Dr. Mark Benecke geht über Leichen

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Eine von Insekten übersäte Leiche: Für die meisten blanker Horror, für Dr. Mark Benecke lediglich Arbeitsalltag. Das Thema „Tod“ begleitet den Forensiker jahraus jahrein, Krabbelviecher und eine Vielzahl an anderen winzigkleinen Spuren und Indizien erwecken den Leichnam vor seinen Augen wieder zum Leben: Wenn man genau hinschaut, erzählen auch Tote eine Geschichte. Man kann bekanntlich nicht nicht kommunizieren.

Wenn man wie Sie täglich mit Leichen und demnach auch mit ihren Verursachern zu tun hat – was macht gerade Serientäter aus: Nature oder nuture?

Beides. Charakter-Anlagen sind erstens oft genetisch, das zeigt sich in Studien mit getrennt aufgewachsenen Zwillingen. Zweitens sind sie durch frühkindliche Einflüsse bewirkt („Gehirnreifung“), und drittens dann durch die Chancen und Entscheidungen des erwachseneren Lebens. Das Zusammenspiel ergibt das Ergebnis.

Gibt es das perfekt exerzierte, unlösbare Gewaltverbrechen?

Nein. Es gibt immer Menschen, die sich für superschlau halten, aber das heißt nicht, dass sie es auch sind.

Ein überwiegendes Gros an Serienmördern ist männlich – gibt es hierfür für Sie eine Erklärung?

Frauen „töten“ wohl eher sozial, indem sie eine Person vollkommen unmöglich machen und damit „ausschalten“. Das mag an unterschiedlicher Muskelkraft oder irgendwelchen Gender-Dingen liegen. Es gibt genügend Serientaten, die nicht Morde sein müssen, aber mörderische soziale Folgen für die Betroffenen haben.

Dass Menschen Menschen essen gilt als verpönt. Wie weit unterscheidet sich das vom Labsal an anderem toten Getier tatsächlich?

Einen Reiz, menschliche Artgenossen zu essen, sehe ich nur zwischen stark bindungsgestörten Menschen, die das Gedankenbild, jemanden „zum Fressen gern haben“ etwas zu wörtlich nehmen. Sonst nicht. Chemisch gibt es natürlich keinen nennenswerten Unterschied zwischen Menschen-, Schweine- und Rindergewebe. Ein Schnitzel ist eine Leichenscheibe mit Leichenknochen, Gulasch sind Leichenmuskelwürfelchen, Wurst ist oft reichlich Leichenfett in Leichendarm. Sozial gesehen ist es aber ein Riesen-Unterschied. Menschen lieben halt künstliche, unlogische Grenzen, die ihnen das Leben einfacher machen.

Gulasch sind Leichenmuskelwürfelchen, Koteletts sind Leichenknochen mit Leichenfleisch, Schinken ist Mumiengewebe: Was würde passieren, wenn man das ähnlich wie bei Zigarettenschachteln auf die Fleischverpackung schreiben würde?

Solange nicht „Menschenfleisch“ drauf steht, interesseriert es wohl nur wenige. Im Krieg ist es auch recht egal, wen man erschießt, solange man auf der Seite der „Guten“ ist. Menschen sind sehr stark darin, die Wahrheit auszublenden. Du kannst auf Schachteln und Plakate drucken, was du willst – wenn da nicht der Prozess der Einsicht vorher eingesetzt hat, passiert nichts.

„Spider Man“ und „Blade Runner“ haben Sie zu Ihrem heutigen Beruf geleitet: Spannend fanden Sie in zweitgenanntem die Frage, was Menschen von Androiden unterscheidet. Andererseits sehen Sie den Menschen auch als „Witz der Evolution“ an. Warum gibt es ihn dann überhaupt, welche Relevanz, welchen „Wert“ im größeren Sinne hat er?

Menschen sind ein sehr, sehr guter Witz. Sie sind, wie sie sind, und sie haben ihr zeitweises Plätzchen auf der Erde. Es gibt evolutiv gesehen keinen höheren Sinn, sondern einfach das Dasein. Kölsch gesagt: Et is wie et is. Nicht mehr, nicht weniger.

Ihre Arbeit dient letztlich auch einem für das menschliche Zusammenleben relevanten Zweck: Dem der Gerechtigkeit und der Richtbarkeit. Sie glauben jedoch nicht an die Existenz einer „Gerechtigkeit“. Was ist somit Ihre ureigene, persönliche Motivation?

