Der Medienkonverter: Clubcheck 2.0

2011-09-19 Der Medienkonverter: Clubcheck 2.0

Quellen: http://www.medienkonverter.de/news-nach-der-wahl-ist-vor-der-wahl...-6796.html
http://www.medienkonverter.de/konzertbericht.php4?id=370 (Oktober 2011)

Autor & Fotos: Mark Benecke / Rocksau

Die Wahlen in der Hauptstadt sind eigentlich gelaufen. Übrig bleibt die Erkenntnis, dass es immer mehr Leute gibt welche auf Transparenz, Internet & Inhalte setzen. Quasi das Gleiche in der Politik suchen, was sie hier stets vorfinden. Doch wenn der Alltag wieder einkehrt, und Wahlplakate nicht weniger bunten Flyern weichen, dann bleibt meist immer noch die eine Frage: Welches Lokal kommt für mich in die engere Wahl, wo findet man eine stabile Mehrheit für seinen Musikgeschmack, oder wo lässt es sich vielleicht am besten mit potientiellen Partnern koalieren... All das sondierte für uns, der etablierte Routinier Mark Benecke in seinem ersten Clubcheck 2.0. (Ivo Klassmann) 

Clubcheck 2.0.

Covens dieser Erde, Teil 1

In einigen schwarzen Szene-Zeitschriften gibt es Club-Checks. Was bei den oft streng deutschen Bewertungen (Cola-Preise, Sauberkeit der Toiletten, berühmte Gäste) jedoch zu kurz kommt, ist, was im Club en détail passiert, sozusagen die coole Scheiße, die so manchen Coven so einmalig macht. Hier daher für alle, die sich fragen, wozu man eigentlich ausgehen sollte, wenn man doch zuhause oder auf dem Alex viel billiger Totenkopfbier trinken und mp3s hören kann, einige praktische Hinweise anhand eines der düstersten, in der Presse aber völlig verschwiegenden Ladens in Berlin. Eine Rezension 2.0 also, reloaded von Lydia und Mark Benecke, den schwarzen Reportern der Herzen, die sich nach einem sehr langen Tag selbstlos ins Berliner Jewöhl stürzten.

Das Cathedral

Von außen kann man das LAST CATHEDRAL tags leicht übersehen. Das ist auch gut so. Es liegt nämlich mittlerweile in einem juppifizierten Teil Berlins, allerdings genauso nah an der Bundes-Partei-Zentrale der LINKEN, einem der letzten echten Mini-Sex-Shops Berlins mit stilechtem rotem Neonherz sowie der mit gigantisch-grauen Säulen versehenen Volksbühne und dem besten Burrito-Laden der Welt.

Nur nachts, wenn das CATHEDRAL-eigene Skelett samt seines hochkanten Glas-Sarges vom Doorman nach draußen gestellt, das schwarze Tagesmotto mit Kreide auf eine Tafel notiert und einige gruftige Gestalten, die eindeutig nicht zum gleich daneben liegenden Super-In-Laden WHITE TRASH gehören können, den Bürgersteig besiedeln, geht es los. Früher hieß das CATHEDRAL glaube ich VAMPYRE oder TRANSSYLVANIA, was man aber wohl zugusten der manchmal dort auch anzutreffenden Metaller und Elektroheads aufgegeben hat. "Transsylvania" würde aber durchaus auch passen, zumindest zum Fantasie-Transylvanien mit Dracula und KollegInnen.

Pforte

Sitzgelegenheiten

Auf mittelalterlich anmutenden Sitzbänken nebst schwarzen Tischen im eigentlichen Laden, der im Untergeschoss liegt, sammelt sich die gesprächsbereite schwarze Fraktion, die eine Peer Group (also FreundInnen) hat beziehungsweise kennt. Wer hier sitzt, gehört sozusagen zum Establishment der Party und kann einen gepflegten Krug Blut-Met trinken, ohne von Zufallsgästen allzu sehr gestört zu werden. Es sei denn, man interessiert sich für die GästInnen, die den Weg zur...

