blut trinkt. Die Erklärung: Das ›Blut‹ wird in der liegenden Leiche durch die Fäulnisgase ausgetrieben und tritt aus dem Mund, manchmal auch aus Nase und Ohren, aus.
Das Blutsaufen hat Einzug ins kulturelle Gedächtnis gehalten. Weitere Zeichen einer Vampirleiche sind die ausgestreckten Arme bei geöffnetem Sarg. Die Fäulnisgase pumpen den Leichnam auf. Das Gas kann im geschlossenen Sarg anfangs nicht entweichen, und wenn man den Deckel öffnet, treten nicht nur die Fäulnisgase aus, die als Pestodem des Teufels interpretiert wurden, sondern auch die durch Gase aufgeblähten Arme und Beine der Leiche strecken sich den mutigen Vampirforschern entgegen.
Falls der Tote schlank war, als er starb, so stellt man nun fest, dass er durch das Gas rund und wohl genährt aussieht. Und wie er sich ernährt hat, sieht man ja: Die Blutspur befindet sich noch auf seiner Wange. Der Vampirmythos erklärt sich ein Stück weit auch dadurch, dass die Leichen im Dämmerlicht der Exhumierung unnatürlich lebendig aussahen, teilweise auch durch farbige Fäulnisbakterien.
Der ursprüngliche Vampirglaube hatte übrigens nichts mit Bluttrinken zu tun. Man glaubte vielmehr an Tote, die zurückkehren, weil sie noch etwas zu erledigen haben, und die man erlösen muss, indem man sie endgültig tötet. Der Sitz von Liebe und Hass - das Herz - musste dazu durch Pfählung zerstört werden. Im Gegensatz zu Zombies wird Vampiren Sexualität zugeschrieben. Auch hier handelt es sich um eine Fehlinterpretation: Bei männlichen Leichen wurde häufig eine riesige Erektion beobachtet. Dabei hatte nur das Fäulnisgas den Hodensack oder den Penis aufgebläht.
Die Zombieleiche unterscheidet sich von der Vampirleiche durch die Abwesenheit von ›ekeligen‹ Fäulniszeichen. Zombieleichen sehen sozusagen frischer aus. Voraussetzung für die Entstehung einer Zombieleiche ist das schnelle Austrocknen. Das passiert, wenn es sehr heiß ist und auch ein leichter Wind beständig weht. Die erwachsenen Schmeißfliegen legen dann ihre Eier nicht in den Augen ab, wodurch diese erhalten bleiben. Durch den Austrocknungsprozess werden die Augen leicht milchig. Der Körper selbst trocknet aus.
Zombies werden im Film - im Gegensatz zu den Vampiren - ja meist androgyn, geschlechtslos dargestellt. Hängt das auch mit den realen Verfallserscheinungen zusammen?
MB: Vielleicht. Je länger ein Mensch verstorben ist, also umso älter die Leiche ist, umso schwieriger ist die Bestimmung des Geschlechts. Die aufgedunsenen und teilweise bereits verflüssigten Leichen geben äußerlich kaum mehr einen Hinweis auf das Geschlecht. Ein Laie wird aber selbst das Geschlecht einer mumifizierten, also vergleichsweise gut erhaltenen Leiche oft nicht mehr erkennen können.
Voodoo
Bleiben wir noch mal kurz bei den Voodoo-Zombies. Im karibischen Voodoo-Glauben wurden Menschen der Legende nach durch ein Gift in eine Art Scheintod versetzt. Nach ihrer Beerdigung grub man sie wieder aus, um sie dann in gefügige Arbeitssklav_innen zu verwandeln. Das benutzte Gift soll Atropin beziehungsweise Tetrodotoxin, das Kugelfischgift, gewesen sein. Was für tatsächliche Auswirkungen hat das auf den Körper, auf das Gehirn?