Ich mag Klarheit und Wahrheit, so wie ich auch jeden Tag das Klo und die Badewanne putze und die Socken alle ordentlich aufräume. Ansonsten ist es mir zu kompliziert. Wenn das einem großen Zusammenhang dient, ist es gut. Meine Motivation ist aber einfach Ordnung und Prüfbarkeit. Das ist vielleicht ein Charakterzug.

Sie arbeiten für und mit der Polizei: Wieso krankt es in diesem Beruf oft an Situationseinschätzung, Einfühlungsvermögen – und nimmt gelegentlich auch eine rassistische Motivation überhand? Wie kritisch sehen Sie den Berufsstand in der Ist-Form?

Es ist wie in der Außenpolitik: Erstmal muss der Gesprächsfaden angeknüpft (oder nicht durchschnitten) sein. Mein Team und ich bilden daher gerne Große, Kleine, Dicke, Dünne und auch sonst fast alle aus, auch PolizistInnen. Ich gehe auch in den Knast. Wir reden immer und mit allen über Fälle und Wahrheit, nicht über politische oder religiöse Werte. Natürlich darf keine/r allzu fest davon überzeugt sein, dass eine Spur gleich etwas über den Lauf der Welt aussagt. Wenn wir das hinkriegen, dann können wir alle miteinander reden.

Zu Empathie, Rassismus und Hass: Ich war zweimal bei PEGIDA-Veranstaltungen in Dresden, einmal zu Weihnachten auf dem Theaterplatz vor historischer Kulisse („Elbflorenz“) und vor ein paar Tagen auf dem schönen Platz vor der wieder aufgebauten Frauenkirche. Was ich dort gelernt habe: Hass, wenn er einmal aufkocht, ist universell. Er bahnt sich seinen Weg. Wenn es das Ziel von AusländerfeindInnenen nicht gebe, würden sich die überängstlichen Menschen eben ein anderes Ziel für ihre Angst, die in Hass umgeschlagen ist, suchen.

Aus dem „kriminalbiologischen“ und „rassenhygienischen“ Bullshit der Nazis und anderer Menschen, den ich mir tief und gründlich angesehen habe, aber auch aus den Aussagen von Tätern und Opfern aktuellerer Genozide – besonders dem in Ruanda – kann ich als Vorbeugung gegen Vorurteile jeder Art nur empfehlen, rumzureisen und mit Menschen in allen möglichen Regionen so viel wie möglich zu arbeiten. Das war schon immer so: Handel bringt Frieden, Reisen bringt Verständnis.

Zu „Berufsständen“ kann ich nichts sagen, da ich Motorrad fahrende Anwältinnen, saucoole PolizistInnen, obrigkeitshörige Büro-Angestellte und schwer verbohrte angeblich liberale Menschen kenne. Ich stärke einfach die positiven Kräfte und biete negativen Menschen Daten und Tatsachen an, die ihnen hoffentlich ein wenig Angst nehmen. Mehr kann ich nicht tun.

In einem Gespräch mit Peter Wolter sprachen Sie auch über „Witzeleien am Polizeistammtisch“, die manchmal zu weit gehen. Wie weit darf Humor gehen, wann wird er „gefährlich“?

Ist mir egal. Ich möchte nur nicht durch Witze eine Lebenshaltung eingerieben bekommen, die unsozial ist. Daher meide ich Witze, sondern rede lieber Klartext.

Ließen sich Verbrechen vermeiden?

Selbstverständlich. Die kontrollierte Arbeit mit entlassenen Sexualstraftätern senkt das Rückfallrisiko um zehn Prozent auf grob fünf Prozent. Die „Prozente“ sind echte Menschen, die nicht Opfer und nicht Täter geworden sind. Die Programme „Nicht Täter werden“ und weitere in Deutschland beugen sogar wirksam schon der ersten Tat vor. Gesundheitsprävention ist auch wichtig, gerade mit Blick auf psychische Krankheiten. Außerdem würde es unter anderem wegen Amokläufen an Schulen helfen, über Narzissmus zu reden, statt sich auf Mobbing einzuschießen, denn kein einziger Schulattentäter war Mobbingopfer. Man muss diese Probleme offen ansprechen, und das in einer Form, die sinnvoll und konstruktiv ist – also ohne Hetze oder Weltanschauung. Dazu die Fähigkeit zu diplomatischen Prozessen, so dass man die andere Seite wirklich versteht. In Skandinavien, wo es Geldüberschüsse und lange eine liberale Politik gab, wird massenhaft Geld in Prävention und Aufklärung gesteckt – und das funktioniert super. Am Ende ist Vorbeugung immer menschlicher und kostet weniger Geld als die Jagd nach VerbrecherInnen.

