Elizabeth Heyert - The Travelers

Quelle: SeroNews 11(3):98-99 (2006)

Elizabeth Heyert (2006) The Travelers. Scalo Eds., Hardcover, Überformat, 72 Seiten, GBP 35 (bei Amazon.Co.Uk nur GBP 23 = 33 Euro), ISBN 390824793

Beneckes Bücherschrank (24)

Von Mark Benecke

Elisabeth Heyert war bisher bekannt für einen Bildband, in dem sie Schlafende (!) großformatig und aus der Vogelperspektive fotografiert hatte. Ihre neueste Herausforderung fand sie nun in Harlem: Sie fotografierte dort Tote. Allerdings ganz anders, als mensch es sich denken würde. Vor allem auch sehr anders,als es Joel-Peter Witkin tut.

Denn die Fotografin inszeniert gar nichts, sondern fotografiert nur die Toten, die der betagte Bestatter Isaiah Owens jeden Tag bekleidet und herrichtet. Das macht er nicht nur so, wie die Verstorbenen es garantiert gerne gehabt hätten, sondern er zaubert ihnen unerklärlicherweise auch noch ein Lächeln ins Gesicht (siehe Abbildung). Liebe Bestatterlnnen unter den (SeroNews)-Leserlnnen:Bitte verraten Sie mir doch, wie das geht.

Viel mehr gibt's zu dem Buch eigentlich nicht zu sagen; es ist eben ein reines Bilderbuch. Wer trotzdem unbedingt wissen will, warum Heyert von Februar 2003 bis März 2004 in einem Leichenraum im Namen des Hochglanzes arbeitete, findet im Buch ein solides, knackiges Interview, in dem sie frei von Gelaber ihre Ideen erklärt.

Sie berichtet beispielsweise davon, wie Fotos dazu beigetragen haben, Leichen gesellschaftlich gleich zu stellen. Wo früher nur Reiche ein Portrait oder eine Maske der Verstorbenen bezahlen konnten, erlaubten Fotos, weil sie viel billiger waren, die genannte Gleichstellung. Nun konnte sich also jeder eine Erinnerung an einen geliebten Menschen auf dem Totenbett leisten - was besonders angesichts der vielen Kindertode im 19. Jahrhundert eine große Hilfe für die Trauer-Arbeit gewesen sein mag. Zudem zeigt die Fotografin anhand der Leichen, wie Harlem aussah, als es noch das stereotype Schwarzen-Viertel war, das wir meist mit diesem Namen verbinden.

Die Toten im Buch sind allesamt Zeugen der Zeit, als der Stadtteil noch arm und unterdrückt war - und nicht wie heute von den üblichen Kaufketten durchzogen und in Kürze vermutlich zu einer hippen Ecke New Yorks mutiert wie Chelsea oder das West Village.

Die ganzseitigen, abgesehen von Name und Geburts- und Todestag unkommentierten Fotos sind daher nicht nur eine Erinnerung an die abgebildeten Menschen und deren Lebensstil, sondern auch an eine Zeitspanne, in der Harlem unter ebenso drängenden Bedingungen existierte - und nun ebenso lächelnd gestorben ist - wie die im Buch versammelten Toten.

Hut ab: Das ganze Projekt hätte fürchterlich schief gehen können. Ist es aber nicht - es ist weder kitschig noch traurig noch gothic noch klebrig, sondern vollkommen verblüffend und schwerelos. Kauftipp des SeroNewsQuartals. 


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