Toilette

... suchen und finden. Diese ist deswegen einer Erwähnung wert, weil sie mit steigendem Absynth-Level im Blut immer unwahrscheinlicher wird. Richtig gelesen: Es handelt sich um eine unwahrscheinliche Toilette! Und zwar deswegen, weil sich beispielsweise in der Herrentoilette bei meinem letzten Besuch ein Päärchen aufhielt, das aber anstatt vermuteter Ausschweifungen nur minutenlang über eine Wasserlache in der Raummitte sinnierte, während ich mir die Blutspuren näher anschaute, die nicht nur die Heizung und die Wand-Kacheln, sondern auch die Decke zieren. Immer wieder verblüffend ist auch das überlebensgrosse Gesicht des Heilands, das sich dem Toilettengänger mindestens zwei Mal pro Abend zeigt. Beim bevorstehenden Papstbesuch also aufgepasst: Wer weiss, ob wir den alten Zausel nicht auf einmal bei seinem Homie Jesus im CATHEDRAL treffen. Passen würde es, denn...

Der Bar-Raum

...sieht wirklich wie eine Kirche aus. Allerdings eine, in der sehr gute TheatermalerInnen, Requisiteure aus Bram Stokers Dracula-Film (das war in den Achzigern) sowie ein Meister der Zapfanlagenherstellung ihre knöchernen Hände angelegt haben. Zwischendurch gabs auch mal ei umgedrehtes Glitzerspiegelkreuz, das von der Galerie hing, doch das war vermutlich zu glitzerig und hell, jedenfalls ist es nicht mehr da. Die Farbtöne in der Kathedrale changieren zwischen schwarz, tiefschwarz und dunkelrötest bis hin zu einem mutigen tiefgrün, das aber nur im Absynth-Glas. Es gibt auch neumodische Getränke wie einen „Mexikaner“, die ich aber weder gechmacklich noch farblich kenne. Solche Getränke-Varianten kommen und gehen, das habe ich in den nun fast vierhundert Jahren meines Daseins gelernt.

Den einzig wirklich hellen Kontrapunkt im CATHEDRAL bilden die zahlreicheichen Schädel dar, die sich hier und da türmen. Auch im überdimensionalen Augen-Glas funkelt es ein wenig heller. Was ich komisch finde: Die Augen schrumpfen seit Jahren und werden immer kleiner. Ob das eine optische Täuschung ist oder der osmotische Druck im Glas, will ich lieber gar nicht wissen. Warum überhaupt jemand hunderte von Augen einlegt und zum Whiskey stellt, ist eine weitere Frage, von der man sich den (eigenen) Schädel besser gar nicht erst sprengen lässt.

Die Gäste

Trotz jahrelanger Beobachtungen raffe ich nicht, wer das typische CATHEDRAL-Publico ist. Ich sah vereinzelt schon Herren in Jeans, neulich sogar eine cool gekleidete Cybergoth-Dame, oft und meist genug sind es aber Gruftis im besten Alter, und damit meine ich das Alter deutlich unter und um die dreißig. Es scheint sich beim CATHEDRAL wirklich um einen der aller-aller-allerletzten Coven für Vampire, Vamypre, Gruftis, Schwarzkittel, MittelalterfreundInnen und vielleicht auch Düstermetaller zu handeln, den es noch gibt.


Dazu passt, dass das, wenn grade kein DJ da ist, das Thekenteam nicht selten in Form von Tommy auch eine sehr solide schwarze Musikmischung krachen lässt, die in Schüben die gemütliche Tanzenge ganz hinten im CATHEDRAL füllt. Ein echter Grufti ist nur, wer dort schon einmal an die Wand gepresst oder unter die Treppe gedrängt geschwitzt hat!