„Elementar.“ – Wie auch sein literarisches Vorbild Sherlock Holmes schaut Dr. Mark Benecke immer sehr genau hin. Foto: Christoph Hardt

„Elementar.“ – Wie auch sein literarisches Vorbild Sherlock Holmes schaut Dr. Mark Benecke immer sehr genau hin. Foto: Christoph Hardt

Was sind die für Sie interessantesten Tatorte?

Weil ich es am längsten mache, auch mit den Studierenden in den Trainings: Blutspuren und komplizierte DNA-Tatorte. Ein Beispiel: Ich habe auch schon doofe Fehler gemacht (und behoben), aber auch viele vermieden, beispielsweise die in Deutschland teils verbreiteten, verunreinigten Wattestäbchen für Abriebe. Wir testen einfach unser Material.

Unser Trick ist, dass wir im Team alles, auch einen 20 Aktenordner umfassenden Bericht, auf das Wesentliche, das Klare, die grundsätzlichen und darstellbaren Spuren einschmelzen. Dieses „Hinwegschneiden“, Zusammenschmelzen, Eindampfen, das liebe ich, auch am Tatort. Da Blut beispielsweise manchmal als selbstverständlich vorhanden gilt – „Kein Wunder bei der Verletzung!“ – und Erbsubstanz auch an den verrücktesten Stellen abgelagert werden kann (Alltagsgegenstände), liebe ich die sozusagen übersehenen, aber eigentlich mitten im Bild steckenden Spuren, sozusagen den Fehler im Erwarteten, die Besonderheit im scheinbar Normalen. Bei Blutspuren kann das Blut des Täters sein, das mitten im Blutspurenfeld der Opfer ist – doch wie erkenne ich das? Manchmal nur an der Form der Tropfen oder Spritzer. Bei Erbsubstanz ist es beispielsweise die Unterseite des Tisches, weil der verschoben worden sein muss – und irgendwer muss an diese hölzerne Kante (oder die Duschabtrennung, den Glasperlenvorhang, … ) gefasst und damit Spuren hinterlassen haben.

Meine KollegInnen, die mit Fasern und Fingerabdrücken arbeiten, bewundere ich auch. Ich hatte mal einen Schlapphut-Fall, der nicht polizeilich bearbeitet werden durfte, bei dem wir 25 Jahre alte Hautlinien in einem alten Bibliotheksbuch gefunden haben, das ein Terrorist damals angefasst hatte und das nun die einzige Vergleichsspur zu seiner Identifizierung war. So etwas macht Spaß.

Sie sprechen Datenmassen eine immer größere Relevanz zu. Wie kritisch stehen Sie dahingehend der ständigen Überwachung des Menschen entgegen?

Datensammlung hat nichts mit Überwachung zu tun: Ein Rezeptbuch ist auch eine Datensammlung. Überwachung führen Menschen durch, die Daten verknüpfen. Um zu verhindern, dass das missbraucht wird, geht man am besten wie bei Betriebssystemen von Rechnern vor: Einfach die Software offen legen, dann gibt es auch keine Viren, denn viele Menschen schauen dauernd auf den Code. So ist es auch mit Datensammlungen: Sie müssen offen gelegt und kontrolliert werden.

Wie gehen Sie mit der Ambivalenz in der forensischen Entomologie zwischen der Datierbarkeit der Todesursache aufgrund der vorgefundenen Insekten und deren Entwicklungsstadien entgegen der Vernichtung von Beweismaterial durch eben jene um?

Jeder Arbeitsschritt verändert Spuren – das ist nicht schlimm. Bein Kochen verändern sich auch die Ausgangsstoffe, aber hoffentlich kennt der Koch/die Köchin ihr Material und kann den Prozess steuern, so dass etwas Gescheites dabei rauskommt.

Als Biolog/innen haben wir es mit vielen Umwelteinflüssen zu tun: Feuchte, Bakterien, Insekten, Wind, Rettungsdienst, … Wir orientieren uns einfach: Stammt die Schuh-Spur vom Rettungsdienst oder einem Unbekannten? Haben die Maden Sperma des Täters aufgenommen und können wir es aus dem Madenmagen holen? Hilft die Vertrocknung, eine Wunde zu erhalten oder ist die „Wunde“ im vertrockneten Gewebe erst nach dem Tod durch Insekten entstanden? Das ist unser Job, da gibts keine Pros und Cons, sondern nur den Stand der Dinge und Spuren, durch den wir uns durchtüfteln. Ärmel hoch und zack.