MB: Die Gifte selbst wirken nicht immer so auf das Gehirn wie das etwa Psychopharmaka tun. Bei entsprechender Dosierung tritt aber scheinbar der Tod ein. Sowohl durch eine mögliche Atemlähmung als auch durch eine eventuelle Beerdigung kann es zur Sauerstoffunterversorgung und damit zu massiven Gehirnschädigungen kommen. Manche Gifte können die Persönlichkeit verändern. insbesondere auch durch die Beimischung halluzinogener Drogen. Bei einer hohen Dosis Atropin wird man auch durchaus willenlos. Andere Drogen rufen weitere Wahrnehmungsstörungen hervor. Diese medizinischen Kenntnisse hatten Voodoo-Priester aus Erfahrung. Zudem mussten sie auch gute Psychologen sein. Insofern darf man auch die Wirkung ihres Fluches nicht unterschätzen.
In gewisser Weise betrieben die Voodoo-Priester ein IIlusionsgeschäft. Zunächst verängstigten sie Menschen durch einen Fluch, ließen sie dann angeblich sterben, um sie anschließend wiederzubeleben. Den Fluch der Voodoo-Meister kann man sich als eine Art Show-Hypnose vorstellen, die funktioniert, weil die Opfer an den Fluch glauben. Allein mit den Giften konnte er noch keine Arbeitssklaven erschaffen. Erst, wenn der Voodoo-Meister auch ein guter Psychologe war, konnte er - wie man heute sagt - ›compliance‹ erzeugen.
In WHITE ZOMBIE (USA 1932, Victor Halperin) hypnotosiert Bela Lugosi ja nicht nur seine Zombies, er versucht das ja sinnbildlich auch beim Kinopublikum, indem er direkt in die Kamera blickt. Kann man eigentlich gegen seinen Willen hypnotisiert werden?
MB: Nein, das geht nicht. Aber hier hat es der Voodoo-Meister ja mit Compliants zu tun. Er muss dabei genau erkennen, wie bei dem Betreffenden die Persönlichkeit funktioniert. Dann kann er ihn teils auch sehr gezielt beeinflussen. (So etwas geht sehr weit, das finden wir auch heute: Beispielsweise stirbt man mit sehr deutlich erhöhter Wahrscheinlichkeit - ca. vierfach öfter - am Herzinfarkt, wenn man glaubt, dass man daran sterben wird.)
Auf der anderen Seite wirken ja auch die Gifte. Da kommt beides zusammen. Diese Gifte sind sicherlich auch mit ein Grund, warum sich der Zombie-Mythos in Europa nicht so entwickelt hat, da hier viel weniger Rauschmirrel zur Verfügung standen. Es gab zwar Stechapfel (Belladonna, Engelstrompeten), die zu Hexensalben verarbeitet wurden, aber das Wissen um sie wurde mit zunehmender Christianisierung doch sehr ausgedünnt. Natürlich herrschten in Europa auch nicht die klimatischen Bedingungen, die zu den ausgetrockneten Zombieleichen führen konnten - hier herrschten eben eher die feuchten Fäulniszeichen vor. Hinzu kommt noch, dass ab dem 18. Jahrhundert einige Vampirvorkommnisse durch Medien verbreitet wurden. Auch durch diese frühen Medienberichte hat sich der Vampir-Mythos speziell in Europa ausgebreitet.
Das öfters im Zombie-Film verwendete Bild von Händen, die aus der Erde kommen, hängt auch damit zusammen: Die ›schwarze Hand‹, die Hand eines Toten, die aus der Erde ragt, lässt sich dadurch erklären, dass man Leichen früher nicht immer in einem Sarg beerdigen konnte, das war eher etwas für wohlhabendere Leute. Und wenn die Leiche nicht tief genug verscharrt war, dann konnte es geschehen, dass sie von einem Fuchs, Hund oder Wildschwein ein Stück ausgegraben wurde.
Er bekam eine Hand zu fassen und zerrte daran. Doch durch die bereits fortgeschrittenen Verwesungsprozesse ließ er wieder davon ab, aber der Arm stach weiter aus der Erde heraus. Man deutete das dann als Zeichen dafür, dass die betreffende Person bei Lebzeiten ihre Hand gegen eine Autoritätsperson, beispielsweise ihre EItern, erhoben habe. Später ist das ein beliebtes Horrorfilm-Motiv geworden.