Es scheinen aber auch ganze Trupps von GästInnen mal im CATHEDRAL, mal auch wieder nicht zu sein. Ich erinnere mich noch an brechend volle Abende, bei denen ein vorwiegend jüngeres Publico die Gänge wie ein Teppich aus schwarzem Samt durchzog, darüber eine Tänzerin auf der Theke, die einen unglaublichen Gothic-Strip lieferte. Vielleicht habe ich das alles aber auch nur geträumt. Denn beim nächsten Mal saßen vollkommen andere Leuz dort. Mir egal, da ich mich eh an die Theke schnalle, um dort ein Glas Sprudel zu schlürfen, und zwar mit...

den Special Guests

...die wir zu ihren Erlebnissen befragen wollten. Dies waren CINDY und KRISTINA aus Berlin sowie für einen längeren Plausch ELISA, mit denen wir sehr viel Spaß hatten, allerdings bis heute keinerlei klare Erinnerung bezüglich der Inhalte -- das erscheint mir jedoch als Qualitäts-Merkmal. Grund: Guter Absynth sowie die im CATHEDRAL ebenfalls stoßweise anzutreffenden ANTI-PUB-CRAWLER. Das sind Leute, die organisiert durch Kneipen ziehen, es aber uncool finden, organsiert durch Kneipen zu ziehen. Daher ziehen sie organisiert durch Kneipen, aber eben als Anti-durch-die-Kneipen-Zieher. Makes total sense! Antipubcrawler sind nett, kommen meist von außerhalb (Brandenburg) bis ganz außerhalb (Neuseeland), drängeln sich aber im verständlichen Wunsch und Bestreben nach Flüssigem unfreiwillig in die Unterhaltung, also an die Theke. Ein Qualitäts-Zeichen also, dass wir mit unseren Referenz-Mittrinkerinnen Cindy, Kristina und Elisa, die weder Pub- noch Anti-Pubcrawlerinnen sind, sondern einfach schwarze Berliner Seelen in der ansonsten viel zu hellen und bunten Welt, so viel Freude hatten.

Schon in den Vorraum rein kommt nur, wer am Doorman vorbei kommt. Dabei handelt es sich allerdings nicht wie im angeblich besten Techno-Schuppen der Erde BERGHAIN um den „härtesten Türsteher Berlins“, sondern den bei weitem sympathischsten Reinlasser der Welt, der vor allem dafür sorgt, dass nicht zu viele Normalos die Kreise in der Gruft eins tiefer stören sowie keine Limoflaschen in die Finsternis eingeschleust werden. Ich habe ihn noch nie ein böses Wort sprechen gehört, egal, wie weit die Nacht auch schon fortgeschritten war. Dass er trotz der mörderischen Arbeits-Schichten - das CATHEDRAL hat fast jeden Tag bis in die allertiefste Nacht, um nicht zu sagen, bis an die Grenze zum Morgen geöffnet - immer so cool bleibt, kann jedem Menschen nur Vorbild sein.

Tipp-Würdigkeit

Das CATHEDRAL, man merkt es schon, ist tausend mal mehr als einer der schwarzen Mini-Clubs, die immer dienstags Depeche-Mode-Party machen müssen, um weiter zu bestehen, und es ist auch keine Riesendisco, die auf vier Floors die schwarzen Massen durchschüttelt. Stattdessen werden hier wie selbstverständlich auf der Theke Lesungen durchgeführt (unter anderem von Lydia und mir), eine Generation dunkler Gestalten nach der anderen mit einem Unterschlupf und leckeren Getränken versorgt sowie -- wie schon erwähnt -- von der Toilette bis zur Tanzfläche konsequent alles auf Romatigothnhorrorrollelectro getrimmt, gehegt und belassen. Das Personal wechselt dabei selten bis überhaupt nicht, wie es sich für einen friedlichen Schattenplatz mit tosenden Tönen eben gehört. Mir gefällt das alles sehr, und eine Welt, in der jede Stadt einen so einwandfreien Laden wie das CATHEDRAL hätte, wäre eine sonnenlichtfreiere, schwärzere und damit bessere.