Der deutsche Arzt Hermann Reinhard führte bereits vor über 100 Jahren Exhumierungen durch und studierte die verschiedenen Entwicklungsstadien der sich daran nährenden Insekten. Sind Feldstudien wie beispielsweise an der Body Farm der University of Tennessee gemessen an der Geschichte der forensischen Entomologie somit heute überhaupt noch zeitgemäß und wenn ja, wieso gibt es solche Einrichtungen nur in den Vereinigten Staaten, wenn sich die Artenpopulation beziehungsweise deren Entwicklungsstadien doch von Kontinent zu Kontinent und von Land zu Land unterscheiden?

Die meisten Universitäten scheuen den Aufwand und die öffentliche Aufmerksamkeit, der mit einer Body Farm zusammenhängt. So kommt es, dass es nur eine Body Farm dauerhaft gibt, eben die in Tennessee. Wir erheben unsere örtlichen Daten an anderen Leichen: Hunden, Schweinen oder was der Tierarzt halt hat. Außerdem werten wir die Daten von menschlichen Leichenfunden aus. Es ist nicht perfekt, aber was ist schon perfekt? In der Biologie sind wir es gewohnt, Umwelteinflüsse und Schwankungen zu verstehen und in Gutachten offen darzulegen. Ehrlichkeit siegt.

In einem Interview („Was Knochen über Menschen erzählen“) sprachen Sie über Knochenfunde und erzählen über chemische Bestandteile, die sich in der Nahrung und in Getränken befinden. Wenn man all die für Ihre Arbeit notwendigen Puzzlestücke der Flora und Fauna zusammen hernimmt: Wie sieht in Ihrem Kopf eigentlich die Landkarte, die Welt aus?

Ich habe keine Landkarte, ich denke nur von Bahnhof zu Bahnhof oder von Flughafen zu Flughafen. Das ist wie am Tatort: Den kenne ich ganz genau, was räumlich dazwischen liegt, nicht. Meine Weltkarte besteht aus den Orten, an denen ich arbeite: Hochiminhstadt, Manila, Seattle, New York, Neustrelitz, Stuttgart, Rügen, Finsterwalde – wie Stecknadeln in einer Landkarte.

Der US-Profiler Robert Ressler hat einmal gesagt, es gebe einen bestimmten Menschenschlag, der sei sehr gut in dem was er macht, doch er könne nur „Chirurg, Kriegsheld, Fleischer oder Serienmörder werden“.

(lacht) Er meinte natürlich Psychopathen. Robert Ressler hatte eine Neigung zu Bonmots, ich würde das nicht überbewerten. Ich hatte beispielsweise mal einen Fall zusammen mit ihm in Ciudas Juárez: Sehr viele tote, jüngere Frauen. Abends beim Bier hat er mir gesagt: „Mark, wir werden uns wohl nicht mehr wiedersehen“ – er war sehr alt –, „aber hier noch mein Rat für dich: Schreibe niemals einen schriftlichen Antrag. Andernfalls könnte er abgelehnt werden.“ So war er halt. Ein Körnchen Wahrheit steckt natürlich drin: Um das Herz eines Babys zu operieren, muss man schon sehr konzentriert und gefühlsarm sein, sonst heult man wohl die ganze Zeit.

Gerade Rechtsmediziner und forensische Analytiker in Film und Serie sind oft sehr eigenwillige Charaktere. Wie weit trifft das die Realität?

In Filmen sind meist viele Jobs – von ErmittlerIn über RechtsmedizinerIn bis hin zum Biologen und zur Biologin – in einer Figur zusammen gezogen. Das ist natürlich Quatsch.

Der Tod ist sein täglicher Begleiter: Dr. Mark Benecke untersucht Mumien in Palermo. Foto: Mark Benecke

Der Tod ist sein täglicher Begleiter: Dr. Mark Benecke untersucht Mumien in Palermo. Foto: Mark Benecke

Sie konnten in Russland Hitlers Schädelfragment untersuchen. Wie können Sie sich von dem Stück sicher sein, dass es sich tatsächlich um seinen Schädel handelt – und dass er nicht nach wie vor in Argentinien, in der Antarktis oder wie einige Verschwörungstheoretiker vermuten im Erdinneren lebt?

Wir haben die Röntgenbilder des Kopfes von Hitler, damit auch das seiner Zähne aus dem Jahr 1944, als Hitler noch lebte, mit seinen Zähnen in Moskau verglichen. Da die Zähne sehr viel Metall enthielten, waren sie leicht zu identifizieren.

Schädelvermessungen waren bei den Nazis en vogue. Was kann man tatsächlich in einem Schädel lesen? Stimmte die Theorie der Rassenkunde, könnten Sie ja eigentlich herausfinden, ob Hitler tatsächlich jüdische Gene in sich trug, oder?

