Von soziooekonomischen Unterschieden (Tätowiermagazin)

Quelle: Tätowiermagazin 12/2012, Seite 144
Von sozioökonomischen Unterschieden und echter Freundschaft
Kolumne mit Mark Benecke

Von Mark Benecke
PartnerInnen, Kumpels und beste Freundinnen lassen sich manchmal das gleiche Tattoo stechen. Einen identischen Bodysuit hat allerdings noch keiner gesehen. Logo: Denn so unterschiedlich wie Lebenswege verlaufen, so unterschiedlich wachsen und werden auch die daraus entstehenden Tattoo-Flächen. Trotzdem vereint uns alle die Liebe zu geinkter Symbolik.

Ein Beispiel für dieses Wechselspiel, bei dem die tätowierten Unterschiede allerdings größer scheinen als sie im Herzen sind, liefern die Tattoos und Lebenswege von Claudia und Claudio.

»Mein erstes Tattoo«, berichtet mir Claudio bei einer Grufti-Party auf Schloss Lenzburg, »habe ich mir mit Nähnadeln und Tusche gestochen, als ich in der Sicherheitsabteilung der Psychiatrie lebte. Vorher hatte ich meine Wohnung in die Luft gejagt und einige Probleme. Die Nähnadeln zum Tätowieren hatte ich aus der Arbeitstherapie und die Motive habe ich vor einem Spiegel ausprobiert.

Herausgekommen sind ein Pik-As und diese Schlange hier auf meinem Arm – beides von einer Schallplattenhülle der Band Motörhead angeregt. Wenn ich auf das Tattoo schaue, erinnert mich das an die 1980er Jahre. Heute lebe ich im betreuten Wohnen und ziehe mit Claudia öfters um den Block. Die vier Pünktchen auf meiner Stirn sollten eigentlich ein Kreuz werden. Für Linien hat es damals nicht ganz gereicht, also sind es Punkte geblieben. Später habe ich mir dann doch noch ein Kreuz mit Linien auf den Finger gestochen. Hält!«.

Bei Claudia lief vieles sehr anders. »Ich bin auf einem Schweizer Internat zur Schule gegangen«, erzählt sie. »Das neueste Black-and- Grey-Piece auf meinem Körper stammt von Ralf Fischer und zeigt Nick Cave. Kaum hatte ich das Tattoo, lief mir Nick Cave auch schon persönlich über die Füße. Er hat mir bei der Gelegenheit eine Rippe signiert und ich ließ das Autogramm dort nachstechen.

*© Tätowiermagazin

*© Tätowiermagazin

Auf dem linken Unterarm siehst du die Porträts der wichtigsten Lebewesen der Welt, meiner beiden Bulldoggen. Mein Rücken zeigt – auch grau in grau – den Baphomet von Giger. Ihm (Giger, nicht Baphomet) verdankte ich auch meinen Ausbildungsplatz auf der Maskenbildnerschule: Erst, als Giger einen Empfehlungsbrief schrieb, haben sie mich endlich aufgenommen.«

Kennen gelernt haben sich Claudia und Claudio trotz dieser gewaltigen »sozioökonomischen Unterschiede« (Behördendeutsch), die sie normalerweise für immer trennen müssten, vor Ewigkeiten im Psyko Store, einer Videothek für Horrorfilme in Winterthur. »Seitdem achten wir gegenseitig aufeinander, wie gute Freunde das eben tun sollten«, sagt Claudia.

»Claudio ist immer cool und witzig. Wir haben die gleiche Art von Humor und lachen uns über die gleichen Dinge kaputt. Ab und an gehen wir zusammen auf Konzerte, machen verrückte Filme und Fotos oder chillen einfach im Wald mit den Hunden. Irgendwie passt es immer.«

Man sieht: Kleinkrämerische Tätowier-Stil-Vorlieben und -Befindlichkeiten (Old School vs. New School vs. No School) sind letztlich doch nur Quatsch, wenn es um das Schönste geht, das es gibt: Friends In Ink, mit Herz und Tinte.
Auch Schrägem und Grauem aufgeschlossen
- der eure –

Markito