Psychopath_innen
Zombies sind ja ›dumme Menschen‹: Könnte man auch sagen, dass dieser Zombie-Mythos vielleicht auch dadurch beeinflusst wurde, dass man debile und psychisch kranke Menschen beobachtet hat?
MB: Ja, weil sie den Angehörigen nicht mehr wie ein Mensch vorkamen. Sie hatten ja in dem Sinne keine Individualität mehr. Was uns als Menschen auszeichnet, sind Vorlieben für Mode, sexuelle Vorlieben und so weiter. Stark Demente wirken demgegenüber indifferent. Das ist ein Merkmal von Zombies. Eigentlich sind Zombies auch ein Symbol für Menschen, die total einheitlich sind.
SHAUN OF THE DEAD (GB/F 2004, Edgar Wright) macht sich in seiner Eingangssequenz einen Spaß aus dieser Parallele: Die Leute wanken in diesem Film wie gehirnampuriete morgens zur Arbeit. Auch alle Menschen, die im vorderen Bereich des Gehirns einen Defekt haben, egal ob durch Krankheit oder einen Unfall, sind in ihrem Verhalten sehr ähnlich. Sie sind reduziert auf dieselbe basale ›Betriebssoftware‹.
Wie kommt es zur Wandlung von vergleichsweise harmlosen Voodoo-Zombie zum aggressiven Zombie?
MB: Erklärbar ist das durch psychische Veränderungen. Denken wir etwa an CARNIVAL OF SOULS (USA 1962, Herk Harvey). Hauptcharakter in dem Film ist Mary Henry, eine junge Frau, die offensichtlich psychisch krank ist. Man könnte wohl am ehesten von einer Schizophrenie sprechen. Sie nimmt Dinge falsch wahr. Sie erdet sich dann wieder, indem sie einen Baum anfasst. Gleichzeitig entfremdet sie sich immer stärker und zieht sich immer mehr zurück: Sie entwickelt zunehmend eine paranoide Schizophrenie. Das Krankheitsbild zeichnet sich auch dadurch aus, dass Erkrankte bei fehlender Hilfe eine zunehmende Aggression entwickeln. In dem Film ist das sogar ganz gut dargestellt. John versucht Mary ins Bett zu bekommen. Und als er endlich am Ziel scheint, erzählt Mary aus Sicht von John wirres Zeug John reagiert darauf ausgesprochen aggressiv und erwidert sinngemäß: »Ich gebe mich doch nicht mit einer Verrückten ab.«
Dann verschwindet John und lässt Mary allein. Auch wenn Mary hier nicht zwingend als paranoid schizophren. sondern nur als schizophren dargestellt wird, wäre es dennoch sehr plausibel, wenn auch sie in der Folge deswegen so aggressiv reagieren würde. Aus der Kriminalgeschichte kennen wir viele solcher Fälle. Ich habe zwei Beispiele, etwa Adelheld Streidel, die am 25. April1990 den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafonraine mit einem Messer angegriffen und lebensgefährlich verletzt hat.
Auch sie war bereits vorher stark Verhaltensauffällig und mehrfach in psychiatrischer Behandlung. Mit ihrer Plakataktion »Gegen Menschentötungsfabriken, Menschenlager mit Todesfolge der Bonner Regierung und auf der ganzen Erde« löste sie in ihrer Umwelt nur Unverständnis und Irritation aus. Diese Zurückweisung der Gesellschaft verstärkte bei ihr die Aggression. 1986 wurde dann bei ihr paranoide Schizophrenie diagnostiziert. 1989 beendete Frau Streidel aber ihre Behandlung und ihre Medikation. Nach misslungenem Suizidversuch gipfelte die Krankheit eben dann im Messerattentat.