Ja, Hitlers Vorfahren sind vermutlich nordafrikanische Juden, das haben KollegInnen aus der DNA seiner Verwandten herausgerechnet. Schädelvermessungen sind aber natürlich Nonsens, da die zugeschriebenen Charakter-Züge nie doppelt verblindet nachzuweisen waren. Menschliche Rassen gibt es nicht. Das erkennt man am leichtesten, wenn man gedanklich zu Fuß über den Erdball spaziert: Es gibt nur leichte Unterschiede von Tag zu Tag der Wanderung, keinerlei scharfe Trennungen der äußeren Merkmale. Heutzutage ist es eh Schmarrn, weil sich alle geographisch gehäuft zufällig auftretenden Gene nebst ihrer TrägerInnen bunt mit anderen mischen.

Auch in Wien referieren Sie über Hitlers Schädel. Können Sie nachvollziehen, warum Hitler immer noch ein derartiger Publikumsmagnet ist – immerhin war er nicht der einzige Massenmörder im Weltgeschehen?

Von meinen Vorträgen ist der über Hitler derjenige, der mit Abstand am seltensten gewählt wird. So groß kann die Aufregung und das Interesse also nicht sein, wenn selbst die „Plötzliche Selbstentzündung von Menschen“ deutlich mehr Fans hat.

Sehen Sie die permanent schwelende Auseinandersetzung mit ihm – auch über Ihre Arbeit hinaus – als unzeitgemäß oder (in der heutigen politischen Situation) als wichtiger denn je an?

Es sollte sich schon jeder ab und zu fragen, was er an einem Clown auf Speed (Hitler war amphetaminabhängig) und seinen Kumpanen – Göring war so morphiumsüchtig, dass man ihn nach dem Krieg nicht auf Entzug kriegte, Göbbels hatte einen Klumpfuß, faselte aber von genetisch überlegenen Menschen – so interessant sein könnte. Doch wohl am ehesten, dass man Menschen zuhört, die offensichtlich sehr, sehr schwere Probleme haben.

Salopp formuliert: Etwas verbindet Sie mit Adolf Hitler, zumindest peripher: Hitler war Disney-Fan, Sie sind „Donaldist“. Was macht die Welt in Entenhausen – gerade in der Zusammenwirkung der Welten „gut“ und „böse“ – für Sie so spannend?

In Entenhausen spielen gut und böse keine Rolle, wir Donaldisten erforschen eher die Stromspannung, das Klima, Veonkelungs-Effekte und die Radioaktivität. Die Panzerknacker sind ja im Herzen ganz niedlich und träumen nur ein einziges Mal von der Weltherrschaft, aber erst, falls ihnen die Kohldampf-Insel gehört. Aber selbst die kriegen sie nicht …

Menschen lesen gerne Krimis, sehen gerne Krimiserien oder Filme wie „Sieben“ oder „Das Schweigen der Lämmer“ – und kommen auch gerne zu Ihnen in Ihre Vorträge. Was fasziniert Menschen so sehr an Mord und Totschlag, des Ekels zum Trotz?

Vermutlich, dass sie gespürt haben, dass sie nicht unsterblich sind.

Sie sagen, biologisch gesehen fangen wir etwa mit dem 24. Lebensjahr zum Sterben an, wenn unsere aufbauenden Körperprozesse abnehmen. Was heißt das eigentlich für die verbliebenen Lebensjahre – ist das nur mehr eine Hinauszögerung des Todes?

Nö, es sind Gratis-Bonus-Runden, wie beim Flippern. Man sollte sich drüber freuen und was Gescheites damit anstellen.

Als rationaler Mensch glauben Sie nicht an ein Leben nach dem Tod. Können Sie dennoch verstehen, wieso bei einer Vielzahl an Menschen der Glaube die Wissenschaft oft übertönt?

Menschen glauben an höhere Gerechtigkeit, dass der Schornsteinfeger Glück bringt, dass Öl das Wasser besänftigt, dass Verwandte aus dem Himmel auf sie schauen, dass Hexen nicht über geöffnete Scheren steigen können und dass ihr Fussballverein wirklich der beste ist. Solange es niemanden stört und bedrängt, kann jede/r glauben, was sie oder er will, warum auch immer.

Was soll bei Ihnen einmal am Grabstein stehen?

Mahlzeit.

Dr. Mark Benecke trägt im Juni im Rabenhof und in der Bühne im Hof über Hitler und andere Leichen vor. Die Vorträge sind bereits ausverkauft.

 

Titelfoto: K.A.S. Sandra