Quelle: Skeptiker, 3/2011, Seiten 144 bis 147
Das Leichen-Öl der Heiligen Walburga
VON DR. MARK BENECKE
Christen feiern heuer das 1300-jährige Geburtsjubiläum der heiligen Walburga. Eine fast vergessene Heilige, wäre da nicht das wundersame „Walburgis-Öl“, das aus ihrem Grab rinnt. Die Flüssigkeit gilt als heilsam und soll im Mittelalter sogar einen Bischof von einer tödlichen Krankheit befreit haben. Mark Benecke, Kriminalbiologe und Mitglied im GWUP-Wissenschaftsrat, nähert sich dem geheimnisvollen Nass mit einer chemischen Analyse.
Die Heilige Walburga (Walpurgis), geboren um 710 in England, als Benediktiner-Äbtissin in Heidenheim in Mittelfranken (Bayern) gestorben 779 (oder 790), lebte zunächst im Kloster Tauberbischofsheim. Sie hat dort angeblich mit drei Ähren ein Das Leichen-Öl der Heiligen Walburga Kind vor dem Verhungern gerettet und konnte wütende Hunde vertreiben, als sie ausrief, sie stehe unter dem Schutz Christi. Bei der Überführung einiger ihrer Gebeine als Reliquien im Jahr 893 sollen sich auf der Wegstrecke „zahlreiche“ Wunder ereignet haben. Welche das waren, konnte ich trotz einigem Stöbern nicht ermitteln.
Walburga ist eine Heilige der ganz alten Schule, die als Schutzpatronin der Wöchnerinnen, Seeleute, Bauern und Haustiere, für das Gedeihen der Feldfrüchte, gegen Hungersnot und Missernte, wie oben beschrieben gegen Hundebiss, aber auch Tollwut, Pest, Seuchen, Husten, Augenleiden und Sturm gilt. Sie war als Heilige bis ins und im Mittelalter sehr bekannt, und es gibt einige Bauernregeln zu ihrem Gedenktag, wovon eine besagt: „Wenn sich Sankt Walburgis zeigt, der Birkensaft nach oben steigt.” Heute trifft man Erzählungen zu Walburga fast nur noch in der Umgebung ihrer letzten Ruhestatt an.
Allerdings ist sie in einem anderen Zusammenhang dafür umso bekannter. Die Walpurgisnacht vom 30. April auf den 1. Mai geht in der Tat direkt auf Walburga zurück. Denn diese Nacht gilt in England als (allerdings historisch offenbar unprüfbares) Datum der Überführung ihrer Gebeine oder aber – gut belegt – als Tag ihrer Heiligsprechung, die vermutlich im Jahr 870 stattfand. Dass wir die Walpurgisnacht heute so gut kennen, liegt vor allem an Goethes Faust I (1808), der den Zusammenhang mit Hexenfeuern und -feiern erst durchschlagend bekannt machte. Auch das „Handlexikon des deutschen Aberglaubens“ (1927 – 1942) beschreibt die hexische Durchfärbung der Walpurgisnacht mit Brennesselzauber, blauem Feuer, Menschenopfern, Wasser vor die Tür gießen, Hexenfahrten, Geistermessen, Kröten und vielem mehr – alles stereotype Hexen-Attribute, die bis heute sehr vielen Menschen geläufig sind. Für die Kühe musste man in der Walpurgisnacht beispielsweise neunerlei Kräuter oder Gräser ausgraben und sie ihnen zum Fressen geben (oder als Kranz umhängen), damit sie nicht verhext werden. Umgekehrt soll Holz einer Haselstaude, das am 1. Mai geschnitten wurde, aber auch helfen, wenn die Kühe keine Milch geben. Die Vermischung von Fruchtbarkeit und Hexerei in jede Richtung ist hier offenkundig.
Das „berühmteste“ Öl
Unberührt von den heute bekannten hexischen Umtrieben besteht vor Ort in Eichstatt noch eine Tradition, die ich im Lichte der Untersuchung des angeblichen „Blutes“ des heiligen Januarius und angeblicher Marienerscheinungen (siehe Skeptiker 3/2004, S. 114 – 117) spannend fand. Als im Jahr 1035 in Eichstätt die Abtei St. Walburg gegründet wurde, grub man nämlich kurz darauf, im Jahr 1042, die Knochen der Toten aus und gab sie in einen steinernen Sarg unter dem Hochaltar der neuen Abtei-Kirche. Schon damals kannte man das „Walburgis-Öl” und legte das Grab so an, wie es heute noch aussieht – nämlich so, dass man dort eine wasserklare Flüssigkeit gewinnen kann, die davon abrinnt bzw. ausgeleitet wird: Das Walburgis-Öl. Der Kult drehte sich ursprünglich nur um die Reliquien und der ihnen nachgesagten Wunderkraft. Er entstand, weil die Benediktiner und der ihnen zugewandte Adel ihre Macht ausbauen wollten. Volksheilige waren bei dieser elitären Denkweise nicht erwünscht, und so setzte der auch von Bernd Harder im Zusammenhang mit Marienerscheinungen beschriebene und institutionell geförderte Propaganda-Kreislauf zugunsten elitärer Strukturen ein (siehe dazu u. a. Skeptiker 4/99, S. 173 – 175 und 4/2006, S. 158 – 172). Im 11. Jahrhundert erreichte der Walburga-Kult, auch massiv gefördert vom Kölner Erzbischof Anno II, seinen Höhepunkt.