Das zweite Beispiel stammt aus dem Jahr 1964 und passierte im Kölner Stadtteil Volkhofen. Der damals 42-jährige Weltkriegsveteran Walter Seifert drang mit einem Flammenwerfer und einer Lanze bewaffnet in eine Kölner Grundschule ein und tötete acht Kinder und zwei Lehrerinnen. Über zwanzig der damaligen Kinder sind bis heute von den Brandwunden gezeichnet. Beide Fälle verbindet die groteske Legitimation der Handlungen aus Täterperspektive. So gaben sowohl Adelheid Streidel als auch Walter Seifen zu Protokoll, dass ihnen keiner zuhören und ihnen das nun langen würde.
Und hier kommen wir wieder zur Parallele zum aggressiven Zombie. Wie diese lebten die beiden Attentäter sehr zurückgezogen und vollkommen isoliert. Und ihr Verhalten verstärkt das Ausweichverhalten der Umwelt. So war Adelheid Streidel völlig frustriert darüber, dass ihre Tausende von Handzetteln, in denen sie über vermeindliche unterirdische Menschenfabriken informieren und mit denen sie die Bevölkerung wachrütteln wollte, keine Akzeptanz fanden und die Leute, wenn überhaupt, dann nur verstörten.
Ebenso erging es Walter Seifert, der die Menschheit mit Hunderten von Briefen über die angebliche Weltverschwörung der Arzte aufklären wollte. Und in beiden Fällen gipfelte das Nichtangehörtwerden und die offene Ablehnung der Umwelt dann schlussendlich in extrem brutalen Gewalttaten. In gewisser Weise wird dieses Motiv in Filmen mit aggressiven Zombies aufgegriffen, auch wenn es nicht immer zwingend unmittelbar offensichtlich ist.
Welche Rolle spielt das Kannibalismus-Motiv in Zombie-Filmen?
MB: Dabei gibt es möglicherweise zwei Dimensionen: Einerseits die Infektion mit einer Prionenkrankhelt. Demenzkranke mit motorischen Ausfallerscheinungen können ia auch etwas Zombiehaftes haben. Andererseits der Tabubruch, der mit dem Verspeisen von Menschenfleisch verbunden ist.
Vielleicht zunächst eine Bemerkung zu den Menschenfressern, die es ja tatsächlich gegeben hat beziehungsweise noch gibt. Fotos, auf denen man sieht, wie Mitglieder des Nachbarstamms gegessen werden oder man unter deren Schädeln in einer Wohnstube sitzt und von früher erzählt, haben etwas Verstörendes. Vielleicht ist das auch die Ursache dafür, dass derartige Bilder kaum bekannt sind beziehungsweise so gut wie nicht veröffentlicht werden. Das Entmenschlichste, was man sich vorstellen kann, ist Menschenfleisch zu essen. Dabei spielen Prionenerkrankungen wie die Creutzfeld-Jakob-Krankheit narürlich keine Rolle, sondern es geht da primär um den Tabubruch.
Erstaunlich ist dabei, dass in der ICD-10 [International ClassIfication of Diseases-10 German Modification beziehungsweise genauer: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems-10 German Modification] Kannibalismus nicht als Krankheit aufgelistet ist. Unter den sexuellen Devianzen findet sich kein Eintrag unter diesem Stichwort. Hier findet man über Pädophilie, Sadismus bis hin zum Kot-Essen alles, was man sich nur vorstellen kann. Einzig Kannibalismus als Eintrag fehlt. Stark konstruiert könnte man allenfall wohlwollend auslegen, er fällt in die Subkategorie »Sonstiges« unter den Hauptpunkt Paraphilien.
Auf Nachfrage bei den deutschen Herausgebern der ICD-10 wurde meiner Gattin, die Psychologin ist, und mir der Rat erteilt, das Stichwort zu beantragen. Inzwischen denken einige Kollegen und Ich in der Tat über einen derartigen Antrag nach. Fairnesshalber sollte jedoch anmerkt werden, dass man im ICD-10-Schlagwortverzelchnis durchaus etwa den Eintrag »Windigo-Disease« beziehungsweise »Windigo-Psychose« findet. Dabei handeIt es sich um ein kulturspezifisches Syndrom kanadischer Ureinwohner. Unter bestimmten Bedingungen können sie die Wahnvorstellung entwickeln, sich in ein kanibalistisches Monster - bekannt unter den Namen Windigo, Wendigo oder Wittigo - zu verwandeln.
Der Windigo wird als KannIbale mir einem Herzen aus Eis, blutunterlaufenen Augen und schwarzen Lippen beschrieben. Das kann man als massive Unterkühlungs- und Erfrierungserscheinungen interpretieren. Wenn diese kanadischen Ureinwohner also auf einer Reise eingeschneit wurden und nichts mehr zu essen hatten, haben die überlebenden die Erfrorenen sukzessive aufgegessen, um zumindest die Chance auf das eigene Überleben sicherzustellen. Wenn sie dann tatsächlich überleben und zu Ihrem Stamm zurückkommen, dann unterstellt man Ihnen ein ›Herz aus Eis‹. Das ist verständlich, wenn man davon ausgeht, dass dlese Menschen vorher Freunde oder Verwandte verspeist haben.
Auch in Deutschland gab es jüngst einen Fall von Kannibalismus: Armin Meiwes, der als Kannibale von Rotenburg bekannt wurde. Im März 2001, als er sich mir Bernd Brandes traf, trennte er mit dessen Einverständnis Brandes' Penis ab, briet ihn mit Muskat und Pfeffer und verspeiste ihn hinterher gemeinsam mit ihm. Nach dem Mahl tötet Meiwes Brandes angeblich mit dessen Einwilligung. Jetzt stellt sich die Frage, wie geht man mit diesem Menschen um.
Handelt es sich um einen Schwerverbrecher? Oder handelt es sich um einen Menschen, der dringend psychotherapeutische Betreuung benötigt? Das Gericht hat Meiwes 2006 zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt: Meiwes befindet sich seitdem im Gefängnis und nicht in der Psychiatrie. Man sieht, auch hier wirkt das Tabu und die Ausblendung des Offensichtlichen.
Nach den letzten Kriegen mit perfidesten biologischen und chemischen Kampfstoffen, zahlreichen Massakern und Vergewaltigungen bleibt aus meiner Perspektive sogar einzig das Tabu des Kannibalismus bestehen. Kein Wunder, dass der Tabubruch im Film bei den Betrachtern Horror auslöst. Nach meinen Informationen produzierte auch Romero bei seinen Zombiefilmen bewusst diesen Tabubruch, um sein Publikum zu schockieren.
Verletzungen
Wir möchten Dir ein paar Stills aus Zombiefilmen zeigen. Vielleicht kannst du uns sagen, woher die Make-up-Artists ihre Inspirationen haben. Wie ›realistisch‹ sind die Verletzungen und Zombiezeichen? Zunächst ein Voodoo-Zombie aus I WALKED WITH A ZOMBIE (USA 1943, Jacques Tourneur)
MB: Hier erkennt man deutlich ein Krampfleiden, er ist überstark verkrampft. Das rührt möglicherweise von den genannten Giften her, die könnten auch der Grund für dIe oft weißen, also im Krampf verdrehten Augen sein.
Das nächste Bild ist ein Bild aus INVISIBLE INVADERS (USA 1959, Edward L. Cahn), ein B-Film, der Science-Fiction mit Zombies mischte. Immerhin sind es hier wirklich Leichname, die aus den Gräbern zurückkommen.
MB: Die ausgestreckten Arme sind durch Gasblähungen erklärbar. Die Umarmung soll wohl die gruselige Stimmung unterstreichen. Aber derartige Umarmungen kommen auch bei Leuten im Koma vor. Wenn man diese Personen berührt, kann es durchaus zu reflexartigen Umarmungen kommen. Auch die dunklen Augenringe können bei Kranken durchaus vorkommen.
Hier nun eines der wenigen Bilder aus Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD, in denen einer der Zombies eindeutige Verletzungen zeigt.
MB: Da diese Zombies ja noch als Mensch von anderen Zombies gebissen wurden, müssten das vitale Verletzungen sein. Aber die Ablösung oberer Hautschichten ist ein klares Fäulniszeichen.
Zehn Jahre später sah das schon so aus wie hier auf einem Bild aus DAWN OF THE DEAD (USA 1978, George A. Romero), bei dem Tom Savini als Maskenbildner beschäftigt wurde. Angeblich soll er seine Inspiration aus seiner Zeit als Kriegsberichterstatter im Vietnamkrieg haben.
MB: Die Darstellung könnte in der Tat eine Brandverletzung sein. Aber auch Fäulnis wäre eine plausible Erklärung. Auch Tierfraß durch Wirbeltiere wie Hunde, Katzen oder Füchse wäre noch als Ursache möglich.
Dem anderen Bild liegt wohl eher die Mona Lisa zugrunde (lacht). Das Rote wäre klassischerweise das Blut, das aus dem Mund und aus der Nase läuft. Die Grünfärbung ist tatsächlich mit grünlich blauen Bakterien erklärbar, die relativ schnell die gesamte Haut von Toten verfärben können. Übrigens sind diese Bakterien auch für den typischen Leichengeruch am Anfang verantwortlich. Es ist dabei durchaus denkbar, dass nur bereits abgestorbene Teile eines noch lebenden Menschen verfaulen und befallen werden, während der Mensch weiterlebt. Davon kann ich euch auch ein Foto zeigen.
Machen wir einen Sprung in die heutige Zeit. Mit den Möglichkeiten der digitalen Nachbearbeitung wird das Make-up nur noch als Referenz für die spätere Nachbearbeitung am Computer aufgetragen. Dadurch kann man am Bildschirm unter anderem sehen, wie die Schatten genau fallen.
MB: In dem Beispiel ist eine Lähmung dargestellt. Damit hätte man einen Indikator, dass es sich hier noch um einen lebenden Menschen handelt. Wir bewegen uns also im Bereich einer Krankheit. Nur bei Fäulniszeichen kann man sicher sagen, dass es sich um Tote handelt. Hier sind aber keine Fäulniszeichen, sondern eine Lähmung erkennbar. Damit handelt es sich eindeutig um die Verletzung eines Lebenden. Ein viruskranker Zombie muss ja auch nicht zwingend sterben, sondern wird infiziert und verwandelt sich.
Bemerkenswert ist, dass dieses Motiv mit dem Ausbruch und der Verbreitung von HIV in die Kinowelt Einzug gehalten hat - übrigens auch bei Vampirromanen und -filmen. Die anderen Darstellungen basieren augenscheinlich auf Bildern aus einer Moulagensammlung, also Wachsnachbildungen von Krankheiten wie etwa Krebs. Ein weiterer Hinweis, dass es sich bei diesen Zombies um Lebende handeln muss, ist der rote Entzündungs- beziehungsweise Heilungsrand um die Verletzungen beziehungsweise Wunden. Der bildet sich nur bei Lebenden und entsteht nicht bei Leichen.
Virus
Also würden hier zwei Momente zusammenfallen: Zum einen können durch die Digitaltechnik die Verletzungen realistischer gestaltet und auch animiert werden. Gleichzeitig fällt der Einsatz mit dem HI-Virus zusammen, so dass Zombies immer mehr als kranke Lebende inszeniert werden. Ist das deiner Meinung nach auch ein Grund dafür, dass das Zwischenstadium, also der Zustand der Verwandlung, in neueren Zombiefilmen wieder stärker im Vordergrund steht?
MB: Ja. Der Auslöser für diese Entwicklung scheint mir die Verbreitung von HIV zu sein. Inzwischen gibt es eine retrovirale Therapie, die einigermaßen funktioniert. Dennoch stirbt man, nur die Überlebenszeit wird verlängert. Der heutige HIV-Kranke hat das Problem, dass er nur wenige Nebenwirkungen seiner Behandlung nach außen zeigt. Dennoch lebt er im Bewusstsein, dass er zu einem bestimmten Punkt sehr schnell und unter Umständen sogar an einer belanglosen Infektion sterben kann. Mit einem anderen Virus scheint mir der Zombie-Virus nicht vergleichbar. Das Tollwut-Virus hat den Sprung ins Kino nicht geschafft, obwohl es sich auch eignen würde. Allerdings müssten die Zombies dann dauernd würgen. Das Ebola-Virus bricht sehr schnell aus und wieder in sich zusammen und eignet sich daher auch nicht so gut. Grippe wurde bis dato noch nie thematisiert, zumindest fällt mir hierzu kein Horrorfilm ein. Für die nächsten Jahre könnte das aber durchaus ein Thema werden. Es gibt also durchaus noch Material für weitere Verwandlungsstadien ...
Kommen wir abschließend noch mal auf die Psyche zurück. Welche Bedeutung spielt der Verlust der Ich-Wahrnehmung in Zombiefilmen? Und wie kommt es zu solchen Verlust?
MB: Die Zombies verlieren ihre Persönlichkeit. Es könnte aber durchaus sein, dass sich die Zombies selbst als noch etwas Schützenswertes wahrnehmen, etwa im Sinne einer Schnecke oder jedes anderen Lebewesens. Auch Schnecken ziehen sich bei Berührung zurück und versuchen sich zu schützen. Dieser Mechanismus scheint auch bei Zombies zu funktionieren. Damit müssen sie ja zumindest eine diffuse Form der Selbst-Wahrnehmung haben. Dieser Mechanismus existiert übrigens auch bei Tieren mit Strickleiternervensystem und ohne zentrales Nervensystem. Ein Beispiel wäre der Blutegel.
Die Beurteilung der tatsiichlichen Ich-Wahrnehmung ist etwas komplizierter. Die Frage kann man nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Nehmen wir einen Grippe-Erkrankten. Dieser isr völlig schachmatt gesetzt. Er kann sich nicht oder nur noch kaum bewegen. Die Mimik ist völlig eingefroren. Man ist nur noch zu einfachsten Rückmeldungen in der Lage. Trotzdem hat diese Person noch eine Ich-Wahrnehmung. Im Film WASTING AWAY (USA 2007, Matthew Kohnen) sind die Zombies absolut selbstwahrnehmend, sie denken anfangs nur, alle anderen hätten einen an der Waffel. Da sind wir übrigens wieder bei der paranoiden Schizophrenie ...
Woher wissen wir, dass wir keine Zombies sind?
MB: Das ist zunächst einmal abhängig von der Zombiedefinition.
Was ist denn aus deiner Sicht ein Zombie?
MB: Leute, denen die Umwelt komplett egal wird und die nur noch triebhaft sind. In gewisser Weise handelt es sich um soziopathische Psychopathen. Das Motiv passt auch prima in die Postmoderne. Hier wird ja propagiert, dass nur noch ICH zähle. Als Beispiel braucht man sich ja nur mal die Saturn- und offensiver die Postbank-Reklame anschauen. Hier gilt das Motto: Das Einzige, was zählt, bin nur noch ICH, ICH, ICH … Geiz ist geil, weil ICH was davon habe. Überhöht würde das bedeuten, dass sich alle nur noch um sich selbst kümmern. Dann hätten wir eine Gesellschaft, die nur noch aus Zombies besteht.
Willst du damit andeuten, dass Saturn und Postbank ihren höchsten Werbeerfolg unter Zombies haben?
MB: Das könnte ich mir sehr gut vorstellen, ich melde mich freiwillig als Versuchsleiter! Intelligente Zombies würden charmant auftreten und zu Verführern werden. Allerdings wären sie dann nicht den Menschen zugewandt, sondern legten es auf das Austricksen an. Sie lockten ihre Opfer mit Charme in die Falle. In gewisser Weise hat man dann den perfekten Psychopathen. Auch er gewinnt seine Opfer über Charme. Damit wären erfolgreiche Psychopathen eigentlich kultivierte Zombies.
Mit herzlichem Dank für die Freigabe und Genehmigung zur Veröffentlichung an die Rechte-Inhaber.