Was hat es nun mit dem „Öl“ auf sich? Wikipedia schreibt: „Seit 1042 soll unter Walburgas Reliquienschrein alljährlich von Oktober bis Ende Februar eine Flüssigkeit, das sogenannte Walpurgisöl, austreten. Es kann bis heute in Fläschchen abgefüllt (...) erworben werden. Vor allem am 25. Februar, Walburgas katholischem Gedenktag, strömen zahlreiche Pilger zu dem wundertätigen Schrein in Eichstätt. Was wirklich unter diesem als Kondensat hervorquillt, bleibt vage und das Geheimnis der Benediktinerinnen. Seit dem 15. Jahrhundert wurde Walburga auch auf Gemälden stets mit dem Fläschchen abgebildet.“ Unter dem Stichwort „Öl“ (nicht unter „Walburga“) findet sich im oben genannten Lexikon des Aberglaubens zudem der Hinweis, dass es sich beim Walburgis-Öl um das unter allen Heil-Ölen „berühmteste“ handelt – ausdrücklich berühmter als sogar das Olivenöl vom Ölberg oder das Öl einer Lampe, die neben einem Verstorbenen gebrannt hat.
Der ölige Ruhm verwundert nicht, denn es trieft schon sehr lange. „Von dem sogenannten Oele“, berichtet Stadlers vollständiges Heiligenlexikon – die wasserähnliche Feuchtigkeit führt diesen Namen seit unvordenklichen Zeiten – welches aus ihrem Brustbeine fließt, eine Wundererscheinung, die nicht erst im Jahre 1040 eintrat, sondern schon im 9. Jahrhundert durch den Bericht des ersten und ältesten Biographen bezeugt wird.“ Bischof Philipp von Rathsamhausen (1306 – 1322) sei „durch den Gebrauch desselben von einer tödtlichen Krankheit (ad excidium vitae devenimus) befreit“ worden.
Ins Labor damit
Nun wollte ich es endgültig wissen und besorgte mir von einem Pilger, der selber neugierig war, ein Fläschlein des wundersam wässrigen „Öles“. Ich sendete es an ein unabhängiges Labor in der Schweiz, so dass möglichst wenig Wissen dieses Wässerchen trüben konnte. Die Ergebnisse der Auswertung:
Aluminium 36,7 μg/l
Chrom 4,43 μg/l
Kupfer 31,5 μg/l
Mangan 18,5 μg/l
Nickel < 1,00 μg/l
Blei < 1,00 μg/l
Zinn 2,32 μg/l
Kalzium 73 300 μg/l
Magnesium 40 700 μg/l
Natrium 28 600 μg/l
Kalium 3740 μg/l
Phosphor < 6,0 μg/l
Eisen 13,8 μg/l
Zink 733 μg/l
Nitrat 862 μg/l
Nitrit < 10,0 μg/l
Der pH-Wert liegt bei genau 7,0 (neutral), die Härte bei 19,8 Grad deutscher Härte, also am unteren Ende von „ziemlich hartem Wasser“.
Gemessen an der Trinkwasserverordnung (TVO/TrinkwV) und den WHO-Richtlinien handelt es sich um wenig belastetes Wasser. Da das wässrige „Öl“ angeblich über eine Kupferrinne ausgeleitet wird, hatte ich zunächst mit höheren Kupferwerten gerechnet. Diese sind aber im Vergleich zu den von den Verordnungen erlaubten Werten ebenfalls niedrig. Auch ob nach derart langer Leichen-Liege-Zeit wirklich noch Kalzium aus den Knochen ausgespült werden kann, noch dazu bei der für die „Öl“-Abgabe zu fordernden, jahrhundertelangen Feuchte, müsste ein Versuch mit einem Skelett zeigen.
Es ist allerdings eh unklar, ob das Wasser wirklich aus dem Grab („Brustbein“) stammen kann und soll und damit durch den Stein gesickert sein müsste oder doch, wie es auch die Wikipedia sieht, als reines Kondensat gelten sollte, das sich eh nur auf der Außenseite sammelt. Die Abtei gab darauf auf meine Anfrage hin keine Auskunft dazu, und auch auf den offiziellen Webseiten der Benediktinerinnen – selbst in Bezug auf das im Jahr 2011, also derzeit laufende, 1300-jährige Walburga-Jubiläum – findet das Mirakel keine Erwähnung. Also drehte ich den Spieß um und fragte im Wasserlabor des sehr großen Wasserversorgers Rhein-Energie nach, was sich aus den Werten ableiten lässt.
Den Zink-Anteil erklärt man sich dort „vielleicht“ biogen, also durch die Umwelt bedingt, oft handele es sich dabei aber um alte Rohre, in denen früher noch Zink verbaut worden sei. Vor allem die Wasserhärte brachte den Laborleiter aber zum Stirnrunzeln: „Kondenswasser ist das sicher nicht“, sagte er, „denn das enthählt niemals so viele Ionen wie dort gemessen. Ein Kondensat ähnelt ja destilliertem Wasser, das wenig oder keine Salze mehr enthält. Die hier vorliegenden Werte sehen mir wie die von normalem Leitungswasser aus.“
Ob sich über die Jahre verschiedene Zusammensetzungen des Wassers ergeben (mir lag nur eine Probe vor) oder ob es vielleicht letztlich ganz egal ist, woraus das Walburga-Öl besteht, solange nur jemand an das Wunder glaubt, überlasse ich weiteren Nachforschungen. Denn immerhin meldet sogar mein gläubiger, katholischer Kollege, Dr. Joachim Oepen, Historiker und Archivar am Historischen Archiv des Erzbistums Köln und Leiter der Untersuchungen zum Schrein des Heiligen Severin: „BHs von Madonna oder Schuhe von Maradona erzielen bei Ebay enorme Preise. Ob sie echt sind oder nicht, ist zweitrangig“ (Benecke 2004). Ähnlich deutet der hochrangige traditionelle Buddhist Pandido Khambo-Lama Damba Ayushev eines seiner örtlichen Wunder, eine angeblich unzersetzte Leiche: So eine Erscheinung solle letztlich „Gläubige ermutigen und die Zweifler aufhören lassen, zu zweifeln“ (anon. 2004). Selbst der Katechismus der katholischen Kirche schweigt sich zu volkstümlichen Wundern aus und erwähnt diese nur noch in Bezug auf das direkten Wirken von Jesus (Bischofkonferenz 2005).
Obwohl es sich um eines der volkstümlicheren, älteren und kleineren katholischen Wunder handelt, könnte die Sache eines Tages natürlich doch wieder hochkochen. Bis dahin halte ich mich an eine andere Flüssigkeit, die mindestens ebenso heilkräftig wie das Walburga-Öl sein dürfte: Den Eichstätter Klosterlikör (40 Prozent). Er wird in derselben Abtei nach einem „altbewährten Klosterrezept“ produziert und im Kloster-Shop in drei Flaschengrößen verkauft. Prost.
Dank
Dank an Mephi für die Probe des Wassers und die anfänglichen Hinweise zum wundersamen Öl.
Quellen
Abtei St. Walburg (o.J.): Die Benediktinerinnenabtei St. Walburg, http://www.abtei-stwalburg.de, Zugriff 28.07.2011.
Abtei St. Walburg (o.J.): Walburga-Jubiläum, www.abtei-st-walburg.de/walburga-jubilaeum, Zugriff am 28.07.2011.
Anonymus (2004): The imperishable body of Buddhist lama mesmerizes medics. Pravda, 2. Dezember 2004, Science and Technologies. http://english.pravda.ru/science/tech/02-12-2004/7449-0/, Zugriff 28.07.2011.
Bächtold-Stäubli, H; Hoffmann-Krayer, E. (2000): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Band 6 (1935), Spalte 1242 (Öl), Spalte 331 (Milchhexe); Spalte 1063 (neunerlei Kräuter); Registerband (Band 10, 1942, Hexerei). Walter de Gruyter, Berlin.
Benecke, M. (2004): Selige DNS-Analyse. Rechtsmediziner überprüfen ein christliches Wunder. Süddeutsche Zeitung Nr. 33/2004, 10. Februar 2004, Wissenschaft, S. 9.
Bistum Eichstätt (o.J.): Lebensgeschichte der Heiligen Walburga. www.bistum-eichstaett.de/bistum/willibald-und-walburga/die-heilige-walburga, Zugriff 28.07.2011.
Deutsche Bischofskonferenz (2005): Katechismus der Katholischen Kirche: Kompendium, Frage 108. Pattloch/Droemer Knaur, München.
Ökumenisches Heiligenlexikon Online, www.heiligenlexikon.de/BiographienW/Walburga.htm, Zugriff 28.07.2011.
Stadler, J.E.; Heim, F.J.; Ginal, J. N. (1858-1882; zuletzt 2007): Vollständiges Heiligen-Lexikon. Oder Lebensgeschichten aller Heiligen, Seligen, aller Orte und aller Jahrhunderte. Hier: 5. Band, 1882. Schmid‘sche Verlagsbuchhandlung, Augsburg.
Wasserlabor der RheinEnergie (2011) H. O. Juchem, pers. Mitt., 29. Juni 2011 (Abgleich der Analyse-Werte).
Wikipedia: Walburga, http://de.wikipedia.org/wiki/Walburga, Zugriff 28.07.2011. benediktinerinnen.de (o.J.): Abtei St. Walburg, http://www.benediktinerinnen.de/eichstae.html, Zugriff 28.07